F. William Engdahl

Chinas Automarkt: Da braut sich etwas zusammen

Der Neuwagenverkauf in China ist im Mai um 16,4 Prozent eingebrochen. Es war der schwärzeste Monat in der Geschichte der vergleichsweise jungen chinesischen Automobilbranche und deshalb umso bedeutsamer, als China mittlerweile der weltgrößte Markt für Pkw ist. Wie der chinesische Verband der Pkw-Hersteller, CAAM, mitteilte, war der Absatz zuvor bereits im April um 14,6 Prozent und im März um 5,2 Prozent gesunken.

Es ist fraglich, ob sich diese Entwicklung mit dem Handelskrieg zwischen den USA und China begründen lässt. In jedem Fall wirkt sich dieser Trend massiv auf ausländische Hersteller aus, vor allem auf Deutschlands Automobilkonzerne. Könnte dies der Auftakt für eine schwere weltweite Rezession oder Schlimmeres sein?

Es ist etwas im Gange – aber nichts Gutes

Gegen die These, wonach die Schuld für diese Entwicklung in erster Linie beim Handelskrieg mit den USA zu suchen ist, spricht, dass der Mai 2019 bereits der zwölfte Monat in Folge war, in dem die Neuwagenverkäufe in China zurückgingen. Die Verkäufe zwischen Herstellern in China und Pkw-Händlern sind um 44 Prozent gefallen, und der Inlandsabsatz chinesischer Marken ist im Mai um beträchtliche 26 Prozent zurückgegangen.

Die chinesischen Marken Baojun, Dongfeng und Trumpchi haben dieses Jahr 40 Prozent eingebüßt, nur die japanischen Hersteller Honda und Toyota können noch ein Plus vorweisen. Offensichtlich ist etwas Großes im Gange in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt – und es ist nichts Gutes. Einen Hinweis auf die Ursachen liefert CAAMs stellvertretender Generalsekretär Xu Haidong, der sagte, ein Hauptgrund sei »ein Rückgang der Kaufkraft bei den geringeren bis mittleren Einkommensgruppen sowie Erwartungen, dass staatliche Programme Kaufanreize liefern«.

Konsumentenverschuldung

Beunruhigend ist vor allem die rückläufige Kaufkraft der unteren Einkommensgruppen. Ich schrieb bereits an anderer Stelle, dass ähnlich wie im Westen auch in China der Wohlstand vom einfachen Zugang zu Krediten getrieben wurde, vor allem seit der globalen Finanzkrise von 2008.

Seit 2009 ist China weltweit der größte Pkw-Hersteller. Bei vielen Fahrzeugen handelt es sich um Marken aus den USA, Japan oder der EU, die in China produzieren. Seit einem Jahrzehnt fertigt China mehr Autos als die USA und Japan zusammen und auch mehr als die gesamte EU. 2010 waren es nahezu 14 Millionen Fahrzeuge im Jahr, mehr hatte nie zuvor eine Nation produziert, und der Großteil der Pkw war für den Inlandsmarkt und die Klasse der »geringeren bis mittleren Einkommen« gedacht. Für Chinas Mittelstand gehörte es zwingend dazu, ein Auto zu besitzen, und viele Banken und Schattenbanken waren nur zu gern bereit, Kredite zu vergeben. 2009 betrug die Zahl der in China registrierten Pkw, Busse, Kleintransporter und Lkw 62 Millionen. 2020 werden es mehr als 200 Millionen sein. Das heißt, selbst wenn der Markt für Pkw-Besitzer noch nicht gesättigt sein sollte, stoßen die Haushalte doch an die Grenzen der möglichen Verschuldung.

Seit einem Jahrzehnt waren Chinas jüngere Familien mit wachsenden Einkommen immer stärker damit beschäftigt, sich ein Auto zuzulegen, eine eigene Wohnung oder gar ein eigenes Haus. Die explosionsartig zunehmenden – und größtenteils keiner Regulierung unterliegenden – Schulden der Haushalte und Konsumenten ließen 2018 bei der Regierung in Peking und bei der Zentralbank die Alarmglocken erklingen. Es kursierte die beunruhigende Zahl von 15 000 Milliarden Dollar (!) an offenen Krediten allein im Schattenbankengeschäft. Mindestens 3800 Milliarden Dollar davon lagen bei Treuhandfonds, die mit Ersparnissen gewöhnlicher chinesischer Bürger in kommunale Projekte oder in Immobiliengeschäfte investiert haben. Die Weltbank schätzt, dass der Anteil der Schattenbanken am chinesischen BIP zwischen 2005 und 2016 von 7 auf 31 Prozent angestiegen ist. Die Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vermutet, dass bei rund 7000 Milliarden Dollar die Gefahr eines Zahlungsausfalls besteht.

