Birgit Stöger

Schlaraffenland-Effekt:

Migranten überweisen Milliarden

Mit Rücküberweisungen oder auch Heimatüberweisungen werden jene Geldströme oder auch Sachgüter bezeichnet, die Migranten in ihre Herkunftsländer überweisen oder senden. Diese Art von Geld- oder Gütertransfer gibt es seit Jahrzehnten, und sie hat eine enorme Sogwirkung auf die Massenmigration. Heute mehr denn je.

Am Beispiel der Türkei wurde bereits früh deutlich, welche Bedeutung diesen Transfers zukommt. Das auf maßgeblichen Druck der USA zustande gekommene Anwerbeabkommen vom 30. Oktober 1961 zwischen der deutschen Regierung und dem strategisch wichtigen NATO-Land Türkei war für das wirtschaftlich am Boden liegende islamische Land extrem hilfreich. Hier sei nur am Rande erwähnt, dass die damalige Anwerbung ausschließlich für Unverheiratete aus dem europäischen Teil der Türkei vorgesehen war und ein Familiennachzug beziehungsweise die Familienzusammenführung explizit ausgeschlossen wurde.

Bereits um 1970, so die Schätzungen, lebten bis zu zehn Prozent der Menschen in der Türkei teilweise oder ganz von den Überweisungen aus Deutschland. Die erste Generation der türkischen Gastarbeiter ernährte somit nicht nur sich und ihre Kleinfamilien im Gastland Deutschland, sondern ganze Großfamilien in Anatolien und trug so wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Bevölkerungszunahme am Bosporus bei. Allein in den 1960er-Jahren waren auf diese Weise rund zehn Milliarden D-Mark aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei geflossen. So wurde das Land am Bosporus über die Jahre hinweg mehr als einmal vor dem Untergang bewahrt.

Als sich aber die wirtschaftliche Lage der Türkei eher verschlechterte, bewirkte der Geldtransfer in die türkische Heimat, dass sich nicht nur die Ehefrauen, sondern auch weitere Mitglieder der großen türkischen Familienverbünde auf den Weg nach Deutschland machen konnten. Die 1971 von der Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt (SPD) genehmigten Aufenthaltsverlängerungen taten dann ihr Übriges und entkoppelten endgültig die türkische Immigration vom deutschen Arbeitsmarkt.

Migranten überwiesen 2016 fast 18 Milliarden Euro

In welchem Umfang Migranten und Flüchtlinge in Deutschland jährlich Gelder ins Ausland überweisen, diese Information begehrte jetzt die AfD-Bundestagsfraktion durch eine Große Anfrage (Drucksache 19/1955) von der Bundesregierung zu erfahren. Gefragt wurde ebenfalls danach, welche Rolle diese Zahlungen für Entwicklungsländer spielen und ob die Zahlungen einzelnen Personengruppen wie Asylbewerbern, Asylberechtigten, Flüchtlingen, subsidiär Schutzberechtigten, geduldeten oder vollziehbar Ausreisepflichtigen und allen anderen ausländischen Staatsbürgern in Deutschland zugeordnet werden können.

Die Bundesregierung griff in ihrer Antwort – mutmaßlich aus Mangel an eigenem Datenmaterial – auf Zahlen der Weltbank zurück. Die im Antwortschreiben der Bundesregierung verlinkte Excel-Tabelle der Weltbank verwendet für die Zifferngruppierung wie in Deutschland üblich einen Punkt. Die Bundesregierung hatte den Punkt jedoch als Dezimaltrennzeichen interpretiert und damit die Rücküberweisungen um den Faktor 1000 falsch dargestellt. Die Bundesregierung benannte somit fälschlicherweise für das Jahr 2009 einen Gesamtbetrag von 15 »Millionen« US-Dollar. Der korrekte Betrag – da es sich ja nicht um Millionen, sondern um Milliarden handelt – belief sich aber tatsächlich auf sagenhafte 15 Milliarden US-Dollar, die von der genannten Personengruppe aus Deutschland in die jeweiligen Herkunftsländer überwiesen worden waren.

