Michael Grandt
Afghanen lehnen »eingebombte«
Demokratie ab
Es ist eine wahre Schande für die westlichen »Demokratiebringer« in Afghanistan. Jetzt könnten die Menschen wählen, aber keiner geht hin. Im Gegenteil: Immer mehr wünschen sich sogar die Taliban zurück. Ein Protokoll des Scheiterns und der Lüge.
Der 20. Oktober 2018 soll ein historischer Moment für den südasiatischen Binnenstaat der Islamischen Republik Afghanistan werden. An diesem Tag dürfen nämlich erstmals in der Geschichte des Landes die Distrikträte vom Volk gewählt werden. Eine wichtige Wahl, welche die Demokratiefähigkeit und die Demokratielust der Afghanen demonstrieren soll.
Denn Afghanistan ist in 34 Provinzen aufgegliedert, die wiederum in 329 Distrikte unterteilt sind. Den Provinzen steht jeweils ein Gouverneur vor. Dieser wird von der Regierung in der Hauptstadt Kabul ernannt oder bestätigt. Die Distrikträte wiederum haben die Aufgabe, den Gouverneuren auf die Finger zu sehen.
Zudem wählen sie zu einem Drittel den Ältestenrat des Parlaments. Sie haben damit eine wichtige demokratische Aufgabe und Kontrollfunktion inne. Doch die Wahl scheint nun bereits im Vorfeld zu scheitern. Schon Wochen vorher ist klar:
Kaum ein Bürger interessiert sich dafür – und das, obwohl die Distrikträte erstmals durch das Volk selbst gewählt werden dürfen. Lediglich in 40 von insgesamt 398 Distrikten gibt es ausreichend viele Kandidaten. In 42 Distrikten gibt es gleich gar keine, und in 120 von ihnen tritt nicht eine einzige Frau an. In 90 Prozent der Distrikte kann aus formalen Gründen also gar nicht gewählt werden. Die »Unabhängige Wahlkommission« will die Wahlen deshalb auf den April 2019 verschieben.
»Demokratie« kann nicht »eingebombt« werden
Es wird deutlich, dass die Afghanen das Vertrauen in die Demokratie wohl vollends verloren haben. Das ist eine Schande für den Westen, der den Afghanen die Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes »einbomben« wollte.
Die westlichen Besatzer (es sind immerhin noch über 40 000 fremde Soldaten im Land) haben nie die Kultur derer verstanden, denen sie »ihre« Demokratie gewaltsam oktroyieren wollten. Für uns mag die Demokratie wohl die »allglückseligste« Regierungsform sein. In einem Land, in dem seit Jahrtausenden Clan- und Stammesführer das Wort haben, jedoch nicht.
Immer mehr Afghanen wünschen sich zwischenzeitlich sogar die Taliban zurück. Dies ist mehr als nur eine Bankrotterklärung der Afghanistanpolitik und zeigt: Man kann Demokratie und West-Kultur einer muslimisch geprägten Kultur nicht einfach einbomben, sowieso nicht, wenn die Menschen sie nicht wollen.
»Regierung« gilt als Schimpfwort
In vielen Provinzen haben noch Stämme und Warlords das Sagen. Der Begriff »Regierung« gilt dort als Schimpfwort und Provokation gegenüber den Clanführern. Ein Beispiel aus der Provinz Helmand illustriert, wie unsinnig westliche »Besatzer« (so werden die fremden Soldaten noch häufig gesehen) agieren: Die Briten errichteten einen knapp 500 000 Euro teuren Vorzeigepark am Rande von Laschkar Gah.
Hier gab es ein Riesenrad, Baumalleen, Spielplätze, Imbissbuden und vieles mehr. Der »Park für Frauen« sollte mehr Lebensqualität bringen und eine Oase der Frauen nach dem »Joch« der Taliban sein. Doch der Park ist komplett leer. Ein Einwohner erklärt: »Das war kein passender Ort, um einen Park für Frauen zu bauen, damals nicht und heute nicht.
Denn die Menschen von Helmand sind noch nicht so weit, was Bildung, Kultur und soziale Reformen angeht. Frauen würden nie soweit weg von zu Hause gehen. Sie würden nicht zu Picknickplätzen oder in Parks gehen, um Spaß zu haben. Diese Kultur existiert hier nicht.«
Das ist der Punkt: »Diese (westliche) Kultur existiert hier nicht« und kann den Menschen, die seit Jahrhunderten anders leben, auch mit noch so vielen Vergnügungsparks und demokratischen Maßnahmen nicht nähergebracht werden.
Der Autor dieses Beitrags hat in verschiedenen arabischen Ländern immer und immer wieder gehört, dass die Menschen gar keine Demokratie wollen. Für sie ist Demokratie korrupt, verlogen und kapitalistisch geprägt. Ihre Stammes- und Clanführer sind für sie die Entscheider. Das ist seit jeher so und soll auch so bleiben, egal was die Amerikaner, Briten, Franzosen oder Deutschen sagen.
»Unsere Gerechtigkeit ist endgültig«
Ähnlich ist es mit Justizverfahren. In Afghanistan gilt noch in weiten Teilen des Landes, hauptsächlich in den Dörfern, die Taliban-Justiz. Das heißt: Nach dem Freitagsgebet wird von den Dorfältesten und Vertretern der Taliban Gericht gehalten.
Ein Taliban-Kommandeur erläutert die Vorgehensweise: »Wenn eine Seite die andere beschuldigt, hören wir uns beide Parteien an. Wir warten ab, bis beide ausgesprochen haben. Dann laden wir sie zu einem Termin vor und verkünden das Urteil. Wir lösen die Probleme der Menschen ein für alle mal. Niemand muss noch einmal zurückkommen. Unsere Gerechtigkeit ist endgültig.«
Die Stimmen jener mehren sich, die sich nach Sicherheit und Gerechtigkeit sehnen. In ihren Augen kann ihnen das die westliche »Demokratie« und deren verweichlichte Justiz nicht geben. Als die Taliban noch regierten und Kriminelle samstags exekutierten, fühlten sich viele Menschen in der ländlichen Gegend sicherer als jetzt. Nun haben sie Angst um ihre Kinder, vor Attentaten, Bombenanschlägen, Entführungen, Mord und Totschlag.
Donnerstag, 30.08.2018
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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