Glenn Greenwald

Die Assange-Anklage liefert eine Blaupause dafür, wie Journalisten kriminalisiert werden

Vergangene Woche legte die US-Regierung eine achtzehn Punkte umfassende Anklage gegen den WikiLeaks-Gründer Julian Assange vor. Unter anderem wird er nach dem Spionagegesetz von 1917 dafür angeklagt, 2010 eine Flut an Geheimdokumenten zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan sowie die diplomatische Kommunikation Dutzender Nationen veröffentlicht zu haben. Die Rechtstheorien hinter der Anklageschrift und die möglichen Konsequenzen des Falls sind derart extrem und beispiellos, dass selbst viele der heftigsten Assange-Kritiker stark besorgt reagierten.

Die neue Anklage steht nicht im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Unterlagen aus dem Clinton-Wahlkampflager, Unterlagen der Demokratischen Partei oder sonstigen Aktivitäten von WikiLeaks während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs von 2016. Stattdessen bezieht sie sich ausschließlich auf die Veröffentlichung eines gewaltigen Archivs klassifizierter Unterlagen des amerikanischen Staats, Papiere, die eine Vielzahl zuvor unbekannter, aber hochgradig signifikanter Informationen über Kriege, Regierungen und Unternehmenskorruption sowie offizielle Täuschungsmanöver ans Tageslicht brachten. 2010 veröffentlichte WikiLeaks dieses Material gemeinsam mit einigen der größten Medienfirmen der Welt, darunter die New York Times, der Guardian, der Spiegel, Le Monde und El Pais. Sie alle veröffentlichten viele derselben Geheimunterlagen, die nun die Grundlage für das strafrechtliche Vorgehen gehen Assange bilden.

Durch diese neuen Anklagen bemüht sich die Regierung Trump, aggressiv und explizit die letzten Schutzmauern aus dem Weg zu räumen, die den Journalismus in den Vereinigten Staaten noch davor bewahren, kriminalisiert zu werden. Es ist ein Schritt, den keine frühere Regierung zu ergreifen bereit war, egal wie feindselig sie dem Prinzip der Pressefreiheit auch gegenüberstand. Seit dem Skandal von 2010 war der amerikanische Staat sehr daran interessiert, Assange vor Gericht zu stellen. Bislang hatte die Regierung allerdings davon abgesehen, weil sie es für unmöglich hielt, das Handeln von WikiLeaks vom typischen Geschäft der Mainstream-Medien zu unterscheiden. Assange wegen Veröffentlichung anzuklagen würde den Journalismus zu einer Straftat machen. Durch den Versuch, Assange nach dem Spionagegesetz zu belangen, beweist die Regierung Trump jetzt, dass Assange 2012 völlig zu Recht Asyl von Ecuador erhielt. Ecuadors Schritt sollte Assange davor schützen, dass ihn die Vereinigten Staaten wegen der Veröffentlichung berichtenswerter Dokumente strafrechtlich belangten.

Ironischerweise bringen sowohl die Regierung Trump als auch einige Mitglieder des selbsternannten »Widerstands« gegen Trump dasselbe Argument vor: Assange sei gar kein Journalist und deshalb stünden ihm die Schutzmechanismen, die für die freie Presse gelten, auch nicht zu. Diese Behauptung lässt aber die wahre Gefahr der Anklageerhebung außer Acht und legt – schlimmer noch – eine umfassende Ignoranz an den Tag, was den ersten Verfassungszusatz anbelangt. Die Pressefreiheit gebührt allen Menschen, nicht einer ausgewählten und privilegierten Gruppe »Journalisten« genannter Bürger. Überlässt man es der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, wer oder wer nicht den Schutz der Presse in Anspruch nehmen darf, würde das die »Pressefreiheit« auf eine kleine, weltabgeschiedene Priesterkaste privilegierter und vom Staat zu »Journalisten« erklärten Bürgern reduzieren. Der erste Verfassungszusatz wurde ausdrücklich zu dem Zweck geschrieben, eben diese Gefahr zu vermeiden.

