Prof. Marjorie Cohn

Wie kommt man von Washingtons »Todesliste«?

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 legte die damalige US-Regierung unter Präsident George W. Bush eine geheime »Kill List« an, auf der mutmaßliche Terroristen landeten, die zum Abschuss freigegeben wurden. Inzwischen ist die seit damals dritte Regierung im Amt und die Kriterien dafür, wie man auf diese Todesliste kommt, haben sich offenbar verändert. Eines jedoch ist gleich geblieben – die »Aufnahmekriterien« sind weiterhin völlig unklar.

Vergangenes Jahr reichten zwei Journalisten Klage gegen Donald Trump und andere hohe Staatsdiener ein. Sie beantragten, von dieser »Todesliste« gestrichen zu werden, bis sie eine realistische Gelegenheit dazu hatten, ihre Aufnahme anzufechten. Beide Männer geben an, keinerlei Verbindungen zu al-Kaida oder den Taliban zu haben, nicht mit den Anschlägen vom 11. September in Verbindung zu stehen und keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten, deren Bürger, Einwohner oder die nationale Sicherheit des Landes darzustellen.

Kareem und Zaidan wollen von der »Todesliste« gestrichen werden

Bilal Abdul Kareem ist US-Bürger und freischaffender Journalist. Er hat fünf gegen ihn gerichtete Luftschläge überlebt und ein türkischer Geheimdienstler erklärte ihm, dahinter stehe die US-Regierung, denn die habe es auf sein Leben abgesehen.

Ahmad Muaffaq Zaidan ist Bürger von Syrien und Pakistan und arbeitet als Journalist bei al-Dschasira. Er hat vor den Anschlägen vom 11. September zwei Mal Osama bin Laden interviewt. Aus Dokumenten der National Security Agency (NSA), die Edward Snowden öffentlich gemacht hat und die von The Intercept publiziert wurden, erfuhr Zaidan, dass er auf der Liste steht.

Das Interesse der NSA an Zaidan resultiert aus einem Programm namens Skynet. Wie Ars Technica enthüllte, sammelt Skynet über einen Algorithmus Metadaten und filtert daraus Terrorverdächtige in Afghanistan, Pakistan und Somalia heraus – doch dies würde zu 99.000 falsch positiven Ergebnissen führen.

Zaidan und Kareem reichten im März 2017 Klage ein. Darin behaupten sie, es sei die Schuld der Algorithmen, die die USA zum Identifizieren von Terroristen einsetzen, dass sie auf der Liste stehen.

Bei einer Anhörung am 1. Mai stellte Richterin Rosemary Collyer vom Bezirksgericht für den District of Columbia in Frage, dass die US-Regierung überhaupt die Befugnis hat, US-Bürger im Ausland zu töten. Collyer forderte die Anwälte des Staats wiederholt auf zu erklären, warum Gründe der nationalen Sicherheit wichtiger sein sollen als die Aufnahme eines US-Bürgers auf die Todesliste, ohne dass die Person benachrichtigt wird und Gelegenheit zur Stellungnahme erhält.

»Wollen Sie sagen, ein US-Bürger in einem Kriegsgebiet habe keine verfassungsmäßigen Rechte?«, fragte Collyer Stephen Elliott, Anwalt des Justizministeriums. »Wenn eine amerikanische Person vorsätzlich von einer Drohne getroffen wird, hat diese Person keine verfassungsmäßigen Rechte auf ein ordentliches Verfahren… keine Ankündigung, gar nichts?«

Anwar al-Aulaqi landete 2010 auf der Todesliste, wurde 2011 getötet

2014 stellte Collyer ein Verfahren ein, das die Familien von Anwar al-Aulaqi, dessen Sohn Abdulrahman al-Aulaqi und Samir Khan angestrengt hatten. Alle drei waren US-Bürger, die 2011 durch amerikanische Drohnenangriffe getötet worden waren. Die Hinterbliebenen wollten nun Vertreter der Regierung Obama wegen ihrer Beteiligung an den Drohnenangriffen persönlich zur Verantwortung ziehen lassen.

Nasser al-Aulaqi war der Vater von Anwar al-Aulaqi, der 2010 auf der Todesliste landete, die von CIA und Joint Special Operations Command des US-Militärs unterhalten wird. Nasser al-Aulaqi reichte Klage ein, bei der die Rechtmäßigkeit von Anwars Tötung in Frage gestellt wurde. Dann starb Anwar al-Aulaqi 2011 im Jemen durch einen Drohnenangriff. In der Klage ging es um das Ausmaß des globalen Schlachtfelds, um die Standards der Zielbestimmung und um fehlende Transparenz.

