F. William Engdahl
Die Wahrheit über den Handelskrieg
zwischen den USA und China
zwischen den USA und China
Mit seinen jüngsten handelspolitischen Maßnahmen zielt Washington voll und ganz auf China ab. Weder auf die EU noch auf andere Handelspartner. Es geht Washington jedoch nicht darum, dass China weniger Waren in die USA exportiert. Die Vereinigten Staaten wollen vielmehr, dass sich Chinas Volkswirtschaft ändert und sich öffnet für Liberalisierung und Marktreformen. Bislang sperrt sich Peking vehement dagegen.
Im Grunde ist es so etwas wie die Neuauflage der Opiumkriege der 1840er-Jahre, nur wird dieses Mal mit anderen Mitteln versucht, China für westliche Methoden und Ideen zu öffnen. Chinas Vorstellungen von der eigenen wirtschaftlichen Souveränität stehen in direktem Widerspruch zu den Ansichten Washingtons.
Peking will nicht einknicken
Aus diesem Grund wird Xi Jinping auch nicht einknicken, was bedeutet: Trumps jüngste Drohungen einer Eskalation bergen die Gefahr, dass das fragile globale Finanzsystem stark destabilisiert wird. Die aktuellen Aussagen von Xi und Trump geben nämlich nicht die ganze Wahrheit wieder. Es gibt zwei widersprüchliche Visionen für die künftige Architektur der chinesischen Wirtschaft, und genau darum dreht es sich bei den Angriffen Washingtons. Die eine Vision sieht vor, dass Chinas Wirtschaft sich zu den Bedingungen öffnet, die der Westen und insbesondere die amerikanischen Multis China diktieren. Die zweite Vision ist diejenige, die Xi Jinping während seiner ersten Amtszeit angestoßen hat. Dabei geht es darum, China mit seiner gewaltigen Wirtschaft im Verlauf der nächsten sieben Jahre zur weltweit führenden Technologienation weiterzuentwickeln. Das ist eine gewaltige Aufgabe, aber China geht sie mit absolutem Ernst an. Gleichzeitig ist sie zentral für die Vision hinter der »One Belt, One Road«-Initiative Xis.
Washington ist fest entschlossen, China dazu zu zwingen, sich an ein Dokument zu halten, das die USA 2013 mit der damals von Robert Zoellick geführten Weltbank erarbeiteten. Das Papier mit dem Titel China 2030 sieht vor, dass China radikale Marktreformen durchführt. Es heißt dort: »Es ist unerlässlich, dass China … ein marktbasiertes System mit soliden Grundlagen entwickelt … während ein lebhafter Privatsektor die wichtigere Rolle übernimmt, das Wachstum voranzutreiben.« In dem Bericht, zu dessen Unterzeichnern Chinas Finanzministerium und Chinas Staatsrat gehören, heißt es weiter: »Chinas Strategie gegenüber der Welt wird von einigen wenigen zentralen Grundsätzen geleitet werden müssen – offene Märkte, Gleichheit und Gerechtigkeit, Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen, globale Aufgeschlossenheit und nachhaltige Entwicklung.«
»Endziel ist es, dass China seine umfassenden Reformen der Volkswirtschaft, wie im gemeinsamen Bericht [der Weltbank] umrissen, abschließt«, sagte Michael Pillsbury, China-Experte und ehemaliger Berater des Trump-Übergangsteams, der South China Morning Post mit Blick auf die aktuelle Strategie Washingtons, chinesische Produkte im Wert von Milliarden Dollar mit Strafzöllen zu belegen.
…gegen »Made in China 2025«
Bemerkenswert an diesem Bericht ist, dass er ganz zu Beginn von Xis Amtszeit veröffentlicht wurde und, so könnte man argumentieren, damit das Produkt eines früheren Chinas ist. Xi war noch nicht lange im Amt, da präsentierte er die Idee, die heute als »One Belt, One Road«-Initiative bekannt ist. Das viele tausend Milliarden Dollar schwere Infrastrukturprogramm sieht unter anderem den Bau von Hochgeschwindigkeits-Bahntrassen und Tiefwasserhäfen vor. Letztlich ist das Ziel ein integrierter Wirtschaftsraum, der Russland, Südasien, den Nahen Osten und Teile Ostafrikas umfasst. Zwei Jahre nachdem Xi seine »Neue Seidenstraße« präsentiert hatte, legte seine Regierung ein Strategiepapier zur wirtschaftlichen Entwicklung vor, das sich doch sehr von dem der Weltbank unterschied. Sein Titel: Made in China 2025.
