Andreas von Rétyi
Der nächste Weltkrieg – statistisch berechenbar?
Ein US-Computerwissenschaftler hat die großen Konflikte der vergangenen 200 Jahre ausgewertet, um Hinweise auf den Ausbruch eines nächsten Weltenbrands zu finden.
Die Daten widersprechen bisherigen Expertenmeinungen.
Die Daten widersprechen bisherigen Expertenmeinungen.
Was von Statistiken zu halten und was mit ihnen zu machen ist, weiß eigentlich jeder. Und doch verlocken sie Gelehrte wie andere das Kartenlesen. Aaron Clauset, Assistenzprofessor an der Universität Colorado, will auf Grundlage historischer Daten unsere Kriegszukunft vorhersagen. Er bezieht sich auf das online verfügbare Datenreservoir des Correlates of War Project, um ein Konflikt Zeit-Diagramm der Phase zwischen 1823 und 2003 zu erstellen und unbekannte Zusammenhänge zu erschließen. Das Diagramm erfasst 95 zwischenstaatliche Konflikte und gibt ihre jeweilige Stärke anhand der Kriegstoten wieder. Spitzenwerte liegen freilich in der gerade einmal 30-jährigen Spanne der beiden Weltkriege.
Nun liegt das Ende des letzten Weltkriegs mittlerweile mehr als 70 Jahre zurück, eine anscheinend erstaunlich lange »Friedenszeit« – zumindest laut Kriegsexperten. Clauset greift als Kernfrage auf, ob die Menschheit tatsächlich friedfertiger geworden sein könnte und inwieweit diese Zeitspanne wirklich etwas Besonderes ist. Das Ergebnis ist ernüchternd.
Eine große Illusion
Zunächst einmal fällt schon beim bloßen Betrachten des Diagramms auf, dass die Welt auch in der vermeintlich friedlichen Zeit von vielen fatalen Konflikten charakterisiert ist, Terrorattacke oder Bürgerkriege gar nicht einbezogen. Clauset fiel insbesondere auf, dass ausgedehnte Friedensphasen keineswegs ungewöhnlich sind, die Situation jedoch urplötzlich wieder kippen kann. Kriegsexperten täuschen sich offenbar, wenn sie die »friedlichen« Jahrzehnte seit dem letzten Weltkrieg preisen.
In der Studie heißt es: »Eine lange Friedensphase müsste zumindest für weitere 100 bis 150 Jahre andauern, bevor man sie plausibel als wahren Trend bezeichnen könnte … Die historischen Muster des Krieges scheinen somit nahezulegen, dass der lange Friede wesentlich fragiler ist als Befürworter meinen – trotz jüngster Bestrebungen, Mechanismen zu identifizieren, mit denen die Wahrscheinlichkeit zwischenstaatlicher Kriege reduziert werden könnte.«
Atomarer Schockzustand und permanente Aufrüstung im Streben nach einem »Kräftegleichgewicht« dienten über Jahre hinweg als Friedenswächter, während die nukleare Apokalypse Japan zuvor gleich zweifach ereilt hatte und seitdem wiederholt kurz bevorstand. Auch das unterstreicht die Labilität des vermeintlichen Friedens.
Bizarre Visionen
Clausets Rechenmodell sucht sogar eine Aussage zu treffen, wann der Untergang der Menschheit eintreten könnte. Resultat: in 383 bis 11 439 Jahren, mit einem Mittel von 1339 Jahren. Statistik eben – und wohl viel zu optimistisch. Die Militärs zeigen sich weit mehr überzeugt davon, Kriege schon in wenigen Jahren aus dem Weltraum zu führen.
Das erklärt auch David L. Goldfein, Generalstabschef der US-Luftwaffe. Bisher wuchsen Kriege mit den Waffen. Der Mensch hat sich in den letzten 70 Jahren gewiss nicht geändert, der kriegerische Eifer bleibt ungebrochen, und in Elon Musks jüngsten Visionen bietet der Weltraum bereits die einzige Chance für den Weiterbestand der Menschheit. Basen auf Mond und Mars sollen einigen Exemplaren der menschlichen Zivilisation als Horte dienen, um später wieder zurückkehren und ihre Regeneration auf der verwüsteten Erde beschleunigen zu können – so zumindest äußerte sich Musk am 11. März.
Wären wir damit aber nicht beinahe schon bei den so bizarr klingenden Szenarien, in denen die Eliten einen Großteil der Menschheit ausrotten und nur einige »wertvolle Exemplare« retten wollen? In jedem Falle würde die Möglichkeit einer Aussiedlung die Hemmschwelle für einen nuklearen Weltkonflikt nur weiter senken.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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