Stefan Schubert
Der gläserne Bürger:
Schnüffeln auf Hightech-Niveau
Schnüffeln auf Hightech-Niveau
Polizei, Militär und Geheimdienste starten die Massenüberwachung mit künstlicher Intelligenz. Diese Feststellung bezieht sich keineswegs auf die USA, wo dieses Szenario längst Realität ist, sondern auf Deutschland. Die Amerikanisierung deutscher Sicherheitsorgane schreitet im digitalen Zeitalter rasant voran. Unter dem Vorwand der (islamistischen) Terrorismusbekämpfung erhalten die Sicherheitsbehörden nun »Machtbefugnisse wie vor 1945«, mahnen besorgte Kritiker.
Die bestehende Sicherheitsarchitektur wurde Deutschland von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aufgezwungen. Daher wurde das organisatorische Gefüge 1949 nicht nach den optimalsten Gesichtspunkten bestimmt, sondern es sollte vor allem dem Ziel dienen, einen neuerlichen Polizeistaat zu verhindern. Ein Apparat wie die Gestapo sollte nie wieder auf deutschem Boden möglich sein. Daraus resultiert auch das Trennungsgebot von Polizei und Inlandsgeheimdiensten. Der Verfassungsschutz sollte zwar Extremisten überwachen und Informationen sammeln, Verhaftungen und Hausdurchsuchungen blieben jedoch Polizeikräften vorbehalten.
Polizei erhält Geheimdienstbefugnisse
Dass dieses Trennungsgebot durch die massive Ausweitung der polizeilichen Staatsschutzabteilungen längst durch die Hintertür abgebaut wurde, steht auf einem anderen Blatt. Auch die föderale Struktur, um nicht zu sagen Zersplitterung der inneren Sicherheit ist eine Anweisung der Siegermächte gewesen, die bis heute von der Politik beibehalten wird. Einen Zustand, den die Amerikaner paradoxerweise immer wieder stark kritisieren, wie etwa nach 9/11 und im Falle der unentdeckten al-Qaida-Zelle um Mohammed Atta in Hamburg.
Im Zuge der aktuellen Neufassungen des BKA-Gesetzes und des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) der Länder werden diesen Behörden nun weitreichende Befugnisse zugeteilt. Um diese zu bewerkstelligen, hat die Politik den neuen Begriff der »drohenden Gefahr« eingeführt. Bisher konnten die Sicherheitsbehörden umfangreiche Maßnahmen erst bei dem Nachweis einer »konkreten Gefahr« treffen, doch diese jahrzehntelange Praxis verschiebt sich nun deutlich. Die Eingriffsschwelle der Polizei wird durch die Gesetzesänderungen erheblich herabgesenkt, wie etwa bei Online- oder umfangreichen DNA-Untersuchungen.
Kritiker sehen die Polizei dadurch in der Lage, ebenso wie ein Geheimdienst zu agieren. Und dies alles nur, weil statt von einer konkreten Gefahr nun vor einer drohenden Gefahr gesprochen wird. Das heißt: Konkrete Tatvorbereitungen sind zwar weder ersichtlich noch beweisbar, doch die Behörden trauen der Person eine Straftat in der Zukunft zu. In der Öffentlichkeit wird der Kampf gegen den islamistischen Terror und gegen islamistische Gefährder aufgeführt, der diese Änderungen erforderlich mache. So lautet jedenfalls die Argumentation der Politik. Die Verantwortlichen der unkontrollierten Masseneinwanderung aus muslimischen Kriegsgebieten begründen also mit ihrem epochalen Staatsversagen eine fundamentale Gesetzesverschärfung.
Der Kühlschrank als Schnüffler
Würde sich diese Maßnahme nur auf islamistische Gefährder beziehen, wäre sie den meisten vermutlich egal, doch diese Ausweitung der Staatsüberwachung wird alle 82 Millionen Bürger dieses Landes betreffen. Parallel zur Ausweitung der Befugnisse starten die Polizei, die Geheimdienste und die Bundeswehr eine bisher beispiellose Massenüberwachung der Bürger. Zum einen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und zum anderen durch Ausspähprogramme wie beispielsweise durch die mit der CIA vernetzte Software der Firma Palantir, deren umstrittenes Überwachungsprogramm »Gotham« bereits von der hessischen Polizei eingesetzt wird. Im Zeichen der Digitalisierung – Stichwort Smart Home – und der Auslesbarkeit von Daten bei Google und Facebook ist jedermann längst ein offenes Buch für die Behörden. Diese Daten wollen die Behörden nun mit geheimen Datensätzen und Akten verbinden, um so ein Risikoprofil anfertigen zu können, und zwar ohne jeglichen konkreten Anlass.
Der smarte Kühlschrank meldet eine Woche keine neuen Einkäufe (= Urlaub oder untergetaucht?), der Stromverbrauch hat sich zur Vorwoche deutlich erhöht (= neue Mitbewohner?). Die Daten werden zudem mit Bewegungsprofilen des Smartphones abgeglichen. Zudem sind die Programme in der Lage, die jeweilige politische Einstellung zu erfassen. Welche Beiträge und Seiten liken die Bürger auf Facebook? Auf welchen Seiten hinterlassen sie Kommentare – und vor allem: welche Kommentare?
Riesige Webcrawler durchforsten Facebook und Twitter und registrieren die Wortwahl der Nutzer: Wenn sie Wörter wie das der Umvolkung oder des militanten Widerstands benutzen, oder von einer sozialistischen Revolution und Kapitalisten sprechen oder von »wir Muslime und die Ungläubigen«, dann reicht allein das aus, um in die Fänge dieser gigantischen digitalen Rasterfahndung zu geraten. Das Programm erstellt sogleich eine Risikoauswertung über die betreffenden Bürger und teilt ihnen einen Risiko-Score zu. Danach soll dann der Grad ihrer Radikalisierung und die Wahrscheinlichkeit einer Straftatbegehung eingeschätzt werden.
Orwell als Gebrauchsanleitung?
Angenommen, ein Bürger hat noch nie gegen ein Gesetz verstoßen, ist weder beleidigend geworden noch hat er dies vor. Trotzdem kann er von dem Programm als Radikaler, als Gefährder eingestuft werden. Und durch die neuen Polizeigesetze kann der Bürger bereits jetzt zum Adressaten von polizeilichen Maßnahmen wie Durchsuchungen werden. Man stelle sich vor, mit diesen Programmen würde jeder Beamte auf Linientreue durchleuchtet werden. Jeder Polizist, jeder Soldat, jeder Lehrer. Die nächste Beförderung würde ihnen dann aufgrund ihres Risiko-Scores verweigert, ebenso die Einstellung in den Staatsdienst. Den Antrag auf einen Waffenschein würden die Behörden ablehnen und Fluggesellschaften sich weigern, den Betreffenden Flugtickets zu verkaufen.
All dies wegen der anlasslosen Massenüberwachung, die Polizei, Geheimdienste und Militär nun gestartet haben. Während Deutschlands Grenzen noch immer nicht konsequent kontrolliert werden, ist die Bevölkerung des Landes diesem Angriff auf die Privatsphäre und auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit schutzlos ausgeliefert. Kritiker spotten bereits, die Bundesregierung betrachte Orwells 1984 als Gebrauchsanleitung.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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