Michael Brückner
»Beton-Gold« als Risikoinvestment
Hohe Mietpreise einerseits – extrem niedrige Baufinanzierungszinsen andererseits: Viele nutzen die vermeintliche Gunst der Stunde und legen sich Immobilieneigentum zu. Manche aber sind sich der unkalkulierbaren Risiken nicht bewusst, die sie damit eingehen.
Die Immobilienpreise und die Mieten in Deutschland steigen und steigen. Objekte in den Großstädten Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, Köln, München und Stuttgart weisen nach einer Schätzung der Deutschen Bundesbank derzeit eine Überbewertung von rund 35 Prozent, in Einzelfällen sogar noch deutlich mehr auf. Und wer in den gefragten Gegenden im vergangenen Jahr einen neuen Mietvertrag schloss, musste beinahe 10 Prozent mehr zahlen als noch im Jahr zuvor. Auch dies ergibt sich aus den Zahlen der Bundesbank.
Sogar in mittelgroßen Städten sind die Immobilien-und Mietpreise in jüngster Vergangenheit geradezu explodiert. Die Städte Mainz und Wiesbaden profitieren zum Beispiel indirekt vom Brexit. Weil nämlich viele Finanzdienstleister ihre Zentralen von London nach Frankfurt verlegen und die Situation auf dem Frankfurter Immobilienmarkt schon jetzt mehr als angespannt ist, weichen die in der Regel gut verdienenden Mitarbeiter dieser Finanzunternehmen gern in die nahegelegenen Städte Mainz und Wiesbaden aus. Inzwischen ist sogar die Zahl der Arbeitnehmer gestiegen, die dank der rechtsrheinischen ICE-Schnellstrecke täglich aus dem Raum Köln/Bonn nach Frankfurt pendeln.
Verführerische Alternative
Die hohen Mieten lassen derweil immer mehr Durchschnittsverdiener über den Kauf einer Eigentumswohnung oder eines Hauses nachdenken. Und in der Tat finden sich genug eloquente Makler und Bauträger, die den interessierten Kunden vorrechnen, dass es angesichts des derzeitigen Zinsniveaus in vielen Regionen Deutschlands günstiger sei, Wohneigentum zu erwerben statt zu mieten. Ein effektiver Jahreszins von gerade einmal 1,38 Prozent bei 10 Jahren Laufzeit und einer Darlehenssumme von 200 000 Euro (Quelle: Dr. Klein, Stand 1. August) klingt sicher verführerisch. Zudem baut man Eigentum auf, statt Monat für Monat Miete zu zahlen und sich dadurch lediglich ein vorübergehendes Nutzungsrecht zu sichern.
Doch viele, die jetzt Immobilieneigentum erwerben, sind strenggenommen wirtschaftlich dazu gar nicht in der Lage. Unerfahren, wie sie sind, vergessen sie die einfachsten Marktregeln. Und die lauten: Sind die Zinsen extrem niedrig, verlängert sich die Tilgungsdauer bei einem Annuitätendarlehen erheblich. In manchen Fällen müsste der stolze Immobilienbesitzer über 90 Jahre alt werden, um sein Objekt zu entschulden. Zweitens steigen in Zeiten niedriger Zinsen als Folge der hohen Nachfrage die Immobilienpreise drastisch. Nie sei es so günstig gewesen, Immobilieneigentum zu erwerben, plappern selbst Journalisten den Branchenvertretern nach. Dass der Käufer heute stark überhöhte Preise zahlt und ein erhebliches Zinsänderungsrisiko nach Ablauf der ersten Finanzierungsphase nach 10 oder 15 Jahren eingeht, wird verschwiegen.
»Auf Kante genäht«
Dies kann in ein paar Jahren insofern ein erhebliches Problem darstellen, als viele Baufinanzierungen buchstäblich »auf Kante genäht« sind. Es müssen aber noch nicht einmal steigende Zinsen bei der irgendwann fälligen Anschlussfinanzierung sein, die das Finanzierungskonzept durcheinanderwirbeln. Pfusch am Bau, der nicht selten erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist entdeckt wird, kann – je nach Größe des Objekts – schnell eine sechsstellige Summe zur Sanierung erforderlich machen. Selbst wer nur eine relativ kleine Eigentumswohnung sein Eigen nennt, muss dann in der Eigentümergemeinschaft mit Sonderumlagen in Höhe von mehreren 1000 Euro rechnen.
