Torsten Groß

»Geruch von Schießpulver«: Krieg der Zivilisationen zwischen China und den USA?

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Das erste Treffen zwischen dem neuen US-Außenminister Antony Blinken und dem chinesischen Spitzendiplomaten Yang Jiechi in Anchorage (Alaska), das Mitte März stattfand, ist offenbar sehr viel frostiger verlaufen als bislang bekannt. Von chinesischer Seite sollen sogar verklausulierte Kriegsdrohungen geäußert worden sein, die nach Einschätzung von Experten auf ein rassistisch geprägtes Überlegenheitsdenken der kommunistischen Führung in Peking fußen.

»Wir werden unsere tiefe Besorgnis über die Handlungen Chinas besprechen, einschließlich denen in Xinjiang, Hongkong, Taiwan, sowie die Cyberangriffe auf die Vereinigten Staaten und den wirtschaftlichen Zwang unserer Verbündeten. Jede dieser Aktionen bedroht die regelbasierte Ordnung, die die globale Stabilität aufrechterhält«, so Außenminister Blinken in seinem Eingangsstatement am 18.03.2021. Die chinesischen Vertreter reagierten auf die Äußerungen Blinkens vor laufenden TV-Kameras sichtlich verärgert und echauffierten sich zunächst darüber, dass der US-Politiker seine laut Protokoll auf vier Minuten begrenzte Redezeit um 44 Sekunden überschritten hatte – um dann selbst eine 15 Minuten dauernde, vorgefertigte Erklärung abzugeben.

Die USA würden den Begriff der nationalen Sicherheit missbrauchen, um den Handelsaustausch zu behindern und dritte Staaten anzustiften, China anzugreifen. Washington setze seine »militärische Macht und finanzielle Hegemonie ein, um andere Staaten zu unterdrücken« so die scharfe Replik von Yang Jiechi. Den Vorwurf, die Menschenrechte sowohl der Uiguren in Xinjiang als auch der Bürger Hongkongs zu missachten, konterte Yang mit der Aufforderung an die US-Regierung, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. In den Vereinigten Staaten gäbe es tiefsitzende Menschenrechtsprobleme wie den Rassismus: »Sie sind nicht erst in den letzten vier Jahren entstanden wie Black Lives Matter«, so Yang.

Diese Äußerung ist kennzeichnend für die neue Linie der staatlichen Propaganda des kommunistisch regierten China, die verstärkt auf das Rassismusthema setzt, um den Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika zu diskreditieren. Anlässlich der teilweise gewalttätig verlaufenen Black-Live-Matter-Proteste in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 äußerte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, die aktuelle Situation demonstriere »die Ernsthaftigkeit der Rassendiskriminierung und der gewaltsamen Strafverfolgung durch die Polizei und die Dringlichkeit für die USA, das anzugehen.« Gleichzeitig warf Peking der amerikanischen Regierung vor, mit zweierlei Maß zu messen, wenn man einerseits die »schwarz gekleideten Aufrührer und Befürworter der Unabhängigkeit Hongkongs« als Helden feiere und andererseits Demonstranten in den USA, die gegen Rassendiskriminierung vorgingen, als Schläger bezeichne.

»Alles, worüber Washington spricht, konzentriert sich auf die USA und auf die Vorherrschaft der Weißen«, legte die Global Times in einem Leitartikel am 19. März nach. Bereits einen Tag zuvor hatte das englischsprachige Blatt, das unter der Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas steht, der politischen Führung in Washington vorgeworfen, mit ihrer Anti-China-Rhetorik Ressentiments und Hass gegen die asiatische Minderheit in den USA zu schüren.

Durch das Ziehen der Rassismuskarte will China nicht nur von eigenen Menschenrechtsverstößen und Versäumnissen in der Corona-Pandemie ablenken. Vielmehr wollen sich die chinesischen Kommunisten auch als Beschützer der Asiaten in den Vereinigten Staaten aufspielen und so dazu beitragen, die mit den BLM-Protesten wieder sichtbar gewordene gesellschaftliche Spaltung des Landes entlang rassistischer Identitäten zu vertiefen, um die USA zu schwächen. Diese Strategie offenbarte sich auch im Zusammenhang mit der Kontroverse um Frau Meng Wanzhou, Finanzvorstand von Huawei Technologies, die aufgrund eines Auslieferungsversuchens der USA im Dezember 2018 im kanadischen Vancouver verhaftet worden war. Chinas Botschafter in Kanada, Lu Shaye, forderte damals die sofortige Freilassung von Meng und wetterte bei dieser Gelegenheit gegen den »westlichen Egoismus und weiße Vormachtstellung«.

