Torsten Groß
Kampf um »Görliwood«: Alle gegen einen Polizeioberkommissar
Die ostsächsische Grenzstadt Görlitz, die mit ihrem historischen Zentrum bereits für einige große Hollywoodproduktionen als Kulisse diente, befindet sich seit Bekanntgabe der jüngsten Wahlergebnisse in Aufruhr. Nicht etwa, weil die Alternative für Deutschland (AfD) die Europawahlen mit großem Abstand (32 Prozent) für sich entschieden hat – das gehört in »Dunkeldeutschland« mittlerweile in die Kategorie Normalität. Fürchterlich dunkle Wolken sind im politischen Görlitz aufgezogen, weil bei der zeitgleich abgehaltenen Oberbürgermeisterwahl rund 10.000 der 27.000 Görlitzer Wähler für den Ordnungshüter Sebastian Wippel gestimmt haben. Der dreifache Familienvater sitzt seit 2014 für die AfD im Landtag und könnte das erste Stadtoberhaupt seiner Partei in Deutschland werden.
Bei einer Wahlbeteiligung von 58,6 Prozent haben die Görlitzer in der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl am 26. Mai 2019 mit 36,4 Prozent (9710 Stimmen) für den AfD-Politiker Sebastian Wippel votiert. Hinter dem 37 Jahre alten Polizeioberkommissar, der neben seinem Landtagsmandat auch noch mit verminderter Stundenzahl den aktiven Polizeidienst in Görlitz verrichtet, landeten CDU-Kandidat Octavian Ursu (51 Jahre) mit 8077 Stimmen (30,3 Prozent) und die Grünen-Politikerin Franziska Schubert, die auch vom Bündnis Bürger für Görlitz e. V. unterstützt wurde, mit 7436 Stimmen (27,9 Prozent). Die Kandidatin der SED-Nachfolgeorganisation Die Linke, Jana Lübeck, Geburtsjahr 1984, landete mit 1470 Stimmen (5,5 Prozent) weit abgeschlagen auf dem vierten Platz.
Die Wähler der östlichsten Stadt Deutschlands haben daneben auch bei der Gemeinderatswahl für einen Paukenschlag gesorgt: 13 der insgesamt 38 Gemeinderatsmandate gingen an die von Spitzenkandidat Sebastian Wippel angeführte AfD-Liste. Die CDU konnte 9 Mandate und das Bündnis Bürger für Görlitz 7 Mandate auf sich vereinigen. Die Linken und Grünen spielen mit jeweils 3 Mandaten ebenso wenig eine Rolle wie die Freie Liste Motor Görlitz mit 2 Mandaten und die SPD mit einem Mandat. Auch bei dieser Wahl errang AfD-Spitzenkandidat Wippel mit großem Abstand die meisten Kandidatenstimmen. 17186 Kreuze durfte der beliebte Polizeioberkommissar, der sich im Sächsischen Landtag als Mitglied im Innenausschuss und Parlamentarischen Kontrollgremium vorwiegend um Themen der Sicherheitspolitik sowie Belange der örtlichen Polizei kümmert, für sich verbuchen. Der zweitplatzierte Bürger-für-Görlitz-Kandidat, Dr. Rolf Weidle, erhielt 2952 und der drittplatzierte CDU-Kandidat Dieter Gleisberg 2857 Stimmen.
Seither formiert sich in der deutlich zweigeteilten Stadt eine extrem bunt gemischte »Einheitsfront« gegen Sebastian Wippel. CDU-Kandidat Ursu, ein aus Rumänien stammender diplomierter Musiker, verkündete bereits wenige Stunden nachdem die Ergebnisse der ersten Runde des OB-Wahlkampfes feststanden, als Zweitplatzierter in der erforderlich gewordenen Stichwahl gegen Wippel anzutreten, und schloss sogleich jegliche Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene aus. Die gemeinsame Kandidatin der Grünen und des Bündnisses Bürger für Görlitz, Franziska Schubert, zog sich daraufhin zähneknirschend zurück – denn auch sie hatte sich als Kandidatin des neu formierten Bündnisses gegen Wippel Chancen ausgerechnet.
