Peter Orzechowski
Das Hindukusch-Fiasko
Als die Bundeswehr im November 2001 begann, »Deutschland am Hindukusch zu verteidigen«, ahnte wohl niemand, dass 17 Jahre später die deutschen Soldaten darum bangen müssen, mit heiler Haut aus Afghanistan zu kommen. Genau danach sieht es im Moment aus.
Von Beginn der Operation an war die Bundeswehr auf Fremdleistungen angewiesen, was den Transport von Großgeräten wie Hubschraubern, Panzern, Panzerhaubitzen und ähnlich sperrigem Material nach Afghanistan und zurück betraf. Ohne die Hilfe der Großraumtransporter AN 124 des russischen Lufttransportunternehmens »Wolga-Dnjepr« wäre der gesamte Einsatz in Afghanistan nicht möglich gewesen. Wenn diese Hilfe ausbleiben sollte, wird auch ein geordneter Rückzug kaum funktionieren können. Und genau das ist jetzt zu erwarten.
Afghanistan ist eingerahmt vom Iran im Westen, Pakistan im Osten und Süden, während an der Nordgrenze Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan die direkten Nachbarn sind. Einen direkten Zugang zum Meer gibt es nicht – und hierin liegt das Problem. Um schweres Gerät nach Afghanistan zu transportieren, ist man auf den Luftweg angewiesen und damit auf das Wohlwollen von Nachbarstaaten. Ein Anflug vom Westen her über den Iran ist bei der derzeit angespannten Lage nicht vorstellbar.
Ebenso fraglich ist der Luftweg Richtung Süden über Pakistan. Denn die Versorgungsflüge müssten über Pakistan und den Indischen Ozean laufen, um dann den weiten Weg über die Arabische Halbinsel antreten zu können. Das würde die Wegstrecke nahezu verdoppeln, nämlich auf über zehn bis elf Stunden. Und da ist gleich das nächste Problem: Ohne Zwischenlandung zum Auftanken geht das nicht. Das aber ist heikel, denn nicht jedes Land auf diesem Weg wird das zulassen. Der Bundeswehr bleibt also keine andere Wahl, als ihre Versorgungsflüge über Turkmenistan und damit auch über Russland durchzuführen. Genau hier liegt der springende Punkt.
Probleme mit der Chartergesellschaft
Genau genommen sind es zwei kritische Punkte: die Flugroute – siehe oben – und die Chartergesellschaft, die bisher den Transport abwickelte. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung haben die Bundeswehr und die Streitkräfte anderer NATO-Staaten ab Beginn des nächsten Jahres ein Problem mit dieser Firma. Denn die russische Chartergesellschaft, die mehr als zehn Jahre lang einen Großteil von schwerer Kampftechnik in Einsatzgebiete wie Afghanistan oder Mali transportiert hatte, lässt zum 31. Dezember 2018 die Verträge auslaufen.
Besonders pikant: Das neue Transportflugzeug A 400M der Bundeswehr kann die russische Antonow ohnehin nicht ersetzen, denn sie ist für einige der »Transportstücke in Übergröße« nicht geeignet. Aber das spielt keine große Rolle, denn der seit Jahren überfällige Transporter ist sowieso nicht in ausreichender Stückzahl für einen derartigen Einsatz vorhanden. Wegen Verzögerungen in der Produktion des A 400M war vor mehr als zehn Jahren ein Vertrag mit dem damals russisch-ukrainischen Gemeinschaftsunternehmen »Ruslan« geschlossen worden. Am Flughafen Leipzig/ Halle standen fortan immer zwei Antonow-Jumbos abrufbereit zur Verfügung, weitere Flugzeuge konnten in bestimmten Stundenfristen zusätzlich gebucht werden.
Aber das war noch vor dem Maidan-Putsch und dem Bürgerkrieg in der Ostukraine. Inzwischen sind die Fronten zwischen Russland und der Ukraine verhärtet. Daher schloss die NATO mit den bisherigen Joint-Venture-Partnern – dem ukrainischen Flugzeughersteller Antonow und dem russischen Transportunternehmen »Wolga-Dnjepr« – neue Verträge. Demnach stellt die russische Seite zwölf und die ukrainische Seite sieben Flugzeuge zur Verfügung.
Russland will nicht mehr
Trotz massiver Verunglimpfungen, Anschuldigungen und Sanktionen hält sich Russland an den Vertrag, den es mit der NATO und der Bundeswehr geschlossen hat. Aber dieser Vertrag läuft eben zum 31. Dezember 2018 aus. Russland hat bereits jetzt – auch das ein fairer Akt– angekündigt, dass es einer Verlängerung nicht zustimmen wird.
Die NATO und mithin die Bundeswehr müssen im nächsten Jahr andere Transportmittel für ihre schwersten Lasten finden. Das gilt nicht nur für Afghanistan, sondern auch für alle anderen Länder. So benötigt zum Beispiel Frankreich die russische AN 124 für den Transport seiner Hubschrauber in afrikanische Einsatzgebiete, ebenso wie die Bundeswehr. Stichwort: Mali (Kopp Exlusiv berichtete). Die Bundeswehr hat also ein Problem, das sie nicht eigenständig lösen kann – und zwar ein gewaltiges. Nicht nur in Afghanistan.
Gehen wir nach Einschätzung der Lage – Stichwort: ständige Anschuldigungen und Sanktionen – davon aus, dass Russland auch noch seinen Luftraum für militärische Transporte sperrt, dann wird es richtig schwierig. Denn in diesem Fall bliebe nur der zehn bis elf Stunden lange Flug über Pakistan, den Indischen Ozean und Arabien mit dem beschriebenen Auftank-Problem. Richtig schwierig, ja geradezu unlösbar wird es, wenn die USA Pakistan weiter verärgern und Islamabad auch den pakistanischen Luftraum für Militärtransporte sperrt. Dann sitzen unsere Soldaten in der Falle. Eine Armee ohne Nachschub und Rückzugsmöglichkeiten kann sich nur ergeben und dann auf die Gnade der Taliban hoffen. Die herrschen wieder über 32 der 34 Provinzen Afghanistans.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einem Abo, falls Ihnen dieser Beitrag gefallen hat.