Birgit Stöger
Ceuta: Marokko als »Schutzgelderpresser«
Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Anstürmen auf die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta. Immigranten und Glücksritter aus halb Afrika versuchen nun in immer kürzeren Abständen, die zur Europäischen Union gehörenden marokkanischen Gebiete zu erreichen.
Ceuta war seit dem 15. Jahrhundert zunächst in portugiesischem und später in spanischem Besitz. Auch nach der Unabhängigkeit Marokkos im Jahr 1956 blieben Ceuta und das ebenfalls in Nordafrika gelegene Melilla spanisch. Die 18,5 Quadratkilometer große spanische Exklave Ceuta liegt auf der Spitze einer Halbinsel der westlichen Mittelmeerküste Marokkos und gehört zur Europäischen Union. Das spanische Gebiet, dessen Bevölkerung längst mehrheitlich aus Muslimen marokkanischer Herkunft besteht, die nur durch ihre Pässe zu Spaniern werden, hat eine Landgrenze zu Marokko. Seit 25 Jahren versucht die Europäische Union nun – mit stetig abnehmendem Erfolg – durch zwei Grenzzäune zu verhindern, dass Schmuggelware und vor allem illegale afrikanische Einwanderer über die Südspitze Spaniens nach Europa gelangen.
Grenzsicherung immer durchlässiger
Der erste Versuch einer effektiven Grenzsicherung scheiterte 1993 an einem viel zu kurz geratenen und bei Weitem nicht ausreichend hohen Zaun. Erst 2005 gelang es Spanien, die illegale Masseneinwanderung mithilfe eines auf 6 Meter Höhe verdoppelten und auf eine Länge von über 24 Kilometern ausgedehnten NATO-Mehrfachzauns effektiver zu unterbinden. Mit Stacheldraht gesichert und strengstens bewacht, hielt er bis 2016 weitgehend Afrikas Glücksritter davon ab, in Massen illegal nach Europa einzufallen.
Gewaltsam über die Grenze
Ende 2016 jedoch schafften es nach Einschätzung von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, fast tausend afrikanische Immigranten über die Grenzen von Ceuta oder von Melilla auf spanisches Gebiet. Zum Jahreswechsel 2016/2017 versuchten rund 1100 Menschen aus Subsahara-Afrika, die Grenzbefestigung gewaltsam zu durchbrechen. Dieser Versuch wurde noch erfolgreich abgewehrt. Dann ging es Schlag auf Schlag: Im Februar 2017 überwanden rund 700 überwiegend aus Subsahara-Afrika stammende Männer, teils mit Werkzeug und Knüppeln ausgerüstet, die Grenzbefestigung. Kurze Zeit darauf durchbrachen 498 Personen die Sperren, von denen nur 55 Menschen sofort nach Marokko zurückgeschickt wurden. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte, die übrigen Personen, die den Zaun illegal und mit Gewalt überwunden hatten, auf das europäische Festland zu transportieren, damit sie dort menschenwürdig untergebracht werden könnten, solange ihre Asylanträge geprüft würden. Einer Einladung gleich, gelang es nur 3 Tage später weiteren 300 Illegalen, über den Zaun spanisches Gebiet zu erreichen.
Türöffner für die Invasoren aus Afrika
Nachdem im Juni 2018 nach einem Misstrauensvotum die konservative spanische Regierung unter Mariano Rajoy (PP), die eine restriktive Migrationspolitik verfolgte, abgewählt wurde und Spanien mit Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) eine sozialistische Minderheitsregierung erhielt, scheint der Grenzzaun gefallen. Denn nur 1 Woche nach Amtsantritt kündigte der neue spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska (parteilos) an, sich für die Entfernung des Stacheldrahtes auf dem Grenzsicherungszaun einzusetzen.
