F. William Engdahl
CETA: Grünes Licht für Agrarkonzerne
Amerikas Präsident Donald Trump hat der Welt erklärt, seine Regierung wolle nicht weiter über TTIP verhandeln, das höchst umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen. Bürgerinitiativen und andere Gegner atmeten erleichtert auf, als das von Trumps Vorgänger Barack Obama angeschobene Projekt zu den Akten gelegt wurde. Viel zu wenig Aufmerksamkeit wurde unterdessen dabei CETA geschenkt, dem »Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen«, auf das sich Kanada und die Europäische Union verständigt haben.
Dieses Freihandelsabkommen wurde ebenfalls hinter verschlossenen Türen und ohne jede öffentliche Diskussion vereinbart und hat zur Folge, dass die multinationalen Konzerne die Welt weiter in Richtung einer Unternehmensdiktatur drängen, an eine 21.-Jahrhundert-Version des Korporativismus, bei der gewählte Nationalregierungen keine echte Rolle mehr spielen. Nun ist eine große Hürde auf dem Weg zur Verabschiedung von CETA aus dem Weg geräumt worden, und zwar von der neuen, von Sebastian Kurz geführten Koalitionsregierung in Österreich.
Um in Kraft treten zu können, muss CETA von einer Mehrheit der 28 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Im Wahlkampf hatte Kurz’ Partei, die ÖVP, noch mit einem Nein zu CETA und TTIP geworben, jetzt wurde bekannt, dass sie die Forderung Ende 2017 klammheimlich fallen ließ, um eine Koalition mit der FPÖ eingehen zu können.
Kehrtwende nach der Wahl
Im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahlen im Oktober 2017 hatte die FPÖ noch vehement dagegen gewettert, das Handelsabkommen CETA anzunehmen. Die Partei versprach eine Bürgerbefragung »im Schweizer Stil«, nach Art der »direkten Demokratie« sollte das Volk zu Themen abstimmen dürfen, zu denen in Petitionen ausreichend Stimmen gesammelt worden waren. »Mit uns kein CETA« und »CETA nur nach Volksabstimmung« versprach die FPÖ während des Wahlkampfs wiederholt.
Umfragen zufolge waren vor der Wahl 72 Prozent der Österreicher gegen TTIP und das inhaltlich ähnliche CETA, weil sie glaubten, Österreichs kleine und mittelständische Betriebe würden zugunsten globaler Multis Nachteile erleiden. Bürgerinitiativen sammelten vor der Wahl beeindruckende 562 000 Unterschriften gegen CETA und TTIP.
Doch am 21. November 2017, nur wenige Tage nach der Wahl, mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die FPÖ ihren Widerstand aufzugeben bereit war. Zur Überraschung der Wähler stimmte die Partei im Nationalrat für die Einführung von Investitionsschiedsgerichten, eine der umstrittensten Neuerungen, die CETA vorsieht. Diese Gerichte würden es kanadischen Unternehmen erlauben, EU-Regierungen zu verklagen, sollten die Staaten oder Brüssel Gesetze oder Bestimmungen einführen, welche die Gewinne der Unternehmen schmälern könnten. Auslöser könnte beispielsweise ein neuer Mindestlohn sein oder eine strengere Gesetzgebung, was die Verwendung giftiger Chemikalien wie Glyphosat oder Neonics angeht.
Das Perfide daran: Ein kanadisches Unternehmen, das sich beispielsweise an einem neuen deutschen Gesetz stört, würde nicht etwa vor ein deutsches Gericht ziehen, wie man es vermuten könnte. Stattdessen würde sich die Firma an ein spezielles, nicht öffentliches Schiedsgericht wenden, auf das die EU keinen Einfluss hat. Die meisten großen amerikanischen Konzerne betreiben Tochterunternehmen in Kanada, was nichts anderes bedeutet, als dass CETA ein trojanisches Pferd ist, eine Hintertür für TTIP.
Gesetze werden verwässert
Sowohl für CETA als auch für TTIP gilt: Sollten Kanada und die EU unterschiedliche Standards anwenden, etwa beim Umweltschutz, bei Sicherheitsbestimmungen oder im Gesundheitsbereich, gilt der niedrigere (= nordamerikanische) Standard. Die kanadische Regierung hat in den vergangenen Jahren einen ähnlichen Weg wie die USA eingeschlagen und den Unternehmen lange Leine gelassen. Durch CETA könnte dies nun bedeuten, dass die strengen, in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen aufgeweicht werden.
»In Kanada sind die Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit und zur Auszeichnung nicht so streng wie in der EU«, heißt es in einer gemeinsamen Studie des Institute for Agriculture and Trade Policy und Greenpeace Niederlande. »Bei der Agrarindustrie ist Kanada stärker abhängig von Pestiziden und genmanipulierten Nutzpflanzen. Durch CETA gibt man kanadischen und amerikanischen multinationalen Konzernen ein Werkzeug an die Hand, die Regeln auszuhöhlen, die sich unter anderem mit Klonen, GVO-Nutzpflanzen, Wachstumshormonen und Ursprungslandkennzeichnung befassen.«
Gen-Lachs bald auch in Europa?
