Michael Brückner
Auf der Suche nach den Steuer-Milliarden
Bund, Länder und Gemeinden verzeichnen Steuereinnahmen in Rekordhöhe. Trotzdem ist die Infrastruktur in Deutschland in desolatem Zustand. Und nichts funktioniert. Was geschieht mit unserem Geld?
In § 3, Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) steht ein interessanter Satz: »Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen … allen auferlegt werden …« Mit anderen Worten: Die Bürger müssen zwangsweise Steuern zahlen, haben dafür aber nichts zu erwarten. Etwas unter Androhung von Gewalt zu nehmen, ohne etwas dafür zu geben, wäre Raub. Und deshalb werden schon Kinder und Jugendliche in ihren heruntergekommenen Klassenzimmern darüber aufgeklärt, was der Staat mit seinen Rekord-Steuereinnahmen eigentlich anstellt.
Er baut zum Beispiel für uns Straßen, sorgt für eine moderne Infrastruktur und Bildungseinrichtungen, hilft den Schwachen und Armen und überweist einen großen Betrag an die Rentenkasse, ohne den die Altersbezüge nicht mehr finanzierbar wären. Und natürlich müssen Menschen mit höheren Einkommen (in der linken Klassenkampf-Rhetorik gern als »die mit den breiten Schultern« bezeichnet) mehr zahlen als ärmere Bürger. Weil der Staat mit dem Geld seiner Bürger angeblich so viel Gutes leistet, gilt Steuerhinterziehung eben schlicht als asozial. Wer dabei erwischt wird, verliert seine Reputation. Es sei denn, er ist Fußballmanager.
Einlullende Sozialromantik
Soweit die gutmenschliche Robin-Hood-Sozialromantik. Dass mittlerweile schon Bürger mit etwas mehr als mittleren Einkommen fiskalisch als »größte abzuzockende Subjekte« gelten, ist zwar eine Tatsache, soll an dieser Stelle aber nicht unser Thema sein. Noch interessanter erscheint nämlich die Frage, wie Deutschland, deren Finanzminister sich von den Medien regelmäßig für steigende Steuereinnahmen feiern lassen, das Geld der Bürger investieren. Eigentlich müsste das Land über eine hervorragende Infrastruktur verfügen, die auch langfristig den Erfolg der Wirtschaft und damit letztlich auch die Finanzierung des Sozialstaates ermöglicht. Doch das Gegenteil ist der Fall.
In einer Umfrage des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft gaben 72 Prozent der Unternehmen an, sie fühlten sich durch schlechte Straßen beeinträchtigt, teilweise sogar »sehr beeinträchtigt«. Dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen werden immer wieder aufgeschoben, Schäden nur provisorisch repariert. Jede achte Straßenbrücke in Deutschland gilt inzwischen als marode. Das bedeutet in der Terminologie der Ingenieure, dass die Verkehrssicherheit dieser Brücken zum Teil stark beeinträchtigt ist. Kommt es dann zu massiven Schäden mit der Folge, dass eine Brücke monatelang gesperrt werden muss, droht ein Verkehrsinfarkt mit langen Staus und Wartezeiten.
Als sich im Februar 2015 zum Beispiel die Brücke in Wiesbaden-Schierstein – eine der wichtigsten Verbindungen im Rhein-Main-Gebiet – um 30 Zentimeter absenkte und gleichsam von einer Minute auf die andere monatelang gesperrt werden musste, herrschte in Mainz und Wiesbaden verkehrstechnisch der Ausnahmezustand. Und es kann im Extremfall noch viel schlimmer kommen, wie die Katastrophe in Genua in der vergangenen Woche auf dramatische Weise belegte.
Anderswo in der Republik sieht es auch nicht besser aus. In Norddeutschland befinden sich von etwa 22 000 Kilometern Kreisstraße rund 3100 Kilometer in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand. Wer – genervt von ewigen Staus – den Zug vorzieht, fährt im wahrsten Sinne des Wortes auch nicht besser. In den vergangenen Monaten hatte fast jeder vierte Fernverkehrszug mehr als 6 Minuten Verspätung, andere Züge fielen ganz aus, wodurch die Fahrgäste ihre Anschlusszüge verpassten und wichtige Termine platzten.
Das Grunddilemma der Bahn
Besserung ist nicht in Sicht: »Das Grunddilemma, dass auf einem durch Baumaßnahmen zunehmend belasteten Netz immer mehr Züge fahren, wird uns bei der Pünktlichkeit noch Jahre begleiten«, sagt Bahnchef Richard Lutz. Kein Wunder, Deutschland investierte im Jahr 2016 pro Einwohner 64 Euro in die Schieneninfrastruktur, die Schweiz 378 Euro. Das ist kein Einzelfall. Wie sich diese langjährige Sparmasche auswirkt, erleben die Bewohner grenznaher Städte täglich in der Praxis. Züge aus der Schweiz oder Österreich erreichen den Grenzbahnhof Lindau (Bodensee) überwiegend pünktlich. Wenn sie indessen den Inselbahnhof des deutschen Städtchens wieder verlassen, weisen vor allem die Fernverkehrszüge vielfach bereits Verspätungen auf.
