F. William Engdahl
Beendet das Erdöl
das amerikanische Jahrhundert?
das amerikanische Jahrhundert?
Henry Luce, Insider des US-Establishments, rief 1941 im Magazin Life triumphierend das »amerikanische Jahrhundert« aus. Die Vormachtstellung der USA beruhte darauf, dass Amerika den Daumen auf dem Öl hatte und in einer endlosen Abfolge von Kriegen dafür sorgte, dass dies so bleibt. Nachdem der amerikanische Präsident nun das iranische Atomabkommen aufgekündigt hat, könnte es ironischerweise das Öl sein, das eine zentrale Rolle dabei spielt, die globale Hegemonialstellung der USA zum Einsturz zu bringen.
Zuletzt haben gleich mehrere Länder Schritte unternommen, um ihre Abhängigkeit vom US-Dollar zu reduzieren. Für sich genommen reicht keine dieser Maßnahmen aus, die Dominanz des Dollars zu brechen. Noch immer kann Washington andere Länder zwingen, ihre Ölgeschäfte ausschließlich in Dollar abzuwickeln. Aber jede einseitige Provokation Washingtons und jede weitere Sanktion zwingen andere Länder dazu, nach Lösungen zu suchen, die vor gerade einmal vier Jahren weder möglich noch praktikabel erschienen.
Im Jahr 1973 kam es nach dem Jom-Kippur-Krieg zum Ölpreisschock. Seit damals haben Washington und die Wall Street dafür gesorgt, dass die von Saudi-Arabien angeführte OPEC ihr Öl ausschließlich gegen US-Dollar verkauft. Das führte dazu, dass die Nachfrage nach der amerikanischen Währung hoch blieb – mehr oder weniger unabhängig vom Zustand der US-Wirtschaft, vom Schuldenstand der Regierung oder vom Haushaltsdefizit. Henry Kissinger und andere Zeitgenossen sprachen damals vom »Petrodollar-Recycling«, und das System war ein wichtiger Baustein bei der Fähigkeit Amerikas, weltweit machtvoll auftreten zu können, während man gleichzeitig zuließ, dass die großen amerikanischen Konzerne nicht mehr in den USA Steuern zahlten und ihr Geld investierten, sondern dass sie ihre Produktion stattdessen an Standorte wie China und Mexiko, Irland und sogar Russland verlegten.
Sollte jetzt eine größere Zahl von Nationen den Dollar zugunsten anderer Währungen aufgeben oder sollten diese Nationen auch nur Druck auf Washington ausüben, könnte das eine Kettenreaktion in Gang bringen. Die Zinsen in den USA würden deutlich anziehen und eine Finanzkrise würde über die USA hereinbrechen, deren Folgen noch deutlich übler wären als bei der Krise vor einem Jahrzehnt.
USA im Sanktionswahn
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat die US-Regierung die Art und Weise umgestellt, wie sie Finanzsanktionen einsetzt. Waren diese zunächst vor allem dafür gedacht, gegen die Geldgeber von Terrororganisationen wie al-Kaida vorzugehen, verwandelte sie Washington in eine zentrale Waffe bei der Aufgabe, den Fortbestand des amerikanischen Jahrhunderts zu verteidigen. Zuletzt belegte das amerikanische Finanzministerium Russland mit radikal neuen Formen zielgerichteter Sanktionen.
Amerikanischen Staatsbürgern ist es demnach untersagt, Geschäfte mit bestimmten russischen Personen und Organisationen zu machen, aber nicht nur das: Auch nichtamerikanische Bürger, die derartige Geschäfte machen, laufen nun Gefahr, sanktioniert zu werden. Und nun folgen auch noch drakonische neue Sanktionen gegen den Iran.
