Peter Orzechowski
China: Wie sich Europa selbst
aufs Abstellgleis stellt
aufs Abstellgleis stellt
Kaum ruft der US-Präsident zum Handelskrieg gegen China auf, schon scharen sich seine europäischen Vasallen um ihn und gehen auf Chinas Projekt der neuen Seidenstraße los. Dass sie sich selbst dabei am meisten schaden, sprich: die eigene europäische Wirtschaft aufs Abstellgleis stellen, nehmen sie gehorsam hin. Aber das kennen wir ja schon von den Sanktionen gegen Russland.
In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren 27 der 28 EU-Botschafter in Peking, die Seidenstraßen-Initiative laufe »der EU-Agenda für die Liberalisierung des Handels entgegen und verschiebe das Kräfteverhältnis zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen«. Zudem bekenne sich Peking zwar offiziell zu den Spielregeln der Welthandelsorganisation, unterfüttere dies aber nicht mit »greifbaren Taten«, heißt es in dem Bericht, der allein vom Vertreter Ungarns nicht mitgetragen wurde.
Die Regierung in Peking wolle mit dem Plan die internationalen Beziehungen und die Globalisierung nach ihren Vorstellungen umgestalten, schreiben die EU-Diplomaten weiter. »Gleichzeitig verfolgt die Initiative einheimische politische Ziele wie die Reduktion von Überkapazitäten, den Ausbau von Chinas Rolle in internationalen Märkten, die Schaffung neuer Exportmärkte und die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen.«
Der ungewöhnlich kritische Bericht ist Teil der Vorbereitung des EU-China-Gipfels im Juli. Derzeit erarbeitet die EU-Kommission ein Strategiepapier, um die Mitgliedstaaten auf eine einheitliche Antwort auf Chinas Prestigeprojekt einzuschwören. »Wir sollten uns der Zusammenarbeit nicht verweigern, aber höflich und bestimmt unsere Bedingungen formulieren«, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat. Dazu zähle, dass chinesische Firmen nicht bei der Auftragsvergabe bevorzugt werden dürfen.
Die chinesische Dynamik
Statt also die Chance dieses riesigen eurasischen Entwicklungsprojekts für Europa zu ergreifen, beginnen die europäischen Politiker dank ihrer transatlantischen Vernetzungen auf das chinesische Jahrhundertprojekt einzuprügeln. Dabei ist der Zug schon längst losgefahren. Chinas Präsident Xi Jinping präsentierte den gigantischen Plan bereits Anfang April 2014 bei seinem Besuch in Duisburg, der Stadt mit dem größten Binnenhafen der Welt und einem historischen Transport-Drehkreuz für die europäische und deutsche Stahlindustrie (mit Zentrum Ruhrgebiet). Eine neue »Wirtschaftliche Seidenstraße« (offizieller Titel »One Belt, One Road« OBOR) zwischen China und Europa nannte Xi diesen weitreichenden Plan. Deutschland und China seien die beiden wirtschaftlichen Lokomotiven am jeweiligen Ende dieser Seidenstraße. Durch die Kooperation an dieser Vision einer Eisenbahnverbindung könnten neue Wirtschaftszentren entlang der Route entstehen.
Die Infrastruktur für diese Seidenstraße des 21. Jahrhunderts ist bereits in ihren Grundzügen erkennbar: Die Eisenbahnverbindung über die Strecke Chongqing-Xinjiang-Duisburg durch die Mitte des Eurasischen Kontinents dauert nur 16 Tage, über die Strecke Chengdu-Lód´z (Polen) zwölf Tage – statt 40 bis 50 Tage auf See – und kann nicht von Kriegsschiffen blockiert werden.
Mit der Türkei ist eine Eisenbahnverbindung vereinbart, die von Kars an der östlichen Grenze der Türkei zu Armenien über das Landesinnere bis Istanbul verlaufen soll, wo sie an den Marmara-Tunnel anschließt, der gegenwärtig unter dem Bosporus gebaut wird, und von dort weiter nach Edirne nahe der Grenze zu den EU-Staaten Griechenland und Bulgarien geht.
Eurasische Landbrücke
Die türkische Neubaustrecke ist Teil einer weiteren, im Süden des Kontinents geplanten Eurasischen Landbrücke. Sie beginnt an der Küste von Guandong, im wichtigsten Hafen Shenzen, und verläuft dann über Myanmar, Bangladesch, Indien, Pakistan, den Iran und die Türkei bis nach Europa.