Der rassistischen Rhetorik, der sich die chinesischen Kommunisten in letzter Zeit verstärkt bedienen, liegen aber nicht nur taktische Motive zugrunde. Vielmehr manifestiert sich hier eine strategische Neuausrichtung der Propaganda Pekings, die den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg des Landes mit dem Anspruch verbindet, die Völker des »Ostens« im Kampf gegen die dekadenten, im Niedergang befindlichen Nationen des »Westens« anzuführen. »Der Osten steigt und der Westen sinkt«, fasste Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der zugleich Generalsekretär der chinesischen KP ist, das neue Narrativ in einer Grundsatzrede zusammen, die er Ende letzten Jahres hielt. Dieses Konzept erinnert fatal an die Doktrin der Großasiatischen Wohlstandsphäre, die das Japanische Kaiserreich in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verfolgte, um einen »Block von asiatischen Nationen geleitet von Japanern und frei von westlichen Einflüssen« zu schaffen. Sie diente als Vorwand für das militärische Vorgehen Japans in Südostasien und den Angriff auf den US-amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor am 7. Dezember 1941, der zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den 2. Weltkrieg führte.

Der mit rassistischen Argumentationsmustern unterfütterte Führungsanspruch Chinas in Asien lässt nicht nur Bezüge zum imperialen Japan erkennen, sondern verweist auch auf den umstrittenen Buchklassiker The Clash of Civilizations und the Remaking of World Order (deutsch »Der Kampf der Kulturen«) von Samuel Huntington.

Dort vertritt der 2008 verstorbene Politikwissenschaftler die These, dass die wichtigsten Unterschiede zwischen den Völkern nach dem Kalten Krieg nicht ideologisch, politisch oder wirtschaftlich, sondern kulturell begründet seien. Diese These scheint sich mit Blick auf China nun zu bestätigen.

Denn Peking will offenbar die Weltordnung neu gestalten, indem sie den asiatischen »Osten« in einen zivilisatorischen Kampf mit dem »Westen« führt, wobei die kulturelle Trennlinie zwischen den konkurrierenden Machtblöcken auf Basis rassischer Kriterien gezogen wird. Ähnliche Vorstellungen wie der heutige Staatspräsident Xi Jinping vertrat auch der kommunistische Übervater Mao Tse-Tungs, der die Völker Asiens und Afrikas für einen gemeinsamen Feldzug gegen den Westen vereinen wollte. Nachdem diese Doktrin jahrzehntelang in der Versenkung verschwunden war, weil China von westlichen Investitionen und dem Technologietransfer profitieren wollte, wird sie nun reaktiviert. Die Chinesen sehen den Westen auf dem absteigenden Ast, ein Eindruck, der sich in der Corona-Pandemie weiter verfestigt hat. Diese Schwäche will man nutzen, um die USA mittelfristig als globale Führungsmacht abzulösen.

Besorgniserregend ist, dass China grundsätzlich bereit zu sein scheint, dieses Ziel notfalls auch mit militärischen Mitteln zu erreichen. In einer Anfang Januar dieses Jahres gehaltenen Rede befahl Xi den Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee, die Kampfbereitschaft zu erhöhen, um in »jeder Sekunde« handeln zu können. Nur wenige Stunden nach dem Auftakt der Konsultationen mit US-Diplomaten in Anchorage äußerte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, bei dem Treffen habe es einen »starken Geruch nach Schießpulver« gegeben. Peking will mit dieser Metapher zum Ausdruck bringen, dass man sich in der aktuell angespannten Situation auch einen militärischen Konflikt mit den USA vorstellen könnte, was als eine eindeutige, an die Adresse Washingtons gerichtete, Warnung zu werten ist.

In der chinesischen Propaganda wird der Begriff »Schießpulver« auch verwendet, um die eigene Bevölkerung an die Erniedrigung Chinas durch die europäischen Mächte und allen voran durch Großbritannien (Opiumkriege) im 19. Jahrhundert zu erinnern. Auf diese Weise werden nationalistische Leidenschaften angefacht mit dem Ziel, das Volk zu einen und gegebenenfalls auf einen Krieg einzustimmen. Es ist deshalb ein Alarmsignal, dass die Führung in Peking diesen im chinesischen Sprachgebrauch hoch emotionalen Begriff jetzt erneut verwendet, um das aktuelle Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu beschreiben. Der »Clash of Civilizations«, vor dem Huntington bereits vor 30 Jahren warnte, könnte also ausgehend von einem veränderten, auf rassistischen Stereotypen basierenden Weltbild Chinas im 21. Jahrhundert tatsächlich Realität werden.

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Donnerstag, 08.04.2021