Wichtiger noch ist ein Rechtsdokument, das die US-Regierung gerade veröffentlichte. Darin heißt es, wer mit staatlichen Quellen zusammenarbeite, klassifizierte Dokumente entgegennehme und diese veröffentliche, stehe nach Auffassung des Justizministeriums auch als Journalist nicht länger unter dem Schutz des ersten Verfassungszusatzes, sondern mache sich vielmehr der Spionage schuldig – einer Straftat, für die Reporter und ihre Herausgeber für Jahrzehnte ins Gefängnis wandern könnten. Es ist die größte Bedrohung der Pressefreiheit in der Trump-Ära, wenn nicht gar der letzten Jahrzehnte.

Wenn Assange der Spionage für schuldig befunden werden kann, weil er mit Quellen gearbeitet und Informationen veröffentlicht hat, die die US-Regierung als vertraulich einstufte, dann ist es unaufhaltsam, dass auch alle anderen Medienkanäle, die regelmäßig dasselbe tun, kriminalisiert werden. Das gilt für die Washington Post genauso wie für die großen Medienunternehmen, die mit WikiLeaks kooperiert haben und 2010 einen Großteil desselben Materials veröffentlichten. Und es gilt für die neueren digitalen Medien wie The Intercept, wo ich arbeite.

Die absolute Mehrheit der Aktivitäten, die in der Anklageschrift als kriminell erachtet werden, sind exakt das, was große amerikanische Medien tagtäglich tun. Es heißt dort beispielsweise, dass WikiLeaks Informanten wie Chelsea Manning ermutigte, vertrauliche Informationen zu besorgen und weiterzugeben. Die Gruppe habe technische Ratschläge gegeben, wie man diese Informationen unbemerkt beschafft und weitergibt. Dann habe sie die von der Quelle gestohlenen Informationen veröffentlicht. Ausdrücklich heißt es in der Anklageschrift, ein Teil der Verschwörung bestehe darin, dass »ASSANGE und Manning auf einer in der Cloud befindlichen Dropbox von WikiLeaks einen besonderen Ordner dafür genutzt haben, vertrauliche Unterlagen zu übertragen, die Informationen über die nationale Verteidigung der Vereinigten Staaten enthielten«. Teil der kriminellen Verschwörung sei es gewesen, dass Assange und seine Quelle mithilfe verschlüsselter Chatprogramme »Maßnahmen ergriffen, die verdeckten, dass Manning die Quelle war«.

Außerhalb der Parameter der Anklage, die das Trumpsche Justizministerium gegen Assange führt, werden derartige Aktivitäten als »Grundlagen des investigativen Journalismus« bezeichnet. Die meisten Medienunternehmen in den Vereinigten Staaten, auch die Washington Post, befürworten die Verwendung von Secure Drop, einer technischen Anwendung, die auf derjenigen beruht, die von WikiLeaks entwickelt wurde und die es Informanten erlaubt, unbemerkt Geheiminformationen weiterzugeben, die für die Veröffentlichung gedacht sind. Vergangenen September veröffentlichte die New York Times einen Artikel (»How to Tell Us a Secret«), in dem Sicherheitsexperten der Zeitung erklären, wie man am besten mit der Zeitung kommuniziert und ihr unbemerkt Informationen zukommen lässt. Dazu gehörten auch Empfehlungen, welche Verschlüsselungssoftware man nutzen solle.

Viele der einflussreichsten und bekanntesten Presseenthüllungen der vergangenen Jahrzehnte – angefangen von den Pentagon Papers über das Snowden-Archiv (an dem ich mit dem Guardian arbeitete) bis zur Offenlegung illegaler Methoden im Kampf gegen den Terror (wie die unbefugte Bespitzelung von US-Bürgern durch die NSA oder die Geheimgefängnisse der CIA) – kamen nur zustande,  weil man zu exakt den Methoden griff, die durch die Assange-Klageschrift nun kriminalisiert werden sollen. Gemeint ist, dass man durch Informanten illegal  Dokumente beschaffen lässt und diese dann veröffentlicht.

