Peter Orzechowski

Die Angst vor dem Blackout

Eine neue Bedrohung durch Russland hat das US-Center for the National Interest ausgemacht: EMP Waffen. Denn ein in großer Höhe ausgelöster elektromagnetischer Impuls könnte die elektronische und digitale Infrastruktur eines ganzen Landes ausschalten. Früher brauchte man zur Auslösung des EMP eine Atombombe. Jetzt hat sich das geändert.

In russischen Medien werde eine neue taktische EMP-Waffe beschrieben, die als bedrohlich gilt, obgleich sie nur lokale Auswirkungen hat, warnt die Zeitschrift der Denkfabrik namens National Interest. Die Russen hätten eine Rakete entwickelt – so berichtet das Blatt – die 200 bis 300 Meter über einer feindlichen Stellung einen elektromagnetischen Impuls mit einem UHF-Feld (Ultra-High-Frequency) mit einer Reichweite von 3,5 Kilometern abgibt. Er soll Computer, Radarsysteme, Kommunikationssysteme und Präzisionswaffen nicht nur lahmlegen, sondern unbrauchbar machen: »Auch wenn das System nicht tödlich ist und keine schädlichen Wirkungen auf Menschen entfaltet, sind die elektromagnetischen Wirkungen der Rakete (bis zu 100 Gigawatt) mit einer Atomwaffe vergleichbar«, heißt es in einem Artikel der Rossiyskaya Gazeta, der vom U.S. Army’s Foreign Military Studies Office übersetzt wurde.

Überdies sei bereits eine seit 2001 einsatzfähige EMP-Waffe namens Ranets-Ye entwickelt worden. Sie könne mit einer 20 Nanosekunden langen 500-MW-Strahlung im Umkreis von 8-14 Kilometern alle elektronischen Komponenten zerstören und in einem Umkreis von 40 Kilometern diese lahmlegen, womit Flugzeuge, Raketen und jede Munition mit Elektronik ausgeschaltet würden.

USA entwickeln schon seit Jahren

Aber vermutlich ist die geschürte Angst vor Russland nur ein Ablenkungsmanöver. Denn das Pentagon plant schon länger, mit einer EMP-Waffe aufsteigende Langstreckenraketen kurz nach dem Abschuss außer Funktion zu setzen. Im Zentrum steht dabei das von Boeing und Raytheon entwickelte Counter-Electronics High Power Microwave Advanced Missile Project (CHAMP), das 2012 erstmals erfolgreich getestet worden sein soll. Dabei wurde ein drohnenähnlicher Marschflugkörper von einem Flugzeug abgefeuert, der mit Hochleistungsmikrowellen einen elektromagnetischen Impuls erzeugte, der Computer und elektronische Geräte während einer Stunde in sieben Objekten so schädigte, dass sie nicht wieder instandgesetzt werden konnten. Im Unterschied zu einer nuklearen EMP-Waffe ist CHAMP eine Waffe, die nur lokal einzelne Ziele angreift.

Ähnlich wie ein nuklearer EMP-Angriff keine direkten Opfer wie eine konventionelle oder nukleare Bombe verursachen würde, hätte CHAMP den Vorteil, dass zwar die elektronischen Systeme einer Rakete ausgeschaltet werden können, ohne einen Menschen zu schädigen, aber auch alle anderen elektronischen Systeme oder Radarsysteme in der Nähe wären von diesem »EMP-Präzisionsschlag« betroffen. Nach dem ersten CHAMP-Test Ende 2017 verkündete der damalige Programmmanager, man könne damit die »elektronischen und Datensysteme eines Feindes unbenutzbar machen, bevor die ersten Truppen oder die Kampfflugzeuge treffen«.

Die Idee also wäre, mit einer Rakete von einem Flugzeug ein CHAMP-System abzufeuern und damit den weiteren Aufstieg einer Langstreckenrakete zu verhindern, indem die Elektronik eingefroren wird. Da nicht klar ist, ob die amerikanischen Raketenabwehrsysteme Patriot, THAAD, Aegis oder NMD die Rakete während des Aufstiegs oder während des Wiedereintritts in die Atmosphäre wirklich abfangen können, hätte man so womöglich ein sichereres Mittel. Der Nachteil an CHAMP: Es müssten die Flugzeuge vor Ort sein und die Raketen müssten ihrem Ziel nahe kommen, damit die Mikrowellen die Elektronik lahmlegen können.

Der Vorteil aus Sicht der Militärs: Für diese Abwehrmethode sind keine Bodentruppen und keine massiven »kinetischen« Angriffe notwendig. Allerdings muss CHAMP mit einer normalen Rakete zum Einsatz gebracht werden – und diese könnte vom Feind eben als normale oder auch nukleare Rakete betrachtet werden – also als Angriff, auf den mit allen Mitteln reagiert würde. Was also als relativ harmlose Abwehr mittels einer nichttödlichen Waffe erscheint, die nur die Kontrollsysteme einer Rakete ausschaltet, könnte schnell eben in einen Atomkrieg münden, der gerade verhindert werden sollte. Zudem wäre mit dem Einsatz von CHAMP-Raketen das Spiel mit EMP-Waffen eröffnet, was bislang von allen Seiten vermieden wurde. Allerdings sind CHAMP-Raketen noch nicht vorhanden, sie sollen aber bei Bedarf angeblich schnell einsatzbereit sein.

EMP-Waffen – ein neuer Rüstungswettlauf

Deutlich wird an der Diskussion, dass eifrig EMP-Waffen entwickelt werden und dass versucht wird, die Einsatzschwelle ebenso herabzusetzen, wie dies mit taktischen Atomwaffen anvisiert wird. Die ultimative EMP-Waffe, die mit einer hoch gezündeten Atombombe ein riesiges Gebiet elektronisch zur Wüste machen kann, bleibt in der Hinterhand.

Taktische EMP-Waffen sind, wenn sie gegen einen mächtigen Gegner gerichtet werden, zwar ähnlich nichttödlich wie Cyberangriffe, aber sie können dennoch leichter einen Krieg auslösen, weil sie sich taktisch einsetzen lassen. In der Luft schwebt das EMP-Kriegsszenario deswegen, weil es gegen einen großen Angriff kaum Mittel gibt, die Folgen wirksam einzudämmen. Die US-Stromkonzerne sagen, sie würden zwar Sicherheitsmaßnahmen gegen EMP-Angriffe und Sonnenstürme treffen, aber könnten die Folgen nicht verhindern.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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