F. William Engdahl

Armenien: Wird der Kaukasus in Brand gesetzt?

In der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien halten die Demonstrationen an und geben reichlich Anlass zu Spekulationen: Handelt es sich tatsächlich um wütende Bürger, welche die massive Korruption und das Ausbleiben wirtschaftlichen Fortschritts unter Sersch Sargsjan leid sind? Oder versucht Washington, eine weitere Farbrevolution zu erzwingen?

Nach tagelangen Massenprotesten trat der ehemalige Präsident und nunmehr amtierende Ministerpräsident Sargsjan zurück. Er erklärte: »[Oppositionsführer] Nikol Paschinjan hatte recht, ich hatte unrecht.«

Armenien ist ein wichtiger Bestandteil der von Russland ins Leben gerufenen Eurasischen Wirtschaftsunion. Sollte in Jerewan eine NATO-freundliche Opposition an die Macht gelangen oder sollte Armenien einen neuen Krieg mit seinem Nachbarn Aserbaidschan anzetteln, könnte das, zurückhaltend formuliert, Moskau in strategische Nöte bringen. Insofern ist die weitere Entwicklung in dem Kaukasus-Land auch überregional von Bedeutung.

Ironischerweise war der Auslöser für die Demonstrationen Sargsjans Versuch, das zu tun, was Erdoğan in der Türkei versucht hat – nur umgekehrt. Sargsjans Partei, die im Parlament über eine Mehrheit verfügt, hat die Befugnisse des Präsidenten so weit beschnitten, dass das Amt praktisch nur noch zeremonielle Funktion hat. Gleichzeitig wurde alle Macht auf das Amt des Ministerpräsidenten übertragen – kurz bevor aus Präsident Sargsjan Ministerpräsident Sargsjan wurde. Das war der Auslöser für die Massenproteste. Bislang hat sich Moskau sehr bedeckt gehalten, was die anhaltenden Unmutsbekundungen anbelangt. Man werde sich nicht in interne Angelegenheiten Armeniens einmischen, hieß es in Moskau lapidar. Obwohl Sargsjan als Ministerpräsident zurücktrat und bei der Parlamentsabstimmung am 1. Mai nicht gegen Paschinjan kandidierte, gelang es Oppositionsführer Paschinjan nicht, die erforderliche Stimmzahl für eine Ernennung zum Ministerpräsidenten zusammenzubekommen. Er forderte die Bürger daraufhin auf, durch »friedliche Akte zivilen Ungehorsams« den Verkehr lahmzulegen und Regierungsgebäude zu blockieren. Nachdem das Scheitern der Wahl verkündet worden war, erklärte er der Menschenmenge außerhalb des Parlaments: »Für morgen wird ein Generalstreik verkündet. Ab 8.15 Uhr blockieren wir alle Straßen, Kommunikationswege, U-Bahnen und die Flughäfen. Unser Kampf kann nicht scheitern.«

Eine neue Farbrevolution?

Gibt es Beweise dafür, dass Washington in einem für den Kreml strategisch wichtigen Nachbarland eine Farbrevolution anzettelt? Zum einen wissen wir, dass die Open Society Foundation von George Soros in Armeniens Hauptstadt Jerewan ein Büro betreibt. Als das Ausmaß der Proteste gegen die Regierung zunahm, veröffentlichten am 17. April mehrere Nichtregierungsorganisationen einen offenen Brief an die Regierung. In dem Schreiben warnten sie, sie hätten Personen ausgemacht, die – mutmaßlich mit Unterstützung der Regierung – darauf aus seien, die Protestaktionen zu stören. Die NGOs warnten davor, diese Personen gegen die friedlichen Demonstranten einzusetzen. Zu den Unterzeichnern zählte das armenische Helsinki-Komitee, Teil der Helsinki-Komitees, zu deren finanziellen Unterstützern auch die Open Society Foundation von George Soros gehört. Auch die Open Society Foundations – Armenia (OSF-Armenia) unterschrieben den offenen Brief.

Im Februar hatte OSF-Armenia ein Projekt angekündigt, das sich in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union an Jugendliche, junge Aktivisten und Journalisten richtet. Es soll als Brücke dienen zwischen »etablierten Menschenrechtsaktivisten in Armenien und den jüngeren Generationen von Aktivisten, die ein Interesse daran haben, mehr Erfahrungen bei der Verteidigung der Rechte armenischer Bürger zu erlangen«. Das könnte mit Blick auf die aktuellen Ereignisse durchaus relevant sein.