Die WikiLeaks-Ermittlungen wurden von der Regierung Obama ins Leben gerufen, und ihre Geschichte zeigt, wie bedrohlich diese neue Anklage ist. Nach den Veröffentlichungen im Jahr 2010 war man aufseiten der Regierung Obama begierig darauf, WikiLeaks und Assange vor Gericht zu zerren. 2011 berief das Justizministerium ein Geschworenengericht ein, das sich mit WikiLeaks befassen sollte. Diese Untersuchung dauerte Jahre.

Die Regierung Obama war bereit, den Informanten der Journalisten nachzustellen und sie mithilfe des Spionagegesetzes anzuklagen, aber sie hat WikiLeaks niemals allein wegen der Veröffentlichung vertraulicher Informationen angeklagt. Obamas Beamte waren bereit, Assange vor Gericht zu bringen – aber nur dann, wenn sie Beweise dafür fänden, dass er mit seiner Quelle Chelsea Manning nicht nur auf eine Art und Weise zusammengearbeitet hat, wie es für Journalisten und Quellen üblich ist. Sie suchten nach Beweisen und setzten Zeugen (unter anderem auch Manning) unter Druck zu erklären, dass Assange Manning aktiv angewiesen habe, wie diese Unterlagen zu entwenden seien. Jahrelanges Suchen erbrachte keinerlei Beweise dafür, also schlussfolgerten die Beamten, dass eine strafrechtliche Verfolgung von WikiLeaks oder Assange unumgänglich die Pressefreiheit gefährden würde. Es war nicht möglich, WikiLeaks anzuklagen, ohne auch gleichzeitig die New York Times und den Guardian anzuklagen, weil diese dasselbe Material veröffentlicht hatten.

Als die Regierung Trump im April die erste Anklageschrift gegen Assange einreichte, versuchte sie dieses Dilemma zu umgehen. Die Schrift war so ausgeklügelt formuliert, dass sie es den Assange-Widersachern erlaubte, die Anklageerhebung zu bejubeln, ohne in den Verdacht zu geraten, die Pressefreiheit einschränken zu wollen. Diese Anklage tat so, als würde man Assange vorwerfen, er habe Manning dabei geholfen, sich für den Diebstahl von Geheimmaterial in die Datenbanken der Regierung zu hacken.
Doch selbst bei dieser ersten Anklage handelte es sich offensichtlich um ein Täuschungsmanöver. Assange wird nicht vorgeworfen, er habe Manning dabei geholfen, sich in Regierungsdatenbanken zu »hacken«, um Dokumente zu stehlen. Tatsächlich lautet der Vorwurf, er habe ihr geholfen, nicht erwischt zu werden. Das jedoch ist nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht von Journalisten, sofern sie es mit Informanten zu tun haben, die ein hohes Risiko eingehen beim Versuch, der Öffentlichkeit zu zeigen, was ihre Regierung oder mächtige Unternehmen treiben.

»Julian Assange ist kein Journalist«, verkündete der stellvertretende Generalstaatsanwalt John Demers, als er die Anklage verlas. Nach dieser Logik würde eine Gefängnisstrafe für Assange wegen der Veröffentlichung der Dokumente keinerlei Gefahr für die »echten Journalisten« bedeuten, da die Pressefreiheit nicht auf Assange anzuwenden sei (und vermutlich auch nicht auf alle anderen, denen die Bezeichnung »Journalist« verweigert wird).
Aber diese Unterscheidung zwischen »echten Journalisten« und »Nichtjournalisten« ist weder schlüssig noch relevant. Die Behauptung belegt eine krasse – und gefährliche – Verwirrung in der Frage, was Pressefreiheit eigentlich bedeutet, wie sie funktioniert und warum die Verfassung ihren Schutz garantiert.
»Journalist« ist anders als Doktor oder Anwalt kein geschützter Titel, den nur eine kleine, privilegierte Schar legitim oder legal für sich in Anspruch nehmen kann, sobald sie vorgegebene Bildungs- und Ausbildungsanforderungen erfüllt haben. Der Staat lizenziert nicht, wer »Journalist« ist und wer nicht.