Aber vielleicht investiert der Staat die immensen Steuereinnahmen ja anderswo – zum Beispiel in die vielbeschworene Digitalisierung, von der Dauerkanzlerin Merkel in ihren Reden immer wieder schwärmt. Weit gefehlt. Noch immer gilt die Bundesrepublik als digitales Entwicklungsland, das in dieser Hinsicht weit hinter so fortschrittlichen Staaten wie Estland rangiert.
Im Bundeskabinett sitzt mit Dorothee Bär (CSU) zwar eine Digitalisierungsministerin. Ob die gelernte Soziologin ohne Berufserfahrung außerhalb der Partei hier aber die erste Wahl ist, darf bezweifelt werden. Angeblich soll nun in Deutschland bis 2025 jeder einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet haben. Ein Konzept für den Ausbau gibt es bislang allerdings noch nicht. Experten halten es für ziemlich unwahrscheinlich, dass Deutschland die Zielmarke 2025 halten kann.
Schulen als Bildungsbaracken
Möglicherweise fließt das Steuergeld von Bundesländern und Kommunen zumindest in die Sanierung maroder Schulen, da doch die Politiker landauf, landab immer wieder betonen, wie wichtig Bildung sei. Auch hier: Fehlanzeige. Viele Schulen seien »Bildungsbaracken«, sagte dieser Tage der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Undichte Dächer, bröckelnder Putz und kaputte Heizungen allenthalben. Sonderbar: Nach der letzten Steuerschätzung vom Frühjahr werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden von 2018 bis 2022 in einer Größenordnung von 55 bis 60 Milliarden Euro zulegen. Und trotzdem ist kein Geld da für dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur.
In anderer Hinsicht gibt sich die Politik großzügiger. So leistet sich Deutschland mit 709 Abgeordneten den größten Bundestag der Geschichte. Für Diäten und steuerfreie Pauschalen entstehen dem Steuerzahler dadurch Kosten in Höhe von knapp 120 Millionen Euro pro Jahr.
Über 43 Milliarden für Migranten
Zugegeben, das sind nur die berühmt-berüchtigten »Peanuts«, vergleicht man diese Summe mit einem anderen Kostenblock, der weitgehend tabuisiert wird. Es sind die Kosten der »Willkommenskultur«, die Angela Merkels »Wir schaffen das« wohl zu einem der teuersten Sätze der deutschen Nachkriegsgeschichte machen. Im Frühjahr musste die Bundesregierung nun zum ersten Mal konkrete Zahlen über die Kosten der Flüchtlingskrise nennen. Allein im vergangenen Jahr dürften es demnach mindestens 21 Milliarden Euro gewesen sein. Seit Beginn des Migrations-Tsunamis hat die Bundesregierung 43,25 Milliarden Euro für Asylzwecke ausgegeben. Experten schätzen, dass die tatsächlichen Kosten noch deutlich höher liegen – und weiter steigen dürften. »Wer bei der Berliner Regierung nach der Gesamtsumme der Flüchtlingskosten fragt, wird in ein Labyrinth von Statistiken und Zuständigkeiten geschickt«, wunderte sich schon im vergangenen Jahr die Neue Zürcher Zeitung.
Doch damit nicht genug. In atemberaubender Dreistigkeit wird der deutsche Sozialstaat ausgeplündert. Jüngstes Beispiel: Die kriminellen Methoden der Kindergeld-Mafia. Mit gefälschten Geburtsurkunden und anderen vermeintlichen Dokumenten ergaunern südosteuropäische Banden Kindergeld – für Kinder, die entweder gar nicht existieren, oder aber nicht in Deutschland leben. Der Schaden dürfte eine dreistellige Millionensumme erreichen. In Deutschland, wo ein Selbstständiger für jede Briefmarke dem Finanzamt eine Quittung vorlegen muss, wird nicht kontrolliert, ob es jene Kinder, für die horrende Summen aus der Steuerkasse gezahlt werden, überhaupt gibt.
Den Steuerzahlern sei nicht zu erklären, dass kommunale Leistungen immer weiter beschnitten werden müssten, »während bei offensichtlichem Betrug beide Augen zugedrückt werden«, sagte jetzt der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven.
Freitag, 24.08.2018
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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