Auch eine armenische Nichtregierungsorganisation namens Protection of Rights Without Borders NGO unterzeichnete die öffentliche Warnung an die armenische Regierung. Wie sich herausstellte, erhält diese NGO finanzielle Zuwendungen nicht nur von OSF-Armenia aus dem Soros-Lager, sondern auch von der EU und von USAID, einer Behörde des amerikanischen Außenministeriums. In meinem neuesten Buch Geheimakte NGOs: Wie die Tarnorganisationen der CIA Revolutionen, Umstürze und Kriege anzetteln beschreibe ich, dass USAID regelmäßig im Zusammenhang mit Umsturzversuchen der US-Regierung und mit Farbrevolutionen in Verbindung gebracht wird.

Welche Rolle spielen die anderen amerikanischen Nichtregierungsorganisationen, die in Armenien vertreten sind? In meinem Buch schreibe ich auch über das National Endowment for Democracy (NED), die führende US-NGO in Sachen Regierungswechsel. Sie wurde in den 1980er-Jahren in der Absicht gegründet, das zu tun, was die CIA tat, aber privatwirtschaftlich. So formulierte es zumindest Allen Weinstein, einer der Gründer des National Endowment for Democracy. Das NED hat in Armenien zahlreiche Programme finanziell unterstützt. Thematisch ging es dabei angeblich von der »Förderung der Rechtsstaatlichkeit« und der »Rechenschaftspflicht des Staats« bis hin zu einem Programm, bei dem vergangenes Jahr armenischen Journalisten gezeigt wurde, wie »Georgien von seinen Verbindungen zur EU profitiert und wie Armenien durch die Eurasische Wirtschaftsunion nicht in den Genuss ähnlicher Vorteile gelangt«.

Über 40 000 Dollar – eine stolze Summe in der angeschlagenen Landeswirtschaft Armeniens – schoss das NED vergangenes Jahr großzügig zur Finanzierung der Zeitung Armenian Times bei. Ziel war es, in den eigenen Worten der US-NGO, »die Qualität und die Verfügbarkeit unabhängiger Nachrichten zu steigern …«.

Welche Rolle spielt das US-Außenministerium?

Es steht also fest, dass in Armenien von Washington finanzierte NGOs aktiv sind. Berücksichtigen wir nun noch den Umstand, dass das amerikanische Außenministerium während der jüngsten Proteste aktiv Kontakt zu Oppositionsführer Nikol Paschinjan hielt, wird es immer wahrscheinlicher, dass wir Zeuge der jüngsten Spielart der amerikanischen Regierungswechselmaschinerie sind. Am 30. April – einen Tag vor der schicksalshaften Abstimmung im armenischen Parlament – telefonierte Aaron Wess Mitchell mit dem Oppositionsabgeordneten Nikol Paschinjan. Mitchell ist im US-Außenministerium Staatssekretär für europäische und eurasische Belange. In der offiziellen Pressemitteilung wird Mitchell lediglich wie folgt zitiert: »Die US-Regierung freut sich darauf, eng mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten in der Absicht, die seit Jahrzehnten anhaltenden Beziehungen zwischen USA und Armenien weiter zu vertiefen.« Er meinte offensichtlich Oppositionsführer Paschinjan.

Mitchells Vorgängerin war die berühmt-berüchtigte Neokonservative Victoria Nuland, die während der Amtszeit von Barack Obama die Orange Revolution in der Ukraine anzettelte. Offenbar führt Mitchell Nulands Arbeit fort. Bevor er 2017 ins Außenministerium wechselte, war er beim Center for European Policy Analysis (CEPA), einer von ihm gegründeten und geleiteten Denkfabrik.

CEPA wurde 2004 in Washington aus der Taufe gehoben – zu einer Zeit, als die USA tief in die Orange Revolution involviert waren. Laut Eigenbeschreibung sieht die Denkfabrik ihre Aufgabe darin, »auf ein wirtschaftlich aufblühendes, strategisch sicheres und politisch freies Mittel- und Osteuropa mit engen und dauerhaften Verbindungen zu den Vereinigten Staaten hinzuarbeiten«. Bei einem Programm von CEPA geht es darum, »in den Ländern Mittel- und Osteuropas auf russische Desinformationen zu achten und diese aufzudecken«.