Auch diverse namhafte wie unbekannte Promis aus der Kunst-, Musik- und Schauspielszene haben sich im Rahmen eines offenen Briefes mit einem Appell an die Görlitzer gewandt und diese aufgefordert, »weise« zu wählen. Ohne fundierte Kritik an AfD-Kandidat Sebastian Wippel befürchten die Unterzeichner des Briefes, dass »Feindseligkeit, Zwietracht und Ausgrenzung« unter ihm als OB in Görlitz Einzug halten könnten, und drohen unverhohlen damit, künftig nicht mehr in der Europastadt drehen zu wollen.
Die KOPP-Redaktion hat den Mann, um den sich in diesen Tagen alles in Görlitz dreht, zum Gespräch gebeten.
Redaktion: Herr Wippel, was konkret ändert sich für die Menschen in Görlitz unter einem Oberbürgermeister Sebastian Wippel?
MdL Sebastian Wippel: Ich denke, es lässt sich für die Görlitzer eine ganze Menge zum Positiven bewegen. Wenn unsere Stadt zusammen mit der Landes- und Bundespolizei für spürbar mehr Sicherheit sorgt, dann zieht das einen Gewinn an persönlicher Freiheit für jeden Einzelnen nach sich. Ein weiterer Schwerpunkt für mich sind die Familien: Gelingt es uns, mit den vergleichsweise niedrigen Mieten, guten Kitas und einer familienfreundlichen Atmosphäre Rückkehrer zu überzeugen, dann freuen sich die in Görlitz verbliebenen Großeltern. Ich möchte den sozialen Zusammenhalt stärken, weil ich Politik für die Menschen machen werde und nicht über ihre Köpfe hinweg.
Redaktion: Wie begegnen Sie dem doch eher ungewöhnlichen Bündnis aus Politikern sämtlicher Couleur und aus Künstlern, die aktuell allesamt das tun, was man der AfD von linkspolitischer Seite häufig vorwirft: ein Schreckensszenario an die Wand zu malen?
MdL Sebastian Wippel: Die Altparteien betreiben in der Tat ein Spiel mit der Angst. Das haben Sie gut beobachtet. Ich will das gar nicht weiter kommentieren, denn diese Strategie spricht für sich. Hinter Herrn Ursu sammeln sich die Inhaltslosen. Ich setze dagegen auf klare Positionen und den Mut zur Wahrheit. Unsere Bürger in Görlitz wollen Veränderungen, und die werden sie auch bekommen.
Redaktion: Herr Wippel, Ihr Gegenkandidat, der CDU-Landtagsabgeordnete Octavian Ursu, hat jedwede Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene abgelehnt und angedroht, dass ein OB Wippel keines seiner Projekte im Rat realisieren könne. Für wie realistisch halten Sie diese Ankündigung? Sind die Reihen der Parteien wirklich so geschlossen?
MdL Sebastian Wippel: Als Demokrat sehe ich es als meine Verpflichtung an, mit allen Bürgern, Parteien und Abgeordneten das Gespräch zu suchen. Wir müssen kompromissbereit sein. Das ist klar und gilt insbesondere, wenn sachlich konstruktive Vorschläge gemacht werden. Ein Oberbürgermeister hat immer auch die Aufgabe, die besten Vorschläge, die aus seiner Stadt kommen, umzusetzen. Das wird mein Kompass sein.
Wenn nun Herr Ursu oder die CDU damit drohen, unsere Stadt lahmzulegen und mich zu blockieren, so ist dies ein Armutszeugnis für sie selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Görlitzer einen Oberbürgermeister wollen, der auch nur eine Minute lang daran denkt, der Stadt bewusst zu schaden.
Redaktion: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Freitag, 14.06.2019