Vielmehr gilt das Gegenteil: Unabhängig von seiner Ausbildung, seinen Referenzen und seinem Beschäftigungsstatus kann jeder »Journalist« sein (und ist es), der die Öffentlichkeit über aktuelle Angelegenheiten informiert. Die einzige Anforderung, die ein »Journalist« zu erfüllen hat, ist, sich aktiv an einer journalistischen Handlung zu beteiligen. Diese wiederum lässt sich am besten definieren als Berichterstattung über Ereignisse im öffentlichen Interesse. Das gilt umso mehr, wenn derartige Enthüllungen die Öffentlichkeit darüber informieren, was die mächtigsten Interessengruppen der Demokratie hinter einer Mauer der Geheimhaltung anstellen.
Warren Burger, Richter am Obersten Gerichtshof, schrieb 1977 in einer Stellungnahme, die belegte, wie uneingeschränkt die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit gilt: »Kurz gesagt ›gehört‹ der erste Verfassungszusatz keiner definierbaren Kategorie von Personen oder Einheiten. Er gehört allen, die seine Freiheiten ausüben.«

Die Pressefreiheit durch den ersten Verfassungszusatz zu garantieren fand vor dem Aufkommen der Druckerpresse statt. Diese ermöglichte es jedem Bürger, sich gegen politische Autoritäten zu äußern oder Informationen über sie publik zu machen. Die Autoren der Verfassung wollten das Recht schützen, sich mit derartigen Aktivitäten zu befassen, und es galt nicht nur für eine kleine, »Journalisten« genannte Gruppe, sondern für sämtliche Bürger.
Tatsächlich galt, wie Bunger 1977 für das Oberste Gericht schrieb, die Garantie der Pressefreiheit im ersten Verfassungszusatz genau aus diesem Grund für alle Menschen: Sie war eine Reaktion auf die Bemühungen der britischen Krone, dieses Recht einzudämmen, indem sie lizenzierte, wer »Journalist« war und wer nicht.

Ganz abgesehen davon: Selbst wenn die Gerichte nicht wieder und wieder geurteilt hätten, dass die Veröffentlichung von Informationen im öffentlichen Interesse geschützt ist, und zwar unabhängig davon, wer sie publik gemacht hat – ein Großteil der Arbeit von WikiLeaks ist ganz offenkundig Journalismus. Viele Veröffentlichungen von WikiLeaks, und insbesondere die Enthüllungen von 2010, die die Regierung Trump nun zu kriminalisieren sucht, sind ohne jeden Zweifel als»freie Erörterung staatlicher Angelegenheiten« anzusehen, wie es 1966 das Oberste Gericht in einem Urteil formulierte. Tatsächlich hat WikiLeaks rund um die Welt für diese Sensationsmeldungen renommierte Journalismuspreise gewonnen und gilt bei den einflussreichsten Medien der Welt als begehrter journalistischer Partner. Die Enthüllungen von 2010 war Auslöser weitreichender Reformen: Der ehemalige New York Times-Herausgeber Bill Keller führt den Ausbruch des Arabischen Frühlings auf die Veröffentlichung diplomatischer Kommunikation zurück, die belegte, dass Tunesiens Herrscherriege durch und durch korrupt war. Andere sagen, diese Dokumente trugen zum Ende des Irakkriegs bei, indem sie derart furchtbare Fälle von Missbrauch durch US-Einheiten enthüllten, dass es der irakischen Regierung gegen ihre Absichten politisch völlig unmöglich wurde, die Aufenthaltsgenehmigung für US-Truppen im Irak zu verlängern.

