Timothy Lavin, Clive Crook
Das Internet abzuschalten, macht niemanden sicherer
Rund um die Welt erwärmen sich Regierungen für eine »schicke« neue Idee – warum nicht das Internet abschalten? Manche meinen das sogar wortwörtlich.
Die Methoden variieren, aber der Trend ist ganz eindeutig. Mehr und mehr Länder weisen ihre Telekommunikationsfirmen und andere Unternehmen an, den Zugang ins Netz zu blockieren, Kurznachrichtendienste zu schließen oder die Funktionsfähigkeit digitaler Anwendungen und Webseiten einzuschränken. Normalerweise geschieht das mit Verweis auf die öffentliche Ordnung oder durch Bedenken zur nationalen Sicherheit. In Extremfällen wird der Internetzugang vollständig gesperrt. Weltweit stieg die Zahl derartiger »Shutdowns« vergangenes Jahr gegenüber 2016 von 75 auf 188.
Eine bedauerliche Zahl und man kann davon ausgehen, dass sie weiter zunehmen wird. Warum dieser Weg für Autokraten attraktiv ist, liegt auf der Hand: Sie können zu dieser Methode greifen, um unbequeme Nachrichten und unerwünschte Meinungen zu unterdrücken, um politische Konkurrenz zu zensieren, um Aktivisten daran zu hindern, sich zu organisieren, und um Diskussionen über Fehltritte der Regierung im Keim zu ersticken. Ein Beispiel: Nachdem vergangenes Jahr in der Demokratischen Republik Kongo die Wähler ihre Stimme in einer Wahl, die gemeinhin als korrupt bewertet wurde, abgegeben hatten, blockierte die Regierung für nahezu 3 Wochen den Internetzugang komplett. Die Maßnahme, die das völlig verarmte Land einer Berechnung zufolge etwa 3 Millionen US-Dollar pro Tag kostete, sollte dazu dienen, »Chaos zu verhindern«.
Selbst in Demokratien können derartige Verbote einen gewissen Reiz entfalten. Als im April Terroristen in Sri Lanka über 250 Menschen töteten, schalteten die Behörden über 1 Woche lang den Zugang zu diversen sozialen Medien ab. Für den Augenblick mag das gerechtfertigt erscheinen – Kurznachrichtendienste können dazu führen, dass sich Falschinformationen rascher verbreiten, zudem schien es, als stünden weitere Akte der Gewalt bevor.
Das Problem daran ist, dass es keine Beweise dafür gibt, dass derartige Verbote etwas bewirken. Sie tragen nicht dazu bei, die Wut abzubauen, die sich in Gewalt Bahn brechen könnte, und wer es gezielt darauf anlegt, Ärger zu machen, kann das Verbot mit virtuellen privaten Netzwerken und anderer Technologie umgehen – oder schlicht Gerüchte auf die althergebrachte Weise verbreiten. Zudem werden Shutdowns schnell zur Gewohnheit – in Indien werden sie häufiger als in allen anderen Ländern zusammen verhängt und einige der Begründungen sind bizarr beziehungsweise trivial.
Die negativen Folgen sind enorm. Eine überhastet umgesetzte Blockade kann wichtige Kommunikation einschränken, die Arbeit von Rettungskräften behindern, öffentliche Panik verursachen und dazu führen, dass sich Gerüchte breit machen, weil es keine verlässliche Versorgung mit Nachrichten gibt. Sie können sogar dem Ausbruch von Gewalt Vorschub leisten. Und teuer sind sie obendrein: Die Shutdowns in Indien über einen Zeitraum von 5 Jahren haben das Land über 3 Milliarden Dollar gekostet.
Grundsätzlich sollten derartige Einschränkungen vermieden werden. Werden sie in einer Notfallsituation als erforderlich erachtet, sollte es vom Gesetzgeber geregelt sein, dass die Einschränkungen nur vorübergehend und nur an einen bestimmten Zweck gebunden sind und dass sie gerichtlich aufgehoben werden können. Außerdem sollten sie passgenau zugeschnitten sein – es ist niemals vertretbar, im gesamten Land das Internet vollständig herunterzufahren, sämtliche Nachrichtenseiten, den E-Mail-Verkehr und alles Weitere. Die entsprechenden Grenzen festzulegen ist eine Aufgabe, die nicht ungewählte Beamte übernehmen sollten, sondern die Legislative.
Die Prognose für autoritäre Länder, in denen umfassende Shutdowns immer häufiger an der Tagesordnung sind, fällt trüb aus, aber internationale Überwachung sowie Kampagnen von Aktivisten können hier etwas bewegen, ebenso der Druck seitens der Wirtschaft. Telekommunikationsdienste müssen die örtliche Gesetzgebung befolgen, aber wo immer möglich, sollten sie gerichtlich gegen Shutdown-Anweisungen vorgehen. Wenn über Betreiberlizenzen verhandelt wird, könnten die Unternehmen sich dafür stark machen, dass vertraglich festgehalten ist, dass derartige Anforderungen gerichtlich überprüft werden können. Natürlich wird das diesen Praktiken keinen Einhalt gebieten, aber es könnte Regierungen dazu bringen, es sich genauer zu überlegen.
Realistisch betrachtet ist davon auszugehen, dass Shutdowns des Internets in den kommenden Jahren häufiger werden. Das Ziel sollte darin bestehen, sie weitestgehend einzuschränken und die Kosten für missbräuchliche Nutzung durch den Staat zu erhöhen.
Quelle: BNN Bloomberg
Donnerstag, 06.06.2019