F. William Engdahl
Brzezińskis Geist weht durch Washingtons Eurasien-Politik
Wenn wir bei der Präsidentschaft von Donald Trump einmal die vorsätzlich gezündeten Nebelbomben, die Spiegelfechtereien, die Tweets und die Skandale ausblenden, sticht bei dieser wahrlich außergewöhnlichen Präsidentschaft ein Punkt ganz besonders hervor: Die politische Entwicklung folgt sehr präzise einer grundlegenden Strategie, die bereits 1992 in Washington entwickelt wurde.
Das trifft zu für die jüngste, sehr unglückliche, ausgesprochen gesetzeswidrige und einseitig gefällte Entscheidung, aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen. Es trifft ganz genauso zu für die Dämonisierungskampagne im berüchtigten Stil des Kalten Krieges, welche die US-Regierung gegen Russland fährt, und für die Verhängung weiterer heimtückischer Sanktionen. Und es trifft zu für den Handelskrieg, den die US-Regierung gerade gegen die Volksrepublik China vom Zaun bricht.
Allgemein herrscht ja die Einschätzung vor, dass Präsident Trump rein impulsgetrieben agiert oder schlicht unberechenbar sei. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist richtig. Die Geopolitik der Regierung Trump ist eine reagierende Politik, und zwar keine Reaktion des Präsidenten selbst, sondern der herrschenden Mächte, des Establishments, das letztlich die Entscheidungen fällt und auch als »Deep State« bezeichnet wird, als Staat im Staate. Die geopolitischen Aspekte beeinflussen sehr stark, wen der Deep State als Präsidenten zulässt.
Erstmals offiziell formuliert wurde die aktuelle Außenpolitik Washingtons 1992. Die Sowjetunion war gerade in sich zusammengebrochen, und ein triumphierender Bush rief die USA zur einzigen wahren Supermacht aus. Amerikanischer Verteidigungsminister war damals Dick Cheney. Dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz erhielt den Auftrag, eine globale Militärstrategie für die Jahre 1994 bis 1999 zu erstellen. Das Resultat war plump, Senator Ted Kennedy sprach später von »imperialistisch«. In der unredigierten Fassung der »Wolfowitz-Doktrin« hieß es: »Unser erstes Ziel ist es, das Wiederauftreten eines neuen Rivalen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder woanders zu verhindern […] und eine feindliche Macht daran zu hindern, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen unter konsolidierter Kontrolle ausreichen würden, eine Weltmacht entstehen zu lassen.« Unter George W. Bush tauchte die Wolfowitz-Doktrin ab 2002 als Bush-Doktrin im Vorfeld des Irak-Kriegs wieder auf. Unilateralismus und militärische Präventivschläge wurden nun zu zentralen Bestandteilen der amerikanischen Außenpolitik erklärt.
Brzezińskis Weltsicht
Ich möchte aus dem 1997 erschienenen Buch Die letzte Weltmacht des inzwischen verstorbenen Präsidentenberaters Zbigniew Brzeziński zitieren, um zu verdeutlichen, wie die Außen- und Militärpolitik der USA unter Präsident Trump aussieht. Sie ist nämlich nichts anderes als die konsequente Anwendung von Brzezińskis Thesen und dem Präventivkrieg-Gedankens aus der Bush/Wolfowitz-Doktrin angesichts wachsenden Widerstands gegen die Vorstellung, dass Amerika als einzige globale Supermacht die Welt beherrscht.
Brzeziński war der Architekt hinter dem Krieg, den der damalige US-Präsident Jimmy Carter in Afghanistan gegen die Rote Armee führte. Der CIA sowie saudi-arabische und pakistanische Geheimdienste bildeten damals islamistische Terroristen aus – die Mudschaheddin. Diese zogen gegen die sowjetischen Besatzer ins Feld.
Im Jahr 1997 schrieb Brzeziński, es sei unbedingt zu vermeiden, dass »in Eurasien ein Herausforderer heranwächst, der imstande wäre, Eurasien zu dominieren und dadurch Amerikas Position infrage zu stellen«. Weiter schrieb er: »Das möglicherweise gefährlichste Szenario wäre eine antihegemonistische« Koalition, die nicht durch Ideologie verbunden ist, sondern durch gemeinsame Klagepunkte … eine große Koalition aus China, Russland und möglicherweise noch dem Iran. Um diesen Fall abzuwenden … werden die USA am westlichen, östlichen und südlichen Rand Eurasiens ihre geostrategischen Fähigkeiten gleichzeitig zum Tragen bringen müssen.«
Schauen wir uns jetzt noch das aktuelle Pentagon-Papier zur nationalen Verteidigungsstrategie an. Darin werden Russland und China als größte potenzielle Bedrohungen der amerikanischen Vormachtstellung bezeichnet. Außerdem rücken seit Aufheben der Sanktionen 2015 Russland, China und der Iran dichter zusammen, speziell in Syrien. Bedenkt man all dies, wird klar, was Washington tut: Die USA bemühen sich mit aller Kraft, die »eurasische Herausforderung«, wie ich sie nenne, zu zerschlagen – also ein Bündnis zwischen Russland, China und dem Iran, das am Thron der einzigen Weltmacht rütteln könnte.