In diesem Papier heißt es, China solle die Phase beenden, in der man für Apple oder GM Dinge in Lizenz fertige, und Autarkie in technischen Belangen anstreben. Ein Beispiel dafür ist der dramatische Erfolg, den Chinas Mobilfunkunternehmen Huawei im Wettbewerb mit Apple und Samsung erzielen konnte. »China 2025« setzt als Strategie auf die Entwicklung eigener Fähigkeiten, ganz so wie es Deutschland ab 1871 mit »Made in Germany« gelungen ist. Innerhalb von 30 Jahren gelang es deutschen Herstellern, ihren Ruf als Produzenten minderwertiger Ware abzuschütteln und höchsten Qualitätsstandards zu genügen. Die Chinesen haben diese Geschichte sehr aufmerksam studiert.
Mit welchen Sanktionen China belegt werden soll, entwirft das Büro des Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten (USTR). Im ersten, etwa 200 Seiten langen Bericht des USTR geht es ausdrücklich um die als unfair erachteten Handelspraktiken Chinas. Die Behörde wirft China vor, geistiges Eigentum zu missachten, ausländische Unternehmen zu diskriminieren und in seiner Industriepolitik chinesische Unternehmen auf »ungerechte Weise« zu bevorzugen. Namentlich wird Made in China 2025 im USTR-Bericht als jene Strategie bezeichnet, welche die Strafzölle der Regierung Trump zu ändern beabsichtigt.
High-tech-Standort China
Made in China 2025 ist der aktuelle Plan, wie China sich in einen Hochtechnologie-Standort von Weltruf verwandeln soll, in ein Land, das seine eigenen Hochgeschwindigkeitszüge, Flugzeuge, Elektrofahrzeuge, Roboter, KI-Technologien und viele weitere brandaktuelle Technologien exportiert. Das Vorbild ist im Grunde die Art und Weise, in der sich Südkorea zwischen 1950 und 1980 schrittweise von arbeitsreichen Industrien verabschiedet und die Wertschöpfungskette erhöht hat – so lange, bis die Wirtschaft des Landes bei Hightech-Branchen angelangt ist. China steht am Anfang einer demografischen Schieflage. In Peking weiß man: Wenn es nicht gelingt, diese neue industrielle Basis zu schaffen, drohen wirtschaftliche Stagnation und der Verlust der Konkurrenzfähigkeit. Für Made in China 2025 haben die Chinesen Industrie 4.0 sehr gründlich studiert sowie den Ansatz der deutschen Regierung, den Wirtschaftsstandort Deutschland ins digitale Zeitalter zu führen. Made in China 2025 soll China durch Substitutionstechnologien zum »Selbstversorger« machen. China soll zur globalen Supermacht in der verarbeitenden Industrie aufsteigen, was zentrale Hightech-Segmente anbelangt.
»Stich der Schlange ins Herz«
Xi Jinping wird vor dem Druck aus den USA nicht einknicken und seine Volkswirtschaft nach dem Wunsch Washingtons umkrempeln, dafür sind die Einsätze viel zu hoch. Außerdem würde das nicht nur Chinas Wirtschaftsstrategie gefährden, es würde auch einen ernsten Gesichtsverlust für Chinas Präsidenten bedeuten – und dazu ist er nicht bereit. Aus den Schlagzeilen, die zuletzt in Chinas Staatsmedien zu lesen waren, lässt sich diese Stimmung ablesen. In Renmin Renbao hieß es in der Aufmachergeschichte: »Zieh tapfer das Schwert, stell dich der Schlange und stich ihr ins Herz …« Und weiter: »Ein Handelskrieg wird Amerikas Verbrauchern mit geringem Einkommen wehtun, den Industriearbeitern und Landwirten … den wichtigsten Anhängern Trumps.«
Mit den jüngsten handelspolitischen Salven, die Washington abgefeuert hat, will man China sagen: »Verlass nicht deinen Platz in der globalisierten liberalen Welt nach amerikanischem Vorbild; einer Welt, in welcher der Staat keine wichtige Rolle spielen darf.« Präsident Xi hat seine Position gerade gefestigt, indem er die Begrenzung der Amtszeit aufheben ließ. Nun verfügt er über so viel Macht wie niemand mehr seit Mao. Da wird er nicht auf Druck des Auslands einknicken und Chinas Souveränität in Wirtschaftsbelangen wegwerfen. In zahlreichen Gesprächen, die ich in China seit der Finanzkrise 2008 geführt habe, wurde mir bestätigt, dass die USA in den Augen der Chinesen ein im Abstieg begriffener Hegemon sind, ähnlich wie das britische Empire nach 1873. China ist entschlossen, eine multipolare Alternative zum seit 1990 geltenden Weltbild mit den USA als einziger globaler Supermacht zu bieten. In jüngerer Vergangenheit sind China und Russland enger zusammengerückt. Gemeinsam bereiten sie von goldgedeckte Währungen vor, Alternativen zum westlichen Swift System zur Abwicklung von Finanzgeschäften, militärische Abwehrmaßnahmen gegen Bedrohungen durch die USA im Südchinesischen Meer oder andernorts. Beide halten die USA für eine ehemalige Industriemacht, deren Schulden aus dem Ruder gelaufen sind und deren Modell für eine »freie Marktwirtschaft« in Amerika und im Rest der Welt deutlich gescheitert ist.