Schon im Jahr 2011 hatte China eine nördlicher verlaufende Eurasische Landbrücke fertiggestellt, die vom Hafen Lianyungang am Ostchinesischen Meer über Kasachstan und von dort über Russland und Osteuropa bis zum niederländischen Hafen in Rotterdam verläuft. Die Strecke hat eine Länge von 10 900 Kilometern. Im Mai desselben Jahres wurde die tägliche Bahnfrachtverbindung zwischen dem belgischen Hafen Antwerpen und Chongqing, dem Industriezentrum im Südwesten Chinas, eröffnet. Der Seetransport zwischen beiden Häfen dauert 36 Tage, auf den Schienen ist die Fracht nur 20 bis 25 Tage unterwegs. Die erste Eurasische Landbrücke besteht übrigens schon seit 1916, als die Transsibirische Eisenbahn fertiggestellt wurde. Auf ihr braucht der »Peking-Hamburg-Container-Express« 15 Tage. Per Schiff geht es nicht schneller als 30 Tage.
Der Sieg der Landmacht über die Seemacht
OBOR steht im Zentrum der chinesischen Strategie, die westlichen Landesteile zu entwickeln und in den Nachbarländern eine wirtschaftliche Stabilität zu fördern, die gleichzeitig den Nachschub von Rohstoffen sichert und neue Handelsmärkte schafft. Seit seinem Amtsantritt im März 2013 haben Xi und sein Premierminister Russland, Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan besucht – alle liegen entlang der Route des Seidenstraßenprojekts.
Die historische Seidenstraße – ein Netz von Karawanenstraßen, das vom Mittelmeer bis nach China reichte – verband schon im Jahr 141 v. Chr. Europa mit dem Fernen Osten. Hier wurden Handelsgüter, aber auch Ideen und Kultur ausgetauscht. Über 2000 Jahre später setzt China dazu an, die alten Routen wiederzubeleben.
Laut Staatschef Xi Jinping soll nicht nur China profitieren, vielmehr sollen weitere 65 Länder entlang der neuen Seidenstraße von neuen Handels- und Kommunikationsbeziehungen Vorteile haben. In diesem Wirtschaftsraum leben 4,4 Milliarden Menschen – also fast zwei Drittel der Weltbevölkerung. Hier wird knapp ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung produziert. Dieser Wirtschaftsraum wird erstmals von Kontinentalmächten dominiert – ein Dorn im Auge der Seemacht USA. Seit vierhundert Jahren beherrschen Seemächte wie Portugal, Spanien, Holland, Frankreich und England die Welt. Nun wird die eurasische Weltinsel für Seemächte unangreifbar, wie es vormals England für Landmächte war.
Der eurasische Wirtschaftsraum ist im Krisen- und Konfliktfall unabhängig vom Meer, das die USA samt allen Meeresengen beherrschen. Die US-Flugzeugträgerflotten sind nicht mehr als gigantische Schrottberge. China setzt nicht auf weltweite Militärstützpunkte, sondern auf Handelsbeziehungen, die im beiderseitigen Interesse sind, und spricht angesichts des bedeutenden Megaprojekts des 21. Jahrhunderts von einer »Schicksalsgemeinschaft«. Es einigte sich bereits mit Russland auf die Bindung des Seidenstraßenprojekts an die Eurasische Wirtschaftsunion und die Entwicklung Sibiriens. Auch Ungarn will dieses Projekt gemeinsam mit China voranbringen. Sollte China alle 65 Anrainerstaaten auf Augenhöhe mit ins Boot holen, könnte von Eurasien ein Friedensimpuls ausgehen. Aus diesem eurasischen Nukleus könnte dann weltweit eine multipolare Friedensordnung entstehen: Das wäre das Aus für die unipolare Weltordnung Washingtons. Alle diese Entwicklungen zeigen, dass China überall in Europa die Investitionen und Handelsbeziehungen beschleunigt ausbaut. Europa könnte also mit der neuen Seidenstraße an eine neue geopolitische Nabelschnur angeschlossen werden und damit seinem Untergang entkommen. Genau das will Washington natürlich nicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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