Im August ist nun die am besten gesicherte Grenzanlage Europas gefallen. 800 afrikanische junge Männer stürmten allein an einem Tag Ende Juli den Zaun bei Ceuta, um sich so Zugang zur Europäischen Union zu verschaffen. Sie hatten Löcher in den Grenzzaun geschnitten, um dann mit selbstgebauten Flammenwerfern und ätzendem Brandkalk die völlig überforderten Grenzpolizisten anzugreifen. Der illegale Mob sei »so brutal wie noch nie« vorgegangen, so die Aussage eines Polizeisprechers vor Ort. Videos, die – wenn überhaupt – nur sehr verhalten in der deutschen Medienlandschaft gezeigt wurden, dokumentieren jedoch nicht den Sturm auf die Grenzanlagen und die brutalen Angriffe auf die Polizei. Zu sehen sind die schlussendlich rund 600 erfolgreichen afrikanischen Eindringlinge, wie sie sich mit martialischen Gesten als Eroberer vor den Kameras produzieren und jubelnd durch die Straßen rennen.
Spaniens Innenminister Grande-Marlaska bleibt trotz des jüngsten Massenansturms dabei: die Klingen am Grenzzaun sollten entfernt werden; das Sicherheitsniveau könne auch mit »weniger grausamen Mitteln beibehalten werden«.
Offene Erpressung durch Marokko
Beobachter spekulieren, dass Marokko seine Polizei möglicherweise bereits seit Jahren angewiesen hat, die Immigrationsbewegungen in Richtung Ceuta nicht mehr zu unterbinden, um so ein Druckmittel bei Wirtschaftsverhandlungen mit der EU zu haben. Bereits 2017 hatte die marokkanische Regierung eine entsprechende »Warnung vor einem Flüchtlingsstrom« beim Scheitern des Wirtschaftsabkommens in Richtung Brüssel ausgesandt. Dass es sich um einen regelrechten Erpressungsversuch durch Marokkos Machthaber, König Mohammed VI., handelt, der aktuell die EU und Spanien durch Schmuggel, Drogenhandel und Fluten illegaler Immigranten zu wirtschaftlichen Zugeständnissen und der Zahlung von Schutzgeld »bewegen« möchte, scheint gesichert.
So haben sich die EU und das Königreich Marokko inhaltlich auf ein neues Fischereiabkommen verständigt. Das haben beide Verhandlungsgruppen in einer gemeinsamen Erklärung am 20. Juli 2018 bekanntgegeben. So zumindest die offizielle Verlautbarung. Demnach sollen »privilegierte Zölle« auf die gefangenen Fische vor der Küste der Westsahara in der EU erhoben werden, um diese Gelder in den südlichen Provinzen Marokkos zu investieren. Unklar sei noch die jährliche Zahlung der EU an Marokko. Bisher zahlte die Union rund 30 Millionen Euro pro Jahr. Diese teilten sich auf in 16 Millionen Euro als Zugangsgebühr zu den Fischereigründen sowie 14 Millionen Euro zur Unterstützung der marokkanischen Fischereipolitik. Darüber hinaus zahlten die europäischen Flotten etwa 10 Millionen Euro als Lizenzgebühr.
Marokko soll jetzt im neuen Abkommen bis zu 80 Millionen Euro verlangt haben. Zudem hat das Königreich noch versucht, den Rat der Europäischen Union in Brüssel zu einer Anpassung des Agrarabkommens mit Marokko zu bewegen, und zwar so, dass die Provinzen in der Westsahara inbegriffen sind. Dieser Teil wurde jedoch vom Europäischen Gerichtshof inzwischen abgeschmettert, weil die EU das Wüstengebiet aufgrund der UN-Regelungen nicht als marokkanisches Hoheitsgebiet anerkennt.
Der Erpressung nachgegeben
Der neue spanische Premier Pedro Sánchez, der, wie Stefanie Claudia Müller in ihrem Artikel »Marokkos Tauziehen um Geld und Macht« (Tichys Einblick), erwähnt, noch kein Treffen mit Mohammed VI. ausmachen konnte, habe das Spielchen der Marokkaner satt. Jedoch wisse Sánchez ebenfalls keine andere Lösung, als auf die muslimische Erpressung einzugehen und sich in Brüssel für Marokkos Belange einzusetzen. Nach Zeitungsberichten habe der Spanier Marokko gefragt, was es brauche, um zu verhindern, dass Tausende Illegale jede Woche in Richtung Spanien aufbrechen. Der muslimische Nachbar habe demnach eine Liste aufgestellt und verlangt 60 Millionen Euro von der EU.
