Tyler Durden
Das Undenkbare geschieht: Wohin mit dem Öl?
Der Ölkrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland hat den Rohölpreis während der vergangenen Wochen tiefer und tiefer stürzen lassen. Im Zuge der irrationalen Auseinandersetzung ist auch die amerikanische Schieferöl-Industrie (mit ihren Ramschanleihen) ins Kreuzfeuer geraten. Es könnte jetzt die völlig absurde Situation eintreten, dass ein Barrel Öl null Dollar kostet oder sogar einen negativen Preis erreicht.
Woran liegt das? Laut Paul Sankey von der Mizuho Financial Group könnten angesichts eines Überangebots von atemberaubenden 15 Millionen Barrel pro Tag die Rohölpreise ins Negative gedrückt werden, wenn die Saudis und die Russen weiterhin den Markt ungebremst mit Öl fluten. Die amerikanischen Rohölexporte, die derzeit bei 4 Millionen Barrel pro Tag liegen, werden immer weiter zurückgehen, während die Marktpreise einbrechen und die Preise für Öltanker in die Höhe schnellen. Aktuell sind die amerikanischen Lager zu 50 Prozent belegt und können weitere 135 Millionen Barrel aufnehmen. Nehmen wir eine Zuwachsrate von zwei Millionen Barrel täglich an, wären die amerikanischen Lager in zehn Wochen voll.
Das Wettrennen zwischen dem Auffüllen der Lager und dem Trend hin zu einem negativen Preis wird erst enden, wenn »die amerikanischen Rückgänge schneller ansteigen als die neuen Lagerkapazitäten, aber ein derartiges Szenario bezweifeln wir doch sehr«, so Sankey. Das heißt: Kommt es nicht zu dramatischen neuen Entwicklungen, werden Sie von den Energiehändlern Geld dafür bekommen, dass Sie ihnen großzügigerweise ein paar Millionen Barrel Öl abnehmen.
Die ohnehin bereits trübe Lage entwickelte sich vergangene Woche vollends zur Katastrophe, als Goldman, Vitol und die IEA allesamt ihre Prognosen heraufsetzten, was das Überangebot anbelangt – auf unvorstellbare 20 Millionen Barrel pro Tag.
Auslöser ist, dass die Nachfrage eingebrochen ist, während die Weltwirtschaft zum Stillstand kommt, und dass Saudi-Arabien parallel dazu mit aller Entschlossenheit daran arbeitet, alle anderen Opec-Mitgliedsstaaten aus dem Geschäft zu drängen, die mit höheren Kosten zu tun haben.
Damit der Ölmarkt wieder ein Gleichgewicht findet, müssten also sowohl Saudi-Arabien wie auch Russland ihre Produktion komplett herunterfahren. Das ist natürlich völlig unrealistisch. Tatsächlich fördert Saudi-Arabien aktuell zwischen 2 und 3 Millionen Barrel täglich mehr als noch vor einem Monat. Das sorgt dafür, dass Sankeys These, die Ölpreise könnten ins Negative kippen, mit jedem neuen Tag immer wahrscheinlicher erscheint.
So wahrscheinlich, dass die Energiebranche in den USA anfängt, sich mit der allzu real wirkenden Möglichkeit zu befassen, dass ihr der Speicherplatz ausgeht. Bloomberg berichtet, amerikanische Pipeline-Betreiber hätten die Ölförderer gebeten, ihre Produktion freiwillig zu drosseln. Es ist das bislang wohl deutlichste Signal dafür, dass die Rohöl-Flut die Lagerkapazitäten zu gefährden droht.
Wie Bloomberg schreibt, hat Plains All American Pipeline, einer der größten Pipeline-Betreiber des Landes, seine Lieferanten gebeten, die Produktion zurückzufahren. Absender des Schreibens war die Vermarktungsabteilung des Unternehmens, sie ist zuständig für den Ein- und Verkauf von Rohöl. Am Samstag erklärte ein texanischer Ölregulierer, andere Förderunternehmen würden von ihren Pipeline-Betreibern ähnliche Schreiben bekommen.
»Wir senden diese Bitte proaktiv an unsere Lieferanten und hoffen, dass sie Schritte ergreifen, als Reaktion auf die Pandemie die Ölproduktion zu reduzieren«, heißt es in dem Schreiben von Plains, das Bloomberg vorliegt. Na, viel Spaß dabei: In einer Branche, die darauf ausgelegt ist, immer und ständig zu produzieren, ist das so, als würde man den Nil bitten, seine Strömungsrichtung zu ändern.
In einem separaten Schreiben verlangt das Unternehmen von seinen Kunden, nachzuweisen, dass sie einen Abnehmer oder einen Lagerplatz für das Öl haben, hieß es von Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind. Ähnliches war von Enterprise Product Partners zu hören, sagte eine Person. Das Unternehmen stand für eine sofortige Stellungnahme nicht zur Verfügung. Die Idee dahinter: Niemand soll sein Öl in den Pipelines parken können. Eine derartige Aufforderung hat es zuvor nie gegeben und sie spricht dafür, dass die Pipeline-Betreiber inzwischen überzeugt sind, dass die kommerziellen Lagerstätten in den USA bald an ihre Grenzen stoßen werden. Ölproduzenten werden dann gezwungen sein, ihren Kunden Geld dafür zu geben, dass sie ihnen Öl abnehmen, ansonsten droht der amerikanischen Öl-Infrastruktur beispielloser Schaden.