In der Studie vom September 2017 heißt es: CETA werde »die Harmonisierung von Standards der Lebensmittelsicherheit auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vorantreiben wie auch die Schwächung der EU-Standards zur Risikoabschätzung von Nahrungsmitteln«. Ein schreckliches Beispiel für diese Entwicklung liefert der März 2016, als die kanadischen Behörden die Lachsart AquAdvantage Salmon als erstes genetisch verändertes Tier für den Verzehr durch den Menschen zuließen. Eine spezielle Auszeichnung verlangten die kanadischen Behörden nicht. Tritt CETA in Kraft, wird der Gen-Lachs in der gesamten EU verkauft werden können, ohne dass darauf hingewiesen wird. Das gilt ganz genauso für andere nicht als genmodifiziert ausgezeichnete kanadische Lebensmittel und auch Agroindustrie-Produkte wie beispielsweise Rindfleisch.
Aktuelle EU-Bestimmungen erfordern, dass bei Fleisch und Fisch das Herkunftsland ausgezeichnet wird. An derartigen Auflagen könnte die kanadische Landwirtschaftsindustrie rütteln, damit die nahezu vollständig von Einfuhrzöllen befreiten kanadischen Produkte mit den streng kontrollierten Fleischprodukten aus den EU-Ländern konkurrieren können.
In einer anderen Klausel von CETA geht es darum, die Geschäftskosten zu reduzieren und den bürokratischen Aufwand zu verringern. Das klingt doch zunächst einmal positiv, oder? Tatsächlich bedeutet es, dass die großen kanadischen und amerikanischen Agrarindustriekonzerne wie IBP oder Cargill Food Druck ausüben werden, bis die strengen Vorschriften der EU im Lebensmittelbereich und in der Landwirtschaft gelockert werden. Seit den 1980er-Jahren hat gewaltiger Kostenreduzierungsdruck in Nordamerika dazu geführt, dass die kleineren, familiär geführten Betriebe vernichtet und durch Kartelle ersetzt wurden. In der EU konnten sich die Landwirtschaftsverbände diesem Trend bislang halbwegs erfolgreich entgegenstemmen.
Nur die Größe zählt
Lobbyarbeit der Agrarindustrie bei den Landwirtschaftsministerien von Kanada und den USA hat dazu geführt, dass beispielsweise bei der Fleischverarbeitung gnadenlos auf Größenvorteile gesetzt wird. Die Folge: Es entstanden gewaltige Schlachtbetriebe, in denen unter furchtbaren sanitären Zuständen und Arbeitsbedingungen teilweise bis zu einer Million Stück Vieh pro Jahr geschlachtet werden. Kommt CETA, werden die Kleinbauern der EU schlichtweg in den Bankrott getrieben, so wie es seit den 1980er-Jahren in Nordamerika geschieht. Die gewaltigen Schlachtbetriebe arbeiten mit um 25 bis 30 Prozent niedrigeren Kosten als die kleineren Schlachthöfe, die irgendwann das Handtuch werfen müssen.
Illegale Arbeit in den Schlachthöfen
Die Arbeitskosten in den nordamerikanischen Betrieben der Agrarindustrie sind dramatisch gesunken, nicht automatisierte Arbeitsabläufe wurden beschleunigt. Die Arbeitsbedingungen in den Schlachtbetrieben sind größtenteils nicht durch Tarifverträge abgedeckt. Die Arbeitskräfte sind in erster Linie Migranten, und der Großteil von ihnen wiederum hält sich unerlaubt im Land auf. Entsprechend schlecht können sie sich wehren, wenn Arbeitgeber längere Arbeitszeiten fordern, Löhne kürzen und Sicherheitsvorschriften nicht einhalten.
In Amerikas Schlachthäusern hat das Arbeitstempo derart rasant zugenommen, dass die Zahl der Arbeitsunfälle oder Nervenschäden anormal hoch ist. Die staatlichen Regulierer schauen darüber aber hinweg, und bei den Arbeitern handelt es sich in erster Linie um Illegale aus Mexiko oder Zentralamerika, die kaum Möglichkeiten haben, die Zustände zu verbessern.
In meinem Buch Saat der Zerstörung erläutere ich, dass die Kartellbildung und die vertikale Integration, die nach dem Zweiten Weltkrieg über die Landwirtschaftsindustrie Nordamerikas hereinbrach, die Idee der Rockefeller-Standard-Oil-Familie waren, speziell von Nelson Rockefeller. Es war ein Projekt, das die Rockefellers an der Harvard Business School finanzierten und das den Begriff »Agribusiness« kreierte. Bis heute haben die Mitglieder der Europäischen Union mithilfe von Gesetzen zu Standards in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Arbeitsschutz dafür gesorgt, dass es eine lebendige Szene kleinerer Fleisch-und Nahrungsmittelproduzenten gibt. CETA wird eine Flut deutlich günstigeren kanadischen (in Wahrheit nordamerikanischen) Fleisches und anderer Lebensmittel nach Europa spülen.
Europas kleine, qualitativ hochwertig arbeitende Agrarproduzenten werden abgeschlachtet, und die großen Gewinner werden die riesigen Landwirtschaftskonzerne sein, die im Zuge der Globalisierung nun auch in den extrem wichtigen europäischen Markt vorstoßen können.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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