Michael Brückner

9. September: Waterloo für den
schwedischen Mainstream?

Nach dem parlamentarischen Beben in Italien und dem politischen Wechsel in Österreich könnten nach den Parlamentswahlen in Schweden Anfang September auch dort die Karten neu gemischt werden. Schon jetzt ist sicher: Die Schwedendemokraten – vom Mainstream in die rechtspopulistische Ecke bugsiert – werden künftig eine wichtige Rolle in diesem skandinavischen Staat spielen.

Wer ist eigentlich Jimmi Åkesson? Außerhalb Skandinaviens dürfte dieser 39-jährige Politiker weitgehend unbekannt sein. Das könnte sich ab dem 9. September ändern, wenn die Schweden einen neuen Reichstag wählen und die bisherige rot-grüne Regierungskoalition unter Ministerpräsident Stefan Löfven mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Amt jagen. Dann steht der rhetorisch hochbegabte Jimmi Åkesson vielleicht in einer Reihe mit dem österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem stellvertretenden italienischen Ministerpräsidenten Matteo Salvini. Denn Åkesson hat gute Chancen, mit seiner Partei der Schwedendemokraten mindestens als zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten aus den Anfang September anstehenden Parlamentswahlen hervorzugehen.

Manche Meinungsumfragen sahen ihn in den vergangenen Wochen sogar vor den regierenden Sozialdemokraten. Egal, wie der Urnengang in diesem skandinavischen Staat enden wird, eines ist schon heute so gut wie sicher: Die Sozialdemokraten werden wohl erdrutschartige Verluste einfahren, und ihr Koalitionspartner, die Miljöpartiet de Gröna (Grüne), könnte an der 4-Prozent-Hürde scheitern. Auch die Moderaten, die mit dem linken CDU-Flügel vergleichbar sind, dürften ein Waterloo erleben.

Zentren der Kriminalität

Grund für die absehbaren erdrutschartigen Verluste der etablierten Parteien sind die allenthalben auftretenden Folgen der ab 2015 eingesetzten Migrationswelle, die aus einstmals ruhigen und liebenswerten Städten wie Malmö Zentren der Kriminalität gemacht haben. Vor allem in den Vorstädten ist die Kriminalitätsrate in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Bandenkriege, Gewalt gegen Frauen und Schießereien auf offener Straße ließen bei den Bürgern den Eindruck entstehen, dass die Sicherheitsbehörden die Lage im Land nicht mehr im Griff haben.

Von Januar bis Mai 2018 registrierte die schwedische Polizei rund 320 Schießereien, denen 42 Menschen zum Opfer fielen. Zunehmend ärgert die Schweden auch, wie ihre Sicherheitsbehörden die Taten vertuschen und mit der Sprachregelung der politischen Korrektheit vernebeln. Gemessen an der Einwohnerzahl hat Schweden ebenso viele Migranten aufgenommen wie Deutschland. Und ebenso wie die Regierung Merkel hat auch die rot-grüne Regierung in Stockholm einen »Willkommens-Kult« zelebriert. Heute beklagen sich viele Schweden, dass zunehmend Zuwanderer aus Somalia und dem Vorderen Orient das Bild der Städte prägten.

Larmoyanter Ex-Regierungschef

Anfangs schien es, als wollten sich die etablierten Parteien gegenseitig in ihrer Politik der offenen Arme überbieten und damit bewusst einen Gegensatz herstellen zum restriktiven Kurs gegenüber Migranten im Nachbarland Dänemark. Sogar dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Chef der angeblich liberal-konservativen Moderaten, Fredrik Reinfeldt, trieb es fast schon die Tränen in die Augen, als er an seine Landsleute appellierte, die »Herzen zu öffnen für die Zuwanderer«.

Mittlerweile haben sowohl die Sozialdemokraten als auch die Moderaten erkannt, dass man mit solch larmoyanten Parolen keine Wahlen mehr gewinnen kann – im Gegenteil. Die Moderaten wählten mit Ulf Kristersson einen neuen Mann an die Parteispitze, dessen Aussagen zur Migrationspolitik Schwedens schon wesentlich kritischer klingen. Und spätestens als die Sozialdemokraten feststellen mussten, dass sogar im gewerkschaftlichen Milieu die Unterstützung für die in den Medien als rechtspopulistisch verschmähten Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten) unter Jimmie Åkesson zunehmend wächst, wurde die Asylpolitik verschärft.