Elite unterschätzt Chinas Stärke
Am 3. April hieß es in einem Leitartikel der chinesischen englischsprachigen Tageszeitung Global Times, China habe keineswegs die Absicht, zurückzurudern oder zur Tagesordnung der Weltbank zurückzukehren: »Washington wollte der Welt seine Autorität demonstrierten, hat sich dabei leider aber verzockt. Die gesamten amerikanischen Eliten haben die Stärke und die Umsetzung überschätzt.« Und weiter heißt es in dem Artikel: »Es gibt keinen Weg, wie die USA zu der Hegemonialstellung zurückkehren könnten, die den Eliten in Washington vorschwebt. Globalisierung und Demokratie haben die Grundlagen dieser Hegemonialstellung beschädigt, weshalb es den USA an Stärke, Willen und innerer Geschlossenheit fehlt, die es für diese Aufgabe braucht. Tatsächlich fällt es den USA schwer, den Iran und Nordkorea zu bändigen, ganz zu schweigen von großen Ländern wie China. Washington kann die Welt nicht wie ein Imperium regieren.«
Bei der Umsetzung seiner ehrgeizigen »One Belt, One Road«-Initiative sind China bislang keinerlei Fehler unterlaufen. Es ist das vielleicht weitreichendste Projekt der Weltgeschichte und hat zum Ziel, dass über 60 Nationen und Kulturen wirtschaftlich zusammenarbeiten. Auf direkte Einladungen, sich doch an dieser Initiative zu beteiligen, hat Washington bislang nur die Tür zugeknallt. Und jetzt versuchen die Amerikaner, mit massiven Handelssanktionen China dazu zu zwingen, von seinem Staatsmodell der Industriepolitik abzulassen.
Man kann sich nur schwer vorstellen, wie diese Geschichte nicht in einer Niederlage für Trump oder die US-Wirtschaft enden soll. Die Art und Weise, wie die überteuerten amerikanischen Börsen auf die jüngsten Eskalationen reagiert haben, sprechen dafür, dass Trump Gefahr läuft, die größte Spekulationsblase in der Geschichte der amerikanischen Börsen zum Platzen zu bringen. Das würde eine Finanzkrise nach sich ziehen, die noch schlimmer als 2008 wäre. All das bestätigt die alte Redewendung: »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«
Konfrontation der Systeme
Trump hat sich nicht dafür entschieden, einen Handelskrieg zu führen – er legt es auf eine Konfrontation der Systeme an: Auf der einen Seite das Washingtoner Modell einer von den USA geführten Weltwirtschaft, auf der anderen Seite Chinas Vision von wirtschaftlicher Weiterentwicklung im Rahmen nationaler Souveränität. Die USA sind nicht imstande, eine derartige Konfrontation zu gewinnen, und Xi Jinping wird nicht zurückweichen. Die ganze Angelegenheit könnte noch sehr unschön werden. China reagiert sehr sorgsam und durchdacht.
In seinem jüngsten Strategiepapier erklärt das Pentagon China und Russland ausdrücklich zu den größten Bedrohungen für die »nationale Sicherheit« der USA. China wird zudem eine Wirtschaftspolitik vorgeworfen, bei der man die Regeln des Systems zum eigenen Vorteil ausnutzt.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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