Bloomberg bringt die Situation auf den Punkt:
»Die Signale sprechen dafür, dass der Ölmarkt rasch auf den Punkt zusteuert, vor dem die Händler gewarnt haben: Die Lagertanks und Pipelines werden für die Rohölvorräte nicht mehr ausreichen, während die Coronavirus-Pandemie die Ölnachfrage so stark wie noch nie in der Geschichte einbrechen lässt.«
Ryan Sitton aus der Texas Railroad Commission, die auch für die Regulierung der Ölbranche in dem US-Bundesstaat zuständig ist, sagte: »Ich habe gehört, dass einige texanische Produzenten Schreiben von den Pipelines bekommen, in denen gebeten wird, die Ölproduktion zu senken, weil ihnen der Platz ausgeht.«
Bereits zuvor hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass die Lagerkapazitäten in Nordamerika an ihre Grenzen stoßen. Am Freitag fiel der Preis für die Lieferung unterschiedlicher Rohölsorten auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Rohöl der Sorte West Texas Intermediate aus dem Herzen des Permian-Beckens kostete 13,01 Dollar pro Barrel und war damit so billig wie zuletzt 1999. Die Sorte West Canada liegt nur noch 5 Dollar über dem Sturz ins Negative.
Und als ob das nicht schon verrückt genug wäre: Mercuria Energy Group, ein Schwergewicht am Markt, hat gerade 95 Cent für Wyoming Asphalt Sour geboten. Dieses dichte Öl kommt hauptsächlich in der Asphaltherstellung zum Einsatz. Der Fasspreis habe im März schon bei unter Null gelegen, so Mercuria.
An den Zapfsäulen macht sich dieser Preissturz überraschenderweise bislang noch nicht bemerkbar. Möglicherweise liegt das daran, dass die amerikanischen Raffinerie-Betreiber die Ölmengen, die sie kaufen und verarbeiten, schrittweise zurückgefahren haben, nachdem Ausgangssperren erstmals dafür sorgten, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind und die Benzinnachfrage entsprechend deutlich nachließ. Unterdessen bricht eine neue Pleitewelle los, denn amerikanische Schieferölproduzenten stellen sich auf den Tag ein, an dem Zwischenhändler ihr Produkt nicht mehr annehmen werden. Sie fahren ihre Förderaktivitäten zurück, auch wenn das bedeutet, dass sie ihre Anleihen nicht mehr bedienen können.
Bis sich dies spürbar auf die Ölproduktion auswirkt, könnten allerdings noch Wochen, wenn nicht Monate ins Land gehen. Unterdessen sind die Lager in Cushing, Oklahoma, wo sich Amerikas größte Lagerstätte befindet, schon jetzt mehr als halb voll und füllen sich rasch.
Sitton macht sich dafür stark, dass Texas im Rahmen einer Vereinbarung mit den Opec-Staaten seine Rohölproduktion drosselt. »Wir müssen die Dinge in die Hand nehmen«, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Nun könnte man sich fragen: Die Tanks sind nahezu voll, aber jetzt, wo die weltweite Nachfrage eingebrochen ist, könnte man doch die ganzen Tankschiffe, die ungenutzt vor Anker liegen, befüllen, oder? Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass die kommerziellen Speichermöglichkeiten der USA nahezu erschöpft sind und man gezwungen ist, vorübergehend auf Öltanker als Lagerstätten zurückzugreifen.
Und genau das geschieht. Der Ölmarkt stürzt gerade in eine Situation, die als »Super-Contango« bezeichnet wird, was bedeutet, dass es sich für Händler lohnt, heute Öl zu kaufen, es zu lagern und es in Monaten oder sogar Jahren mit Gewinn zu verkaufen. Das führt dazu, dass die Händler Öl einlagern, wo auch immer sie können. Die Nachfrage, Öl auf Schiffen zu lagern, sei enorm, heißt es bei Vitol und Gunvor, zwei der weltgrößten Ölhändler. Die Händler interessieren sich dabei normalerweise für die größten Öltanker, da diese am kosteneffektivsten sind. In den vergangenen Tagen haben Schiffseigner allerdings auch Anfragen für kleinere Schiffe mit einer Kapazität von einer Million Barrel oder noch weniger erhalten und das für Zeiträume von über zwölf Monaten, sagt Lois Zabrocky, die Chefin von International Seaways.
»Das ist etwas, was man einmal innerhalb einer Generation erlebt«, sagte sie Oilandgas360.
In einer anderen Meldung zitierte Bloomberg Robert Hvide Macleod, den Chef des Tankerbetreibers Frontline Management, mit den Worten: »Das Öl geht mit einer nie zuvor gesehenen Geschwindigkeit auf die Schiffe.« Das sei die Folge des Überangebots auf dem Markt. Die Schiffe würden sich fünf Mal so schnell füllen wie 2015, als auf dem Markt zuletzt ein massives Überangebot herrschte. International Seaways teilte mit, im Rahmen dieses Überangebots könnte die Menge an Öl, die schwimmend gelagert wird, 100 Millionen Barrel erreichen.
Warum? Der Kernsatz sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt: »Weltweit werden jeden Tag 20 Millionen Fass Öl zu viel produziert.« Das bedeutet anders formuliert: Für etwa 20 Prozent der globalen Produktion finden sich keine Abnehmer, und zwar Tag für Tag für Tag. Wie lange wird es da dauern, bis alle Lager und alle Öltanker voll sind?
Und was geschieht dann mit dem Ölpreis? Eines ist sicher: Es wird Blut fließen.
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Dienstag, 31.03.2020
Quelle: ZeroHedge