Dass die Anklage gegen Assange damit begründet wird, dass er »kein Journalist« sei, zeigt eine große und sehr dunkle Ironie: Relevantes Material über mächtige Akteure zu veröffentlichen ist nach dieser Logik ein Recht, das nur diejenigen besitzen, die vom Staat als »echte Journalisten« bestimmt werden. Allein das schon ist eine offenkundige Bedrohung der Pressefreiheit. Genau das war die historische Gefahr, die durch den ersten Verfassungszusatz abgewendet werden sollte.

Gibt es irgendjemanden, der Trump (der einen kompletten Kabelsender und diverse Zeitungen als »Fake News« abtut) oder den Bundesgerichten oder überhaupt irgendeinem Politiker weit genug vertraut, dass man ihn oder sie darüber urteilen lässt, wer diesen vagen Ehrentitel verdient, ohne den Herausgeber ins Gefängnis geworfen werden können?

Bedenklich ist, dass diese jüngste Anklage die Sorgen bestätigt, die WikiLeaks, seine Anhänger und die Regierung Ecuadors seit Jahren äußern. Die Regierung gewährte Assange 2012 in ihrer Londoner Botschaft politisches Asyl, um ihn vor politischer Verfolgung zu schützen.
Assange wandte sich erst dann an die Botschaft Ecuadors, als in Schweden Anklage wegen sexueller Gewalt erhoben werden sollte. Seine Kritiker haben immer behauptet, er »verstecke« sich in der Botschaft, um diesen Klagen zu entgehen. Aber sowohl Assanges Anwälte als auch ecuadorianische Beamte haben von Anfang an erklärt, dass Assange sofort die Botschaft verlassen und in den nächsten Flieger steigen würde, wenn die schwedische Obrigkeit verspräche, seinen Aufenthalt in Schweden nicht als Vorwand dafür zu nutzen, ihn an die USA auszuliefern, damit man ihm dort wegen der Veröffentlichung von Unterlagen den Prozess machen kann. Die schwedische Regierung hätte die Macht gehabt, ein derartiges Versprechen abzugeben, weigerte sich aber.

Das führte Assange und Ecuador zu der Annahme, dass Schweden als enger amerikanischer Verbündeter Assange an die USA überstellen würde, wo ihm wegen des »Verbrechens«, Dokumente veröffentlicht zu haben, eine Anklage und eine lebenslange Haftstrafe drohten. Ecuador und Kämpfer für die Pressefreiheit aus aller Welt sahen diese Gefahr als klassischen Fall politischer Verfolgung. Aus ihrer Sicht war es nicht nur das Recht Ecuadors, ihm zu seinem Schutz politisches Asyl anzubieten, sondern nach internationalen Verträgen sogar seine Pflicht.

Als Ecuador das Asyl aufhob, wurde Assange in London von den britischen Behörden verhaftet. Sie führen jetzt Gespräche darüber, genau das zu tun, was aufseiten des WikiLeaks-Lagers immer befürchtet worden war: ihn in die USA zu schicken, damit er dort wegen Spionage vor Gericht gestellt werden kann. Das sei doch nur ein paranoider Vorwand, um sich der Verhandlung in Schweden zu entziehen, monierten Assange-Kritiker immer wieder und wurden nun ganz offensichtlich widerlegt.