Chinas Ölgeschäfte in Renminbi
Nach ihrem einseitigen Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran erklärte die Regierung Trump, dass andere Länder ihre Ölgeschäfte mit Teheran bis November einstellen müssten, ansonsten würden ihnen sogenannte Sekundärsanktionen drohen. Das amerikanische Finanzministerium nimmt auch wichtige internationale Rückversicherer oder ausländische Banken ins Visier, die an Ölgeschäften mit dem Iran beteiligt sind. Mit ihrem ungerechtfertigten Schritt zwingen die USA wichtige Nationen wie China, Russland und den Iran selbst und dazu möglicherweise noch die Europäische Union, sich mehr denn je vom Dollar abzuwenden. Seit März bietet China Öl-Futures an, die in Renminbi denominiert sind. Futures haben sich im modernen Rohölhandel zu einem wichtigen Element entwickelt, und Chinas Angebot ist das erste, das nicht in Dollar offeriert wird. Ehe Washington erneute Sanktionen gegen den Iran verhängte, erachtete man Chinas Schritt als lästig, aber unbedeutend, als Maßnahme, die, wenn überhaupt, frühestens in einigen Jahren eine ernsthafte Rolle spielen würde. Nachdem die USA nun versuchen, Iran vom Ölhandel in Dollar abzuschneiden, könnte dies den in Schanghai vertriebenen Futures richtig Schub verleihen und zum Aufstieg eines »Petro-Renminbi« führen.
China ist der mit Abstand größte Abnehmer iranischen Öls und führt täglich rund 650 000 Barrel ein, also etwa ein Viertel der 2,5 Millionen Barrel Öl, die der Iran aktuell exportiert. Zweitgrößter Abnehmer ist Indien mit etwa 500 000 Barrel pro Tag, auf Rang drei und vier folgen Südkorea (313 000 Barrel) und die Türkei (165 000 Barrel), heißt es in einem aktuellen Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg. Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, dass der Iran – der erst vor Kurzem den Wunsch geäußert hatte, sich vom Dollar abzunabeln – China sein Öl gegen Renminbi verkauft. Sollte China künftige Ölkäufe an die Bedingung knüpfen, dass diese in Renminbi abgewickelt werden, würde dies die internationale Nutzung der chinesischen Währung deutlich steigern. Der Iran ist zudem ein strategisch wichtiger Partner bei Chinas »One Belt, One Road« Initiative (Neue Seidenstraße), dem viele hundert Milliarden Euro schweren Infrastrukturprojekt.
Europa drohen Sanktionen
Nach den jüngsten Sanktionen gab es Berichte, wonach der französische Mineralölkonzern Total gezwungen sein könnte, seine große Beteiligung an dem gewaltigen iranischen South-Pars-Gasfeld zu veräußern. Aus dem Umfeld des chinesischen staatlichen Energiekonzerns CNPC hieß es, man sei bereit, Totals Aktienpaket zu übernehmen. Aktuell besitzt Total 50,1 Prozent von South Pars, CNPC 30 Prozent und der staatliche iranische Ölkonzern Petropars 19,9 Prozent. Wenn Unternehmen aus EU-Ländern auch weiterhin Geschäfte mit dem iranischen Staat machen, drohen ihnen Sanktionen, hat John Bolton erklärt. Bolton ist Trumps Berater zu Fragen der nationalen Sicherheit und seit Langem als neokonservativer »Falke« bekannt, der sich in der Vergangenheit für einen Krieg mit dem Iran ausgesprochen hat. Dass die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen China und dem Iran zunehmen, zeigte sich auch am 10. Mai. Da startete China seine direkte Bahnverbindung, die von Bayan Nur in der Inneren Mongolei rund 8000 Kilometer durch Kasachstan und Turkmenistan bis nach Teheran reicht. Künftig sollen dort innerhalb von 14 Tagen Waren transportiert werden – etwa 20 Tage schneller als auf dem Seeweg.
Was macht Russland?
Auch Russland ist ein wichtiger Geschäftspartner des Irans, obwohl das Land selber mit Sanktionen der USA zu kämpfen hat. Seit dem 2014 vereinbarten Atomabkommen und der Aufhebung der Sanktionen gegen Teheran ist Moskau zahlreiche Geschäftsvereinbarungen mit dem Iran eingegangen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat ausdrücklich erklärt, sein Land unabhängig vom US-Dollar machen zu wollen. Das hat mit Sicherheitsgründen und der Anfälligkeit für Sanktionen zu tun. Der Handel zwischen Russland und dem Iran läuft bei vielen Produkten seit November 2017 als Tauschgeschäft unabhängig vom Dollar.
Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif traf sich am 14. Mai in Moskau mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow, um über die Zukunft des russischen Reaktorprojekts im Iran zu sprechen. Beide Seiten bekräftigten den Wunsch, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit fortzusetzen. Aktuell sind mehrere russische Ölfirmen im Iran aktiv.