Weil Amerika weiterhin dominieren möchte, ist es für die drei genannten Staaten nicht von Belang, dass es zwischen ihnen ethnische, religiöse und weitere Unterschiede gibt. Seit September 2001 zwingt die amerikanische Außenpolitik diese drei Staaten nolens volens zur Kooperation, denn sie sehen sich genötigt, die eigene nationale Souveränität zu schützen, allen Unterschieden zum Trotz notfalls gemeinsam.
Ziel Nr. 1: Russland
Sehen wir uns mit Brzezińskis 1997 geäußerter Warnung vor Eurasien die jüngsten Ereignisse noch einmal näher an. Washington stellte sich hinter Großbritannien, als die Regierung in London Russland, ohne irgendwelche Beweise vorzulegen, die Schuld an der Vergiftung Sergei Skripals gab. Dann wurde ein getürkter Chemiewaffenangriff außerhalb von Damaskus als Vorwand dazu genutzt, illegale Bombenangriffe zu starten und sich dabei über alle Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts hinwegzusetzen. Rückblickend ist das wohl als Test zu verstehen – Washington wollte sehen, wie Russland reagiert. Unabhängig davon, ob die Tomahawk Marschflugkörper ihre Ziele nun getroffen haben oder nicht, Israel und andere Verbündete der USA hatten ihren Vorwand, die Angriffe auf iranische Einheiten in Syrien zu verstärken.
Dann folgten geradezu diabolische, neue lähmende Sanktionen gegen »Putins Oligarchen« wie Oleg Deripaska, den Chef von Rusal, dem zweitgrößten Aluminiumhersteller der Welt. Washington bemüht sich mittlerweile nicht einmal mehr um irgendwelche fadenscheinige Erklärungen für die neuen Sanktionen. Es reicht bereits die Erklärung, Russlands Regierung sei »rund um die Welt an einer Vielzahl verderblicher Aktivitäten« beteiligt.
Die neuen Banken bestrafen alle westlichen Banken oder Investoren, die an sanktionierten russischen Unternehmen beteiligt sind – sogar dann, wenn die Anteile vor den neuen Sanktionen erworben wurden! Auf diese Weise führt das US-Finanzministerium heutzutage Finanzkriege, die auf ihre Weise genauso tödlich wie »heiße« Kriege sind, wenn nicht noch tödlicher. Diese Art der Kriegsführung entstand nach 9/11 und wurde seitdem zu einer Waffe mit verheerender Wirkung verfeinert. Dabei wird der Umstand genutzt, dass im Zuge der Globalisierung die Welt weiterhin vom US-Dollar für den Handel abhängig ist und dass zahlreiche Zentralbanken die amerikanische Währung als Devisenreserven halten.
Im Zuge der jüngsten Sanktionen, welche die USA gegen russische Einzelpersonen und Firmen verhängt haben, wird erstmals nicht nur der künftige Zugang zu Kreditquellen auf den westlichen Kapitalmärkten blockiert. Nichtrussische Investoren, die in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge in russische Unternehmen investiert haben, sahen sich gezwungen, teilweise panikartig ihre Beteiligungen abzustoßen, weil ihnen ansonsten ebenfalls Sanktionen drohten. Aber wer soll diese Aktienpakete kaufen? Mit Clearstream und Euroclear haben sich die beiden größten europäischen Abwicklungsgesellschaften geweigert, Geschäfte mit sanktionierten russischen Wertpapieren abzulehnen. Auch ihnen drohen Sanktionen, sollten sie bestimmte russische Aktien halten. Und wenn sich beispielsweise eine chinesische Staatsbank auf dem Dollarmarkt ein Darlehen beschafft, ist es ihr de facto verboten, Geschäfte mit sanktionierten russischen Firmen zu betreiben.