Schon die Regierung Obama hatte Assange reichlich Anlass zur Besorgnis geliefert, indem sie an einer strafrechtlichen Verfolgung arbeitete und ein Geschworenengericht einsetzte, das jahrelang aktiv war. Doch die Regierung Trump verschärfte diese Bedrohung von vornherein sehr deutlich und in aller Öffentlichkeit. Im April 2017 hielt der damalige CIA-Chef und heutige Außenminister Mike Pompeo eine mit Drohungen durchsetzte Brandrede gegen WikiLeaks. »Wir müssen einsehen, dass wir Assange und seinen Kollegen nicht länger den Freiraum gewähren können, die Werte der freien Meinungsäußerung gegen uns anzuführen«, sagte Pompeo und fügte hinzu: »Wenn WikiLeaks so tut, als würden die Freiheiten, die Amerikas erster Verfassungszusatz gewährt, sie vor der Justiz schützen, dann ist das ein Irrtum.« Seine Schlussfolgerung: »Ihnen den Raum zu geben, uns mit veruntreuten Geheimnissen zu erdrücken, ist eine Perversion dessen, wofür unsere großartige Verfassung steht. Damit ist jetzt Schluss.«

Trump hat häufig laut über Maßnahmen sinniert, die es leichter machen, Journalisten für das, was sie veröffentlicht haben, zu bestrafen. Sein erster Justizminister, Jeff Sessions, erklärte 2017 gegenüber dem Senat, wenn es Lecks in der nationalen Sicherheit gebe, würde er nicht ausschließen, nicht nur Regierungsquellen strafrechtlich zu verfolgen, sondern auch Journalisten.
Sollte der Strafprozess gegen Assange mit einer Verurteilung enden, wäre das die perfekte Blaupause und der stärkstmögliche nur denkbare Präzedenzfall dafür, den Journalismus in den Vereinigten Staaten zu kriminalisieren. Wenn erst einmal gilt, dass es kein Journalismus, sondern Spionage ist, wenn man mit Informanten an der Veröffentlichung vertraulicher Informationen arbeitet, wird es unmöglich sein, diesen bedrohlichen Grundsatz einzuhegen.

Geht es Regierungen darum, zentrale bürgerliche Freiheiten zu streichen, suchen sie sich klassischerweise gerne als erstes Ziel eine Person, die extrem marginalisiert dasteht und unbeliebt ist. Die Hoffnung dahinter: Die persönlichen Animositäten gegen diese Figur werden die Menschen dazu bringen, seine Bestrafung zu bejubeln, anstatt sich gegen diese Anstrengungen zu sperren, weil sie einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen würden. Wer aber einen gefährlichen Präzedenzfall unterstützt, weil er für das Ziel nur Verachtung empfindet, der begeht den ultimativen Akt der Unvernunft: Ist der Präzedenzfall erst einmal rechtlich abgesegnet, wird es schwer zu verhindern, dass der Fall anschließend auf beliebtere Personen angewendet wird.

Assange sind in den Vereinigten Staaten nur noch wenige Verbündete geblieben. Die Enthüllungen von 2010 deckten Kriegsverbrechen der Regierung Bush und im Kampf gegen den Terror auf, was ihn zu einem Helden bei vielen Linken machte, aber gleichzeitig zum Feind der Republikaner und der Falken unter den Demokraten. Sein verbleibender Rückhalt unter den liberalen Amerikanern schwand mit der Zeit und wurde von beißender Verachtung abgelöst, als 2016 seine Enthüllungen Korruption in der Parteispitze der Demokraten aufdeckten und der Wahlkampf von Hillary Clinton Schaden nahm.

Assange ist also quer durch das politische Spektrum unbeliebt. Zweifelsohne hat man sich in der Regierung Trump überlegt, dass dieser Umstand ihn zum idealen Testfall macht und auf diese Weise ein Präzedenzfall erschaffen werden kann, der die definierenden Attribute des investigativen Journalismus kriminalisiert. Jetzt muss jeder Journalist und jeder Bürger entscheiden, ob ihre persönliche Ablehnung Assanges wichtiger ist als der Erhalt der Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten.

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Glenn Greenwald ist einer der Gründer von The Intercept. Für seine Berichterstattung über die NSA gewann er 2014 als Guardian-Autor den Pulitzer-Preis

Quelle: SFGATE

Dienstag, 04.06.2019