Mehr Tempo, mehr Pfusch
Und gepfuscht wird derzeit ohne Ende. Aufgrund der hohen Nachfrage entstehen neue Wohngebäude im Rekordtempo. Die Aufträge werde vergeben an dubiose Firmen, die billig sind, und für die Tempo einen höheren Stellenwert hat als Qualität. Die gute Auftragslage führt vielfach zu mangelhafter Arbeit. Zu den häufigsten Fehlern gehört eine fehlende oder falsche Wärmedämmung. Ein gravierender Mangel, der oft zu spät bemerkt wird. Dann ist meist eine fünfstellige Summe erforderlich, um den Pfusch zu beheben.
Werden die Umweltanforderungen verschärft, muss der Immobilieneigentümer ebenfalls in die Tasche greifen. Gleiches gilt, wenn die klammen Kommunen die Grundsteuer erhöhen oder sich andere neue Abgaben oder teure Schikanen ausdenken. Hinzu kommt der bürokratische Wahnsinn. Ein Beispiel aus dem Rhein-Main-Gebiet: Mehr als 10 Jahre (!) nach Fertigstellung einer Wohneigentumsanlage stellte die Stadt fest, dass angeblich zwei Parkplätze fehlten. Die Eigentümergemeinschaft wurde gezwungen, auf dem abschüssigen Gelände des Gartens zwei Parkplätze bauen zu lassen (wodurch ein öffentlicher Parkplatz entfiel). Kosten für diese aufwendige Baumaßnahme: rund 50 000 Euro. Weil niemand diese Parkplätze braucht, werden sie seit über 10 Jahren nicht genutzt.
Neben Pfusch und behördlicher Abzocke besteht gerade bei einer unsoliden Finanzierung die Gefahr, die Immobilie durch Zwangsversteigerung zu verlieren. Dieses Risiko steigt bei einer »auf Kante genähten« Finanzierung nicht nur wegen höherer Zinsen bei der Anschlussfinanzierung. Fällt das Sparen in den ersten 2, 3 Jahren noch leicht (»Wir haben ja unser schönes Haus«), will man irgendwann nicht mehr auf Urlaub, das neue Auto und den einen oder anderen kleinen Luxus verzichten.
Bricht daran sogar die Ehe auseinander, gerät unversehens auch die Immobilie in höchste Gefahr. Denn im Gegensatz zur landläufigen Meinung stellt nicht Arbeitslosigkeit das größte Risiko für die Baufinanzierung dar, sondern eine Scheidung. Mit Glück gelingt es vielleicht, die Immobilie freihändig zu verkaufen und einen guten Preis zu erzielen. Ansonsten kommt das Objekt unter den Hammer. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 3600 Häuser von Ehepaaren und Erbengemeinschaften zwangsversteigert.
Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird
Keine Frage, es gibt viele gute Gründe, eine Immobilie zu kaufen. Das eigene Haus oder die eigene Wohnung sind zum Beispiel die einzige Form der Altersvorsorge, von der man schon in der Gegenwart profitiert, indem man in dem Objekt wohnen kann. Auch die Unabhängigkeit vom Vermieter ist gerade im gegenwärtig sehr angespannten Vermietungsmarkt ein gutes Argument. Und im Gegensatz zu spekulativen Aktien können Immobilien in guter Lage selbst in Krisenzeiten niemals den größten Teil ihres Wertes verlieren.
Das Problem ist nicht die Immobilie als solche, sondern der fatale Eindruck, dank extrem niedriger Zinsen könne sich beinahe jeder Immobilieneigentum zulegen, ohne entsprechendes Eigenkapital einzubringen (mindestens ein Viertel der Objektkosten) und die Risiken sowie zusätzlichen Kosten, die im Laufe der Jahre entstehen, angemessen zu berücksichtigen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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