Richter John Bates, ebenfalls am Bezirksgericht für den District of Columbia, lehnte die Klage ab mit der Begründung, er könne nicht über eine Verletzung von Anwar al-Aulaqis verfassungsmäßigen Rechten befinden. Dass die Regierung angeblich Nasser al-Aulaqis Sohn ins Visier genommen habe, berühre die verfassungsmäßigen Rechte Nasser al-Aulaqis nicht und die angebliche Invisiernahme erfolge nicht in der Absicht, das Vater-Sohn-Verhältnis zu beeinträchtigen. Weiter hieß es in der Urteilsbegründung, al-Aulaqi »kann nicht beweisen, dass ein Elternteil eine Verletzung erleidet, wenn sein erwachsenes Kind mit einer künftigen außergerichtlichen Tötung bedroht wird«.

Bates befand zudem, dass die Justiz aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung Entscheidungen der Exekutive und der Legislative zu militärischen und außenpolitischen Themen nicht prüfen könne.

»Im Kern wollte die Klage eine weiterhin dringend erforderliche Überprüfung eines gefährlichen Anspruchs der Exekutive erreichen«, sagte Pardiss Kebriaei vom Center for Constitutional Rights. Die Anwältin hatte 2010 im Namen von Nasser al-Aulaqi die Klage eingereicht.

Wie Kareem und Zaidan erklärte auch al-Aulaqi, sein Sohn habe gemäß dem fünften Verfassungszusatz das Recht auf ein ordentliches Verfahren, auf ein Inkenntnissetzen und auf die Gelegenheit, angehört zu werden.

Bei der damaligen Klage befand Collyer, die Kläger fehle es an Rechtsmitteln für ihre Verluste. Sie stellte überzeugende Faktoren der nationalen Sicherheit und der Gewaltentrennung fest sowie das Risiko, sich in militärische Entscheidungen einzumischen. Würden die Gerichte diese Entscheidungen hinterfragen, würde dies die Gerichte unzulässig »ins Herz der Planungen und Abwägungen von Exekutive und Militär« führen.

Bei der Anhörung am 1. Mai allerdings sah Collyer einen Unterschied zwischen Kareem und Zaidan und dem Fall al-Aulaqi. Al-Aulaqis Fall sei klarer gewesen, »weil er ein Terrorist war und das auch behauptete«. Im aktuellen Fall lägen die Dinge anders, so die Richterin: »Ich mache mir große Sorgen um die Rechte eines US-Bürgers, der […] beteuert, dass er kein Kombattant ist, dass er sich für keine Seite entschieden hat. Er ist nur ein Journalist, der seiner Arbeit nachgeht.«

Auch dass US-Bürger auf Flugverbotslisten stehen, verstößt gegen das Recht auf ein ordentliches Verfahren

2014 urteilte Richterin Anna Brown vom Bezirksgericht in Oregon im Fall Latif gegen Holder, dass es gegen das Recht der Kläger auf ein ordentliches Verfahren verstoße, wenn diese auf einer »No-Fly List« stünden, da den Klägern keine wirksamen Wege offen stünden, dagegen vorzugehen. Ähnlich wie bei der Todesliste werden auch Personen, die auf einer Flugverbotsliste stehen, nicht darüber informiert und haben keinerlei Möglichkeit, die Gründe anzufechten, wegen derer die Regierung sie auf die Liste gesetzt hat.

Brown wies die Angeklagten (den ehemaligen Bundesstaatsanwalt Eric Holder, den damaligen FBI-Chef James Comey und Christopher Piehota, Leiter des Terroristen-Screeningzentrums des FBI) an, neue Prozeduren zu entwickeln, die den Klägern zu einem ordentlichen Verfahren verhelfen, ohne dabei die nationale Sicherheit zu gefährden.

Allerdings schränkte Brown ihr Urteil auf Auslandsreisen ein. Die Regierung hat das Urteil nicht angefochten, allerdings laufen weitere Klagen in der Frage, was unter »ordentlich« zu verstehen sei.

Anwalt Steven Goldberg vertrat bei Tarhuni gegen Holder, eine Nebenklage zum Latif-Fall, die Kläger. Auf die Frage, warum Tarhuni auf der Flugverbotsliste stehe, habe man ihm erklärt, das sei klassifiziert, so Goldberg. »Sie verteidigen sich immer mit der nationalen Sicherheit«, sagte der Anwalt. »Die Regierung beruft sich auf die Political Question Doctrine, um Klagen in diesen Fragen zu vermeiden. Aber die Fälle berühren verfassungsmäßige Rechte.«

Natürlich müssten die Gerichte Bedenken zur nationalen Sicherheit berücksichtigen, aber es gebe Wege, darauf einzugehen und Klagen wegen vermeintlicher Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte zuzulassen, so Goldberg.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es einen buchstäblich todsicheren Weg gibt, von der »Kill List« gestrichen zu werden: Man wartet einfach, bis sie einen um die Ecke bringen. Etwas weniger drakonische Ansätze bieten der Weg über die Gerichte und das Sprechen mit seinen Kongressabgeordneten.

QuelleGlobalResearch