Sieben Jahre und einige Hunderttausende Immigranten später haben sich die Auslandsüberweisungen auf 20 Milliarden US-Dollar summiert, die allein im Jahr 2016 aus Deutschland abgeflossen sind. Deutschland gehört demnach laut Welt-Online zu den größten Ausgangsländern privater Geldtransfers. Nur aus den USA, Saudi-Arabien und der Schweiz wurden 2016 noch größere Summen überwiesen.

Immigrationsbeschleunigung durch Rücküberweisungen

Klar zu erkennen ist, dass das Phänomen der Rücküberweisungen in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Ein Motiv für die Überweisenden ist unbestritten – wie am Beispiel der Türkei kurz angesprochen – die Unterstützung der im Herkunftsland verbliebenen Familienangehörigen. Und wie bei der türkischen Massenzuwanderung über die vergangenen 40 Jahre hinweg lösen auch die aktuell geleisteten Rücküberweisungen eine Sogwirkung aus. Hierbei kommt es nicht selten zu impliziten Absprachen zwischen den Mitgliedern einer Migrantenfamilie, die darauf hinauslaufen, die von den Familienangehörigen vorfinanzierten hohen Migrations- und Niederlassungskosten nach erfolgreicher Zuwanderung zurückzuzahlen, so auch die Position der AfD.

Das zeigt sich insbesondere an den Rücküberweisungen in Länder der Regionen Subsahara-Afrika und Nahost/Nordafrika. Die Zahlungen dorthin sind von 2002 bis 2013 stetig angestiegen. Für Subsahara-Afrika wird sogar ein Anstieg von fünf auf 26 Milliarden US-Dollar genannt, für Nahost/Nordafrika ein Anstieg von 15 auf 39 Milliarden Dollar. Zudem erfassen die Berechnungen der Weltbank nicht alle Transaktionen, sodass Experten auch eine doppelte Transaktionshöhe nicht ausschließen.

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wie sich Rücküberweisungen auf die Einkommensverteilung, das Ausgabeverhalten in Bildung und Gesundheit, Investitionen und Wachstum sowie allgemein auf die Armutsbekämpfung in den jeweiligen Entwicklungsländern auswirken. Schließt man kriminelle Personengruppen von der Betrachtung aus, muss festgestellt werden, dass es in aller Regel nicht die ärmsten, sondern Angehörige mittlerer Einkommensschichten sind, die eine Migration anstreben und als Erste in andere Staaten übersiedeln, da nur sie die hohen Kosten der Migration aufwenden können. Sobald sich Migrationsnetzwerke im Zielland gebildet haben und Rücküberweisungen stattfinden, können sich auch ärmere Clan- oder Familienmitglieder auf den Weg machen.

Regierung: Rücküberweisungen sind »entwicklungsfördernd«

Die Bundesregierung sieht indes in den zum hohen Teil durch Steuergeld finanzierten Rücküberweisungen eine Art Entwicklungshilfe. So zumindest ist die Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der AfD zu verstehen. Darin heißt es, die Geldtransfers seien »entwicklungsfördernd« und würden – so Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) in seinem seit Langem beworbenen »Marshallplan für Afrika« – die Migration aus armen Ländern nach Europa und somit nach Deutschland deutlich zu reduzieren helfen.

Ein aktueller Forschungsbericht des »Instituts zur Zukunft der Arbeit« (IZA) deutet jedoch darauf hin, dass die Hoffnung des Entwicklungshilfeministers sich so nicht erfüllen wird. Obwohl Deutschland im vergangenen Jahr über 20 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe ausgegeben hat und somit der zweitgrößte Geldgeber weltweit ist, haben verschiedene Studien gezeigt, dass Migration erst dann abnimmt, wenn das Pro-Kopf-Einkommen in den jeweiligen Staaten signifikant ansteigt.

Der enorme Bevölkerungszuwachs auf dem afrikanischen Kontinent wird diese notwendige Einkommenssteigerung jedoch extrem verlangsamen. In Afrika scheint die Bevölkerungsexplosion erst richtig an Fahrt aufzunehmen. Trotz einer Kindersterblichkeitsrate von durchschnittlich 15 Prozent für Kinder unter fünf Jahren wird die Bevölkerung laut einer Prognose der Vereinten Nationen bis 2050 auf 2,5 Milliarden und bis 2100 auf 4,4 Milliarden Menschen ansteigen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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