Auch Russland und China nabeln sich beim Handel untereinander vom Dollar ab. Entsprechende Schritte waren bereits eingeleitet worden, noch bevor die USA so töricht waren, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen. China ist Russlands wichtigster Handelspartner, 17 Prozent des gesamten russischen Handelsvolumens entfallen auf das Reich der Mitte, mehr als doppelt so viel wie mit Deutschland, dem zweitwichtigsten Handelspartner. Es ist absehbar, dass der in Dollar geführte Handel zwischen Moskau und Peking weiter zurückgehen wird. Am 25. April kam in Schanghai der Waldai-Klub zu Gesprächen zusammen. Zhou Liqun, Vorsitzender des Verbands der chinesischen Unternehmer in Russland, erklärte bei der Veranstaltung, die beiden eurasischen Staaten sollten sich in ihren bilateralen Handelsgeschäften weiter vom Dollar entfernen. Dem russischen Staatsfernsehen sagte Zhou: »Die Führung der beiden Staaten sollte erwägen, die Beziehungen zu verbessern, vor allem auf dem Gebiet der finanziellen Zusammenarbeit. Warum Bezahlungen in Fremdwährung durchführen? Warum Dollar? Warum Euro? Geschäfte können direkt in Renminbi und Rubel beglichen werden«, sagte Zhou in dem TV-Gespräch.
Der Handel zwischen China und Russland wird Schätzungen zufolge dieses Jahr ein Volumen von 100 Milliarden Dollar erreichen, nachdem er 2017 um 31 Prozent gestiegen war. Die Banken und Unternehmen der beiden größten Staaten Eurasiens legen das Fundament für eine vollständige Abkehr vom Dollar – ein Schritt, der sie unabhängig von Dollar-Sanktionen machen würde, dem teuflischen Vorteil, den Washington mit seiner globalen Leitwährung besitzt.
Im Jahr 2017 betrug der Anteil der russischen Waren, die gegen Rubel nach China verkauft wurden, bereits neun Prozent, russische Firmen bezahlten 15 Prozent ihrer Einkäufe in China in Renminbi. Transaktionen, die auf diese Weise beglichen werden, umgehen die Risiken, die Geschäfte in Dollar oder Euro mit sich bringen und bei denen die NATO-Sanktionen eine immer stärkere Rolle spielen. Und indem diese Geschäfte über Chinas internationales Zahlungsverkehrssystem CIPS abgewickelt werden, schützen sich die beiden eurasischen Staaten noch weiter vor Finanzkriegsmaßnahmen und Sanktionen der USA, denn durch CIPS sind sie unabhängig von Swift, dem Interbankensystem der EU. Mehr als 170 russische Banken und Broker handeln mit Renminbi an der russischen Börse, wo auch Chinas große Staatsbanken wie Bank of China, ICBC, CCB und die Agricultural Bank of China vertreten sind. Der Wechselkurs zwischen Rubel und Yuan wird unter Umgehung des US-Dollars berechnet.
Wird die EU nachziehen?
Zuletzt kamen Berichte auf, wonach die Europäische Union prüft, iranisches Öl künftig mit Euro und nicht länger mit Dollar zu kaufen. Brüssel heißt es nicht gut, dass Trump einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen ist, und sucht nun nach Möglichkeiten, wie man die Ölgeschäfte mit dem Iran fortführen und die von Sanktionen bedrohten großen Aufträge im Luftfahrtsektor und anderen Technologiebereichen schützen kann. Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außenpolitik, erklärte unlängst, die Außenminister von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Iran hätten vereinbart, in den kommenden Wochen an praktischen Reaktionen auf das Vorgehen der USA zu arbeiten. Berichten zufolge beabsichtigen die EU-Staaten, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran nicht nur nicht aufzugeben, sondern sogar noch zu vertiefen.
Ein derartiger Schritt würde das Dollar-System bis ins Mark erschüttern und die Machtprojektion der USA gleich dazu. Seit den 2014 gegen Russland verhängten Sanktionen, bei denen Washington die Beteiligung der EU einforderte, haben die USA mehrere Schritte ergriffen, die den wirtschaftlichen Interessen der Europäer Schaden zufügten. Eine Plattenverschiebung, bei der sich die Bündnisse weg aus dem atlantischen Raum bewegen, ist zum aktuellen Zeitpunkt zwar unwahrscheinlich, wirkt aber realistischer als noch vor Kurzem.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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