Alex Emmons
Pentagon-Mitarbeiter, der an der Vergabe eines 10-Milliarden-Dollar-Auftrags beteiligt war, erhielt Jobangebot von Amazon – das sich um eben diesen Auftrag bewarb
Der Technologiekonzern Oracle hat seine Vorwürfe gegen Amazon mit neuen Einzelheiten untermauert. Amazon soll einem damaligen Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums heimlich einen Posten angeboten haben. Das Pikante daran: Ausgerechnet dieser Mitarbeiter war an dem Ausschreibungsprozess für einen riesigen Staatsauftrag beteiligt, bei dem Amazon zu den wichtigsten Bietern zählte.
Amazon Web Services und Microsoft sind nunmehr die beiden Finalisten bei der Ausschreibung des begehrten, 10 Milliarden Dollar schweren Kontrakts für »JEDI«, die Joint Enterprise Defense Infrastructure. Es ist eine der größten staatlichen Ausschreibungen der amerikanischen Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Aufgabe, das amerikanische Verteidigungsministerium rund um den Globus mit Cloud-Computing-Diensten zu versorgen.
Seit die Behörde vergangenes Jahr begann, Angebote einzuholen, ist ein heißer Bieterkampf um den Auftrag ausgebrochen. Die beiden Amazon-Wettbewerber IBM und Oracle reichten beim Rechnungshof Beschwerde ein und erklärten, die Maßgabe, wonach ein einzelner Anbieter den kompletten Auftrag erhalten soll, begünstige auf unfaire Weise Amazon, den Marktführer in Sachen Cloud-Computing. Nachdem Oracles Beschwerde abgelehnt worden war, verklagte das Unternehmen den Staat vor dem Court of Federal Claims, dem obersten Bundesverwaltungsgericht.
Seit Beginn der juristischen Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr erhebt Oracle aggressiv Vorwürfe, es habe Interessenkonflikte gegeben. Davon betroffen ist auch Deap Ubhi, ein früherer Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, der 2017 eine Stelle bei Amazon antrat. Während Ubhi im Spätsommer und Herbst 2017 mit den vorläufigen Recherchen für JEDI befasst war, habe er heimlich und über Monate hinweg mit Amazon Jobverhandlungen geführt, bei denen es auch um Gehälter, Antrittsboni und lukrative Aktienoptionen ging, erklärte Oracle in einer Eingabe bei Gericht.
Weiter heißt es in dem Dokument, dass sich Ubhi erst Wochen, nachdem er Amazons Jobangebot mündlich akzeptiert hatte, für befangen erklärte und in der Zwischenzeit weiterhin Informationen über Amazons Wettbewerber erhielt und an Meetings zu technischen Anforderungen teilnahm, obwohl staatliche Bestimmungen derartige Interessenkonflikte verbieten.
»Weder Ubhi noch [Amazon Web Services] setzten das Verteidigungsministerium über die Anstellungsgespräche oder das Jobangebot in Kenntnis – nicht, als die Gespräche begannen, nicht als das informelle Jobangebot gemacht wurde, nicht, als das förmliche Angebot gemacht wurde, und nicht einmal, als Ubhi das Angebot annahm«, heißt es in Oracles Schriftstück.
Weil Amerikas Technologiefirmen sich weiterhin schneller als das Pentagon entwickeln, hat das Verteidigungsministerium versucht, seine eigene Informationstechnologie zu entwickeln und zu diesem Zweck versucht, Talente aus dem Silicon Valley abzuwerben.
Ubhi ist ein Wagniskapitalgeber und IT-Unternehmer, der bereits vor seiner staatlichen Anstellung bei Amazon gearbeitet hatte. Er akzeptierte einen Job bei einer Initiative des Verteidigungsministeriums, bei der es darum ging, in Zusammenarbeit mit dem Silicon Valley die IT-Systeme des Pentagons zu modernisieren. Nachdem er als Teil eines vierköpfigen Teams die Ausschreibung für JEDI mit gestaltet hatte, verließ er die Behörde und kehrte im November 2017 zu Amazon zurück.
Ein Sprecher von Amazon Web Services wollte keinen Kommentar abgeben und war mit Verweis auf den laufenden Rechtsstreit auch nicht bereit, Ubhi für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Elissa Smith, Pressesprecherin des US-Verteidigungsministeriums, sagte The Intercept: »Wir kommentieren laufende Rechtsstreits nicht.«
In einem früheren Antrag hatten Anwälte der US-Regierung Oracle vorgeworfen, einen »breit angelegten Fischzug« zu betreiben, bei dem es »in erster Linie darum geht, Unterstützung für die Behauptung zu finden, dass die strittige Bewerbung angebliche Interessenkonflikte überschatten wird«.