Der russophobe Mitchell stand also erklärtermaßen in Kontakt mit Oppositionsführer Nikol Paschinjan, aber nicht nur das: Der US-Botschafter in Armenien ist Richard Mills, früher an der US-Botschaft im Irak »Demokratieberater« (ja, doch, wirklich). Mills verdankt seinen aktuellen Job Victoria Nuland, die mit ihrem Satz »Scheiß auf die EU« fragwürdige Berühmtheit erlangte. Berichten zufolge hat sie Mills nach Jerewan versetzen lassen, damit Armenien den Weg der Ukraine geht – fort aus dem russischen Machtbereich und in die Arme der USA.

Armenien verkaufte sein Wasserkraftwerk Worotan an ein amerikanisches Unternehmen. Als daraufhin die Strompreise um 16 Prozent stiegen, kam es 2015 zum Versuch einer Farbrevolution, doch es blieb beim Versuch. Eine zentrale Rolle bei dem Verkauf soll Berichten zufolge übrigens Mills gespielt haben … Im Anschluss an die Unruhen verbreiteten von den Vereinigten Staaten finanzierte NGOs dann die Falschmeldung, dass der Preisanstieg beim Strom vor allem die Schuld Russlands sei (der russische Konzern Gazprom dominiert den armenischen Energiemarkt).

Anführer mit Gefängniserfahrung

Dieses Mal spricht alles für einen besser vorbereiteten Versuch einer Farbrevolution. Mit Nikol Paschinjan, 42 Jahre alt, Journalist und nach früheren regierungsfeindlichen Aktionen mit Gefängniserfahrung ausgestattet, verfügt man über einen glaubwürdigen Anführer. Paschinjan war klug genug zu betonen, dass er Armenien nicht aus Russlands Eurasischer Wirtschaftsunion führen werde, sollte er Ministerpräsident werden. Am 1. Mai sagte er: »Wir erachten Russland als unseren strategischen Verbündeten. Unsere Bewegung stellt in dieser Hinsicht keine Bedrohung dar … Falls ich [zum Ministerpräsidenten] gewählt werde, wird Armenien Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit bleiben.« Trotz aller Beschwichtigungen Paschinjans ist zum jetzigen Zeitpunkt eines klar: Die Ereignisse in Armenien sind alles andere als gute Nachrichten für Moskau.

Warum Armenien?

Seit 1991 die Sowjetunion zerfiel, war Armenien ein strategischer Verbündeter Russlands. Armenien grenzt an zwei muslimische Staaten, die ihm nicht wohlgesonnen sind – Aserbaidschan und die Türkei –, dazu kommen als Nachbarn noch der Iran und Georgien. Die Lage in Georgien ist heikel, seit die USA dort 2003 eine Farbrevolution anzettelten und den NATO-Befürworter Micheil Saakaschwili an die Macht brachten. Sollte in Armenien nun jemand die Macht übernehmen, der entschlossen ist, das Land aus seiner Abhängigkeit seines wichtigsten Handelspartners und Investors Russland zu lösen, dann könnte es durchaus zu einem Bürgerkrieg kommen.

Schon jetzt gibt es in Aserbaidschan Beobachter, die sich in freudiger Erwartung eines derartigen Szenarios die Hände reiben. Am 1. Mai warnte der aserbaidschanische Parlamentarier Gudrat Hasangulijew, dass sich die Lage im Nachbarland zu einem Bürgerkrieg auswachsen könnte. Aserbaidschan müsse bereit sein, diese Situation zum eigenen Vorteil zu nutzen und die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach, die sich von Aserbaidschan abgespalten hat, zurückzuerobern.

Russland hatte 1994 ein Ende des Kriegs zwischen der von den USA unterstützten Armee Aserbaidschans und Armenien vermittelt. Seit damals herrscht in der Enklave Bergkarabach ein fragiler Waffenstillstand, der 2016 kurzzeitig gebrochen wurde, als Aserbaidschan versuchte, Bergkarabach zu besetzen. Die Truppen mussten sich jedoch unverrichteter Dinge wieder zurückziehen. Weite Teile des Kaukasus sind mehrheitlich von Muslimen bewohnt, nur in Armenien, Heimat einer der ältesten christlichen Kirchen überhaupt, sind 95 Prozent der Bevölkerung christlich. Sollte es in Armenien zu chaotischen Zuständen kommen und gleichzeitig ein Krieg ausbrechen, könnte dies den gesamten Kaukasus in Brand setzen – ein Szenario, das Russland gelinde gesagt keineswegs begrüßen würde. Alle Beweise sprechen zum jetzigen Zeitpunkt dafür, dass amerikanische NGOs und das US-Außenministerium ihre schmutzigen Hände im Spiel haben. Ziel ist es, die Eurasische Wirtschaftsunion zu schwächen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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