Ziel Nr. 2: China
Während Washington wegen Syrien und der Ukraine den Druck auf Putins Russland erhöht, startet die US-Regierung gleichzeitig Phase eins in einem Wirtschaftskrieg mit China, der offensichtlich verheerende Wirkung entfalten wird. Handelsdispute dienen dabei als Türöffner. Wie ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe, will Washington Peking dazu zwingen, seine Strategie aufzugeben, das Land als Hightech-Standort neu auszurichten und so die Volkswirtschaft auf eine neue Ebene zu heben. Diese China 2025 genannte Strategie ist das Kernstück der Politik von Präsident Xi Jinping und steht im Mittelpunkt der ehrgeizigen »One Belt, One Road«-Initiative, der Neuen Seidenstraße.
Ziel Nr. 3: Iran
Den lautstarken Protesten aus Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten zum Trotz hat Trump nun also das Atomabkommen mit dem Iran in die Tonne getreten. Ganz offensichtlich geht es darum, wieder lähmende Sanktionen gegen den Iran zu verhängen und die zarten Fortschritte zunichte zu machen, die sich seit 2015 abgezeichnet hatten. Dass sich die EU weigert, das Abkommen mit dem Iran ebenfalls aufzukündigen, wird letztlich nur eine hohle Geste bleiben, da die US-Sanktionen auch EU-Firmen ins Visier nehmen, die Geschäfte mit dem Iran betreiben. Die Regierung Trump hat Ländern wie China und Japan sowie der EU 180 Tage Zeit gegeben, alle Ölgeschäfte mit dem Iran abzuwickeln. Am 6. August werden der Kauf von US-Dollars, der Handel mit Gold und anderen Metallen sowie die Luftfahrt- und die Automobilindustrie mit Sanktionen belegt. Nach dem 4. November werden die Sanktionen der USA die Finanz- und Öleinrichtungen des Iran ins Visier nehmen. Eine Sanktionsliste des US-Finanzministeriums gegen einzelne Personen wird erneut in Kraft treten.
Klares Ziel ist es, die verheerenden und punktgenauen neuen Waffen des US Finanzministeriums dafür zu nutzen, Irans angeschlagene Wirtschaft vollends in die Krise zu stürzen. Gleichzeitig gibt es Berichte, wonach John Bolton, Trumps Berater für nationale Sicherheit, sich dafür einsetzt, die iranischen Volksmudschahedin wieder zu aktivieren. Die Terrororganisation soll dann erneut versuchen, eine Farbrevolution anzuzetteln. Im Jahr 2012 hatte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton die Volksmudschaheddin von der Terrorliste ihrer Behörde streichen lassen.
Washingtons Drei-Fronten-Krieg
Treten wir einen Schritt zurück und lassen die Details bei Washingtons Vorgehen einmal außer Acht, dann ergibt sich folgendes Gesamtbild: Die USA nehmen die drei großen eurasischen Mächte Russland, China und Iran systematisch ins Visier. Mit bislang wechselndem Erfolg. Ende Februar gab General Joseph Votel, der Kommandeur des Zentralkommandos der US-Streitkräfte (CENTCOM), ein Interview. Darin sprach er über Russland und die Aktivitäten des Kreml in Syrien sowie über China, Pekings gewaltiges Infrastrukturprojekt »One Belt, One Road« und chinesische Militärstützpunkte in Dschibuti und andernorts. Ausdrücklich äußerte sich Votel auch zu den Verbindungen beider Staaten zum Iran: »Sowohl Russland wie auch China entwickeln multidimensionale Verbindungen zum Iran. Die Aufhebung der Uno-Sanktionen gemäß Atomabkommen eröffnet dem Iran die Möglichkeit, seinen Beitrittsantrag zur Schanghaier Operation für Zusammenarbeit wieder voranzutreiben.«
Dass Washington nun einen Drei-Fronten-Krieg führt – wenn auch auf der Ebene eines Handelskriegs –, führt dazu, dass die drei angegriffenen Mächte aus strategischen Gründen gezwungen sind, noch enger zu kooperieren. China ist der größte Abnehmer iranischen Öls, Russland liefert Militärgeräte und verhandelt über weitere, deutlich größere Geschäfte. Jedes Mitglied dieses Dreierbundes aus China, Iran und Russland hat allein schon aus Überlebensgründen keine bessere Möglichkeit als die, enger denn je mit den anderen zu kooperieren. Egal, was man für Misstrauen dem anderen entgegenbringt oder welche Meinungsverschiedenheiten herrschen – angesichts des geopolitischen Drei-Fronten-Kriegs von Washington bleibt keine andere Wahl.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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