Das Mekka der afrikanischen Invasion heißt Deutschland
Marokko wird somit seinen Druck auf Europa als sprudelnde Geldquelle aufrechterhalten. Allein in der andalusischen Stadt »La Línea de la Concepción« sind in diesem Jahr bereits 22 500 Migranten über die Meeresenge von Gibraltar von Afrika nach Spanien gekommen. Das sind drei Mal so viele irreguläre Einwanderer wie im Vorjahreszeitraum. Sind es dort mehrheitlich marokkanische minderjährige Illegale, so sitzen nach Schätzungen von Hilfsorganisationen 50 000 Subsaharianer in Marokko aktuell auf dem Sprung nach Europa.
Spanien ist nun dank der sozialistischen Regierung das neue Einfallstor für Afrika nach Europa, nachdem die italienische Regierung angekündigt hat, illegale Migration über ihre Häfen nicht mehr zulassen zu wollen. In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit wurde trotz der offenen Erpressung durch Marokko die Einwanderungspolitik der konservativen Vorgängerregierung revidiert. Diese hatte jahrelang rund um die Uhr Schlepperboote durch ihre gut ausgebildete spanische Marineinfanterie abgefangen und zurück nach Afrika eskortiert. Umverteilung heißt das Zauberwort für die spanischen Sozialisten auch in der Migrationspolitik. Statt die EU-Außengrenzen wirksam zu schützen, ruft Madrid nun nach einer europäischen Lösung. Spaniens Spezialeinheiten haben bisher keinen einzigen Einsatzbefehl mehr erhalten, gegen illegale Migranten vorzugehen.
Das »spanische Lampedusa«
Mittlerweile erreichen mehr Migranten die EU auf der Mittelmeerroute über Spanien als über Italien. In Tarifa sowie im Hafen von Algeciras kommen seit Tagen zahlreiche Immigranten an. Allein 1000 waren es in Algeciras in einer Woche. Der Bürgermeister der südspanischen Gemeinde spricht von einer neuen »Flüchtlingskrise« und warnte, sein Ort werde »das neue Lampedusa«. Das angestrebte Ziel dieses Millionenheers von Armutsimmigranten ist jedoch nicht Spanien oder Italien. Das Mekka ist für diese Menschen nach wie vor der Norden Europas – und dort insbesondere Deutschland.
Die jüngsten Vorgänge in Ceuta zeigen, dass es eine »No-Way«-Politik für illegale Migration in Europa geben muss. Diese Ansicht vertritt aktuell der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Dass Deutschland sich beim Grenzschutz nicht mehr auf Staaten wie Spanien verlassen könne, dieser Meinung ist der Generalsekretär des sächsischen Landesverbandes der AfD, Jan Zwerg. Mit seiner Forderung nach einem umfassenden Grenzschutz, der in letzter Konsequenz auch den Einsatz von Schusswaffen inkludiert, sorgt der AfD-Mann aktuell für Schnappatmung in deutschen Redaktionsstuben und den Konsensparteien.
Die Gesetzeslage, geregelt in § 11 »Schusswaffengebrauch im Grenzdienst«, ist eindeutig und besagt: »… Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, dass die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuss ersetzt werden«.
Spätestens seit den Bildern aus Ceuta müsste jedem noch so philanthropisch angehauchten Europäer klar sein, dass sich kampferprobte Armutsmigranten nicht ohne Gegenwehr von den noch üppig gefüllten Fleischtöpfen Europas abhalten lassen. Ebenso sollte jedem klar sein, dass Europa (und schon gar nicht Deutschland) nicht in der Lage sein wird, den Migrationsdruck aus Afrika zu absorbieren. Dazu reicht ein vergleichender Blick auf die demografischen Daten der beiden Kontinente. Der iranischstämmige Autor und Publizist Ramin Peymani fasst den Status quo mit den Worten zusammen: »Wir Europäer, vor allem aber wir Deutsche, müssen uns eingestehen, dass der sogenannte UN-Migrationspakt für uns unerfüllbar ist«.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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