Paradies als Schuldturm

Der derzeitige Boom im Verbraucherbereich kam nach der weltweiten Finanzkrise von 2008 in Gang. Damals pumpte die Regierung in Peking viel günstiges Geld in die Wirtschaft (geradezu panikartig, so die Einschätzung vieler Beobachter), um für Beschäftigung und steigende Gehälter zu sorgen. Während nun die Regulierer anfangen, die Lage besser in den Griff zu bekommen, stellen Millionen chinesischer Mittelstandsfamilien fest, dass das Wirtschaftsparadies, in dem sie die vergangenen 2 Jahrzehnte gelebt haben, in Wirklichkeit ein Schuldturm ist, seit die Immobilienpreise nicht mehr im zweistelligen Prozentbereich steigen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass belastbare staatliche Zahlen nur schwer zu bekommen sind. Offiziell beträgt das BIP-Wachstum 6 Prozent, und an diesem Wert darf offenbar unter keinen Umständen gerüttelt werden, aber einige chinesische Ökonomen vermuten, dass der tatsächliche Wert bei einem Prozent liegt oder sogar negativ sein könnte.

Vor diesem Hintergrund ist der jüngste Rückgang beim Autoabsatz mehr als nur beunruhigend. Diese Entwicklung hat weltweit Folgen, nicht nur in Deutschland. Volkswagen ist Marktführer in China und hat dort 2017 mehr als 3 Millionen Fahrzeuge verkauft.

Globale Folgen

Weltweit ist die Automobilindustrie in den vergangenen Monaten in ein neues Stadium der Krise eingetreten, und das hat sehr viel mit dem anhaltenden Einbruch der Nachfrage in China zu tun. Hinzu kommen Themen wie der Skandal um die Dieselemissionen. Das Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen prognostiziert, dass pro Jahr weltweit mindestens 4 Millionen Fahrzeuge weniger produziert werden, was ein gewaltiger Schock wäre. Die meisten westlichen Analysten waren vom Ausmaß, in dem die Nachfrage in China eingebrochen ist, überrascht worden.

Im Mai sprach der damalige Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche davon, dass die Branche vor einer Disruption bislang unbekannten Ausmaßes stehe und deshalb umfassende Einsparungen anstünden. Deutsche Automobilzulieferer wie Bosch und Tausende kleiner und mittelständischer Betriebe sprechen von der schlimmsten Krise seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Als Reaktion auf den globalen Abschwung haben in der ersten Jahreshälfte 2019 Automobilhersteller von Deutschland über Italien bis in die USA rund 38 000 Arbeitsplätze abgebaut. John Murphy, Auto-Analyst bei der Bank of America Merrill Lynch, sagte: »Die Industrie sieht sich derzeit von einer Entwicklung bedroht, die sich unserer Meinung nach als deutlicher Abschwung erweisen wird. Das Tempo des Rückgangs in China ist eine echte Überraschung.«

Für Deutschlands Automobilkonzerne könnte der Einbruch des chinesischen Markts kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Aktuell investieren die Firmen Milliardenbeträge in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen der nächsten Generation, doch es dürfte wohl noch Jahre dauern, bis sich diese Modelle wirtschaftlich rechnen. Noch jedenfalls sind sie deutlich teurer als Benziner oder Dieselfahrzeuge. Parallel werden die Firmen von der EU mit drakonischen und willkürlichen Forderungen bezüglich der Emissionen belegt.

Sollte nun Washington auch noch Fahrzeuge aus Deutschland und anderen EU-Ländern mit Zöllen belegen, könnte es an der Wirtschaftsfront stürmisch werden. Seit 2000 wurde die industrielle Produktion globalisiert, und China hat sich in die Drehbank der Welt verwandelt. Nun zeigen sich Risse in der Fassade der Globalisten.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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Dienstag, 09.07.2019