Max Lindauer
Weshalb die Deutschen ihre Kanzler »aussitzen«
Schon immer zögerten die Wähler hierzulande, ihre Kanzler in die Wüste zu schicken – das besorgten Partei»freunde« und Koalitionspartner. Auch dieses Mal?
Kanzlern und Kanzlerinnen sowie ihren Ministern wird oft eine anscheinend besonders erfolgreiche Strategie des Machterhalts nachgesagt: Wenn es eng wird, sitzen sie Probleme einfach aus. Helmut Kohl galt in dieser Disziplin als besondere Koryphäe, und wie es scheint, hat Angela Merkel in dieser Hinsicht viel von ihm gelernt.
Aber auch die Bürger neigen dazu, ihre Kanzler/innen – und seien sie noch so unbeliebt – einfach auszusitzen. Tatsächlich wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nur ein Kanzler von den Bürgern bei Wahlen direkt abgewählt: Helmut Kohl im Jahr 1998. Nach sage und schreibe 16 Jahren Amtszeit und klar erkennbarer Amtsmüdigkeit wollte die Mehrheit der Bürger ihren Langzeitkanzler nicht länger »aussitzen«. Alle anderen Kanzler wurden jedoch nicht von den Wählern, sondern von den eigenen Partei»freunden« oder den Koalitionspartnern in den Ruhestand geschickt.
Von Adenauer bis Kohl
Konrad Adenauer wehrte sich nach 14-jähriger Amtszeit gleichsam mit Händen und Füßen gegen das Ende seiner Kanzlerschaft. Schließlich wurde es von seiner Partei und dem Koalitionspartner FDP erzwungen. Der »Alte von Rhöndorf« trat am 15. Oktober 1963 zurück. Sein Nachfolger wurde der frühere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Unter dessen politischer Führung errang die Union im September 1965 einen glänzenden Sieg. Ein gutes Jahr später kam ihm jedoch die FDP als Koalitionspartner abhanden. Kurt Georg Kiesinger (CDU) übernahm als Chef einer ersten GroKo aus Union und SPD die Amtsgeschäfte. Auch er erzielte bei der nächsten Bundestagswahl ein sehr gutes Ergebnis – knapp unter der absoluten Mehrheit der Mandate. Weil aber die FDP zur SPD überlief, wurde Kiesinger 1969 von Willy Brandt abgelöst. Der wiederum trat am 7. Mai 1974 im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre zurück. Sein Nachfolger Helmut Schmidt verlor seine Kanzlerschaft, als die FDP die sozialliberale Regierung aufkündigte und Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 durch ein Konstruktives Misstrauensvotum Bundeskanzler wurde.
Dessen Nachfolger Gerhard Schröder stellte vor dem Hintergrund innerparteilicher Turbulenzen und Wahlniederlagen am 1. Juli 2005 im Bundestag die Vertrauensfrage, um Neuwahlen zu erzwingen. Die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel ging mit gewaltigem Vorsprung ins Rennen. Den vergeigte sie jedoch durch einen dilettantischen Wahlkampf. Sie verspielte einen Vorsprung von 13 Punkten und konnte sich nur noch in eine Große Koalition retten. Hätte der Wahlkampf zwei Wochen länger gedauert, wäre Merkel wohl nicht Kanzlerin geworden. Tatsächlich haben die Bürger zwar Schröder als Kanzler abgewählt, doch nur, weil er selbst die vorgezogenen Parlamentswahlen herbeigeführt hatte. Insofern ändert dies nichts an der Gültigkeit der grundsätzlichen Aussage, dass die Deutschen ihre Bundeskanzler nur sehr selten abwählen.
Die Angst vor Veränderungen
Warum? Obrigkeitshörigkeit? Angst vor Veränderungen? Festhalten an dem, was man kennt? Vermutlich von jedem etwas. Wer in diesen Tagen mit Bürgern spricht, der gewinnt sehr schnell den Eindruck, dass eine Mehrheit von Merkel nicht mehr begeistert ist (als Mindestaussage). Auf die weitergehende Frage, ob Merkel daher so schnell wie möglich abgewählt gehört, bekommt man eher zögerliche Antworten, häufig begleitet von einem Achselzucken: »Ist ja sonst keiner da, der es machen könnte.«
Wie bitte? In einer der weltweit führenden Nationen, reich an Talenten aus unterschiedlichen Disziplinen, soll niemand zu finden sein, der dieses Land besser regiert als die Flüchtlingsmutti? Das wäre in der Tat ein Armutszeugnis. Vor allem für die Union als die größte Regierungspartei.
Ebenfalls oft zu hören: »Sicher, die Merkel gehört endlich abgelöst. Aber wer weiß, wer dann kommt. Der macht’s auch nicht besser.« Der Frust über die ganze Politikerkaste führt dazu, dass man an Merkel aus Angst vor dem, was kommen könnte, festhält. Wobei – am Rande bemerkt – diese Angst nicht gänzlich unbegründet ist, wenn man sich etwa eine Bundeskanzlerin Kramp-Karrenbauer vorstellt.
»Da weiß man, was man hat«
Der dritte Grund, weshalb noch immer viele Bürger zögern, Merkel in die Wüste zu schicken, und ihre Kreuzchen trotz allem brav bei der CDU machen, ist die rätselhafte Anziehungskraft des Mainstreams. Wer keine eigene gefestigte Meinung hat, orientiert sich vorsichtshalber an dem, was er Tag für Tag von den Mainstream-Medien vorgesetzt bekommt. Darauf angesprochen, heißt es dann meist: »Ich kann eh daran nichts ändern.«
In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es einen erfolgreichen Werbeslogan für ein Waschmittel. Er lautete: »… Da weiß man, was man hat.« Dass dieser Slogan so erfolgreich war, zeigt, wie sehr die Deutschen mehrheitlich Veränderungen fürchten und daher gern so lang wie möglich am Status quo festhalten. Bloß keine wie immer gearteten Risiken eingehen! Und genau dieses Denken bedient Angela Merkel. Sie sagt nicht: »Da wissen Sie, was Sie haben«, sondern – leicht variiert – »Sie kennen mich« (damit wandte sich Merkel 2013 im Rededuell mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück direkt an die Zuschauer). Man soll es nicht für möglich halten, aber dieser banale Satz führte mit zum Wahlsieg Merkels.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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