Die »Politik der offenen Arme« soll der Vergangenheit angehören, stattdessen will die derzeitige Regierung künftig nur noch so viele Migranten aufnehmen, wie es der Größe des Landes im europäischen Vergleich entspricht. Darüber hinaus sollen Zuwanderer viel stärker zu integrationsfördernden Maßnahmen verpflichtet werden. Das ist zwar alles nichts Neues, doch soll künftig stärker auf die Durchsetzung solcher Vorgaben geachtet werden.

Die Bürger freilich glauben den Sozialdemokraten und Moderaten diese neue Strategie nicht. Sie halten sie – wohl nicht ganz zu Unrecht – für eine panische Reaktion auf die verheerenden Umfragewerte für beide Parteien und die wachsende Zustimmung für die Schwedendemokraten. Kleinlaut musste der Parteisekretär der Moderaten, Gunnar Strömmer, unlängst im schwedischen Fernsehen einräumen, dass die Schwedendemokraten davon profitierten, als Erste die Immigrationsfrage aufgegriffen zu haben. Laut einer Umfrage sind immerhin rund 36 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Schwedendemokraten in der Immigrationsfrage die glaubwürdigere Politik vertreten.

Schwedendemokraten auf Erfolgskurs

Tatsächlich befinden sich die erst 1988 gegründeten Schwedendemokraten nach anfänglichen Turbulenzen auf einem vielbeachteten Erfolgskurs. Obwohl vor der Reichstagswahl 2010 die meisten Zeitungen des Landes die Veröffentlichung von Anzeigen der angeblichen »Rechtspopulisten« ablehnten, übersprang die Partei die 4-Prozent-Hürde und zog mit zwanzig Abgeordneten in den Reichstag ein. Bei den Parlamentswahlen am 14. September 2014 erzielten die Schwedendemokraten schon knapp 13 Prozent der Wählerstimmen. Bei den nächsten Wahlen dürften sie ein Ergebnis zwischen 22 und 25 Prozent erreichen, sofern man den aktuellen Umfragen glauben darf.

Der Mainstream versucht derweil, die Schwedendemokraten als eine »Ein-Thema-Partei« zu diskreditieren. Sprich: Angeblich habe diese Partei nicht mehr zu bieten als die Forderung nach einer strikten Beschränkung der Einwanderung, einer konsequenten Ausweisung größerer Gruppen von Ausländern sowie den Schutz traditioneller schwedischer Werte gegen die zunehmende Islamisierung. Die Partei verfolgt allerdings zudem einen deutlich EU-kritischen Kurs und möchte die nordeuropäische Zusammenarbeit weiter intensivieren. Noch spannender als die Wahlen am 9. September wird indessen die Frage der Regierungsbildung sein. Da weder die etablierten Parteien noch die Schwedendemokraten über eine eigene Mehrheit verfügen dürften, sind drei Koalitionen denkbar.

Koalitionspoker in Stockholm

In den Reihen der Schwedendemokraten scheint man zunehmend eine »österreichische Lösung« zu favorisieren, also eine Koalition der liberal-konservativen Moderaten mit den Schwedendemokraten, ähnlich der Konstellation in Wien – ÖVP und FPÖ. Die neue Parteiführung der Moderaten könnte den ursprünglichen Widerstand gegen ein solches Bündnis bei einem entsprechenden Wahlergebnis aufgeben. Denkbar wäre ferner eine Koalition aus Sozialdemokraten und Moderaten ebenso wie eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition, sofern die Grünen den Sprung ins Parlament schaffen. In diesem Fall könnte die eigentlich dem bürgerlichen Lager zugerechnete Zentrumspartei mit an Bord geholt werden. Deren Vorsitzende Annie Lööf gehört zu den wenigen, die noch mehr Migranten ins Land holen möchten. Denn nicht anders ist ihre Aussage zu verstehen: »Wenn andere Fremdenfeindlichkeit predigen, wählen wir Menschlichkeit«.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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