Laut Oracles Antrag begann Ubhi im August 2017, mit Amazon über einen Job zu verhandeln. Zu dieser Zeit arbeitete er an der Frühphase des JEDI-Programms. Laut Oracle begannen »weitreichende Diskussionen« über ein Beschäftigungsverhältnis Ende September und Ubhi habe am 4. Oktober mündlich zugesagt, den Job zu übernehmen. Doch erst am 31. Oktober habe er sich für befangen erklärt und in der Zwischenzeit hat er nach Auffassung Oracles Einfluss auf das Programm genommen.
Das Gesetz Procurement Integrity Act schreibt vor, dass Staatsdiener, die von einem Bieter für einen Auftrag bezüglich einer Beschäftigung außerhalb des Staatsdienstes angesprochen werden, einen von zwei Wegen zu gehen haben: Entweder melden sie den Kontakt und lehnen das Angebot ab oder sie erklären sich sofort für befangen, was sämtliche Vertragsbelange angeht.
»Aufträge sollten gerecht ausschließlich auf der Basis des Verdienstes vergeben werden«, sagt Mandy Smithberger, die das Center for Defense Information am Project on Government Oversight leitet. »Der Procurement Integrity Act soll gewährleisten, dass Jobangebote und andere finanzielle Interessenkonflikte diesen Prozess nicht stören.«
Eine Prüfung durch das Verteidigungsministerium ergab Gerichtsdokumenten zufolge für 2018, dass in vier Fällen Personen mit potenziellen Interessenkonflikten am JEDI-Programm gearbeitet hatten. Nach Einschätzung der Behörde sei der Ausschreibungsprozess dadurch jedoch nicht kompromittiert worden. Zwei weitere Prüfungen durch den Rechnungshof und das Verteidigungsministerium kamen zum selben Schluss.
Der zweiten Prüfung durch das Pentagon ging eine Mitteilung des Ministeriums voraus, wonach man »neue Erkenntnisse« über Ubhi erhalten habe und diesen nachgehe. Laut Oracles Einreichung bei Gericht stammten die »neuen Erkenntnisse« aus einer verspäteten Eingabe Amazons beim Vergabeoffizier, in der schließlich die über Monate andauernden Verhandlungen über eine Anstellung eingeräumt wurden.
Ubhi hat Oracle zufolge dem Vergabeoffizier gegenüber Falschangaben gemacht, als er sich für befangen erklärte. Er soll gesagt haben, Amazon wolle ein Unternehmen kaufen, an dem er beteiligt sei, und lege deshalb sein Amt nieder. Dies sei laut Oracle ein Vorwand gewesen, um zu vertuschen, dass er über Monate hinweg mit Amazon über einen Job verhandelt hatte.
In Oracles Antrag heißt es, nachdem Ubhi Amazon mündlich zugesagt hatte, nahm er weiterhin an Pentagon-Treffen zu den technischen Anforderungen des JEDI-Programms teil und erhielt Angebote von Amazon-Wettbewerbern bis zu dem Zeitpunkt, als er sich für befangen erklärte. Ubhi soll zudem Material des JEDI-Projekts auf seinen eigenen Laptop heruntergeladen haben.
Ubhi spielte nach Auffassung Oracles eine zentrale Rolle dabei, das Pentagon davon zu überzeugen, die Dienste eines einzelnen Anbieters in Anspruch zu nehmen. Diese Entscheidung hat nach allgemeiner Auffassung Amazons Erfolgsaussichten verbessert. Oracle zitiert berufliche Nachrichten Ubhis auf der Plattform Slack, in denen er versucht, Kollegen von seiner Sichtweise zu überzeugen. Was seine Gründe oder seine Motivation gewesen sein könnten, führt das Unternehmen nicht aus.
Anwälte des Staates halten dem entgegen, dass Ubhi zu einer frühen Phase des Prozesses involviert war, noch bevor die Behörde ihre Angebotsentwürfe verschickt hatte. Der stellvertretende GAO-Direktor hat ausgesagt, Ubhis Rolle im Verteidigungsministerium habe darin bestanden, bei einem Marktforschungsbericht die Leitung zu übernehmen. Ihn als Leiter des Akquiseprozesses zu bezeichnen, sei nicht zutreffend.
Aus der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bei Amazon Web Services hieß es zu früheren Zeitpunkten, dass Ubhi in der kommerziellen Abteilung des Unternehmens arbeite, nicht in der Sparte für den öffentlichen Dienst. Das minimiere seine Kontakte zu den Teilen des Konzerns, die für den Kontrakt zuständig wären.
Quelle: The Intercept
Mittwoch, 05.06.2019