Birgit Stöger

Die Kirchhof-Dynastie und die Zwangsabzocke

Mitte Juli urteilte das Bundesverfassungsgericht über das Zwangsgebührensystem (ehemals GEZ). Der Erste Senat bestätigte unter dem Jubel der öffentlich-rechtlichen Sender im Wesentlichen die dekretierte Abzocke. Vorsitzender des Senats war und ist Ferdinand Kirchhof. Unglaublich, aber wahr: Das umstrittene Gebührensystem hatte sich in wesentlichen Teilen sein Bruder Paul ausgedacht. Einen Befangenheitsantrag hatte man sicherheitshalber schon mal abgelehnt.

Ferdinand Kirchhof senior war von 1959 bis 1979 Richter am Bundesgerichtshof und ist der Vater der beiden Söhne Paul und Ferdinand. Paul Kirchhof ist Jurist auf den Gebieten des Staatsrechts, der Finanzverfassung und des Steuerrechts sowie des Europarechts.

Von 1987 bis 1999 war Paul Kirchhof zudem Bundesverfassungsrichter. Als Parteiloser gehörte er zum Kompetenzteam der CDU/CSU um Kanzlerkandidatin Angela Merkel für die Bundestagswahl 2005 und sollte als Finanzminister ihrem ersten möglichen Kabinett angehören.

Einer breiten Öffentlichkeit wurde Kirchhof durch sein Konzept einer vereinfachten Steuererklärung bekannt. Realisiert wurde dies, wie der Steuerzahler bis heute leidvoll weiß, nie. Neben Angela Merkel war Kirchhof sicher einer der Hauptverantwortlichen dafür, dass die Union ihren so sicher geglaubten Wahlerfolg vergeigte und in eine große Koalition flüchten musste.

Ferdinand Kirchhof junior ist der sieben Jahre jüngere Bruder von Paul Kirchhof. Auch er ist, wie Vater und Bruder, Jurist und Rechtswissenschaftler. Im Jahr 2007 wurde er zum Richter in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts berufen und bekleidet – wie vormals sein Bruder – das Amt eines Bundesverfassungsrichters. Im März 2010 wurde er zum Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts und zum Vizepräsidenten des Gerichts gewählt. Um das Bild abzurunden, sei noch erwähnt, dass Ferdinand Kirchhofs Ehefrau, Else Kirchhof, Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim ist.

Haushaltsgebühr zementiert

Warum der Ausflug in die Kirchhof-Dynastie als »interessant« einzustufen ist, wird rund um das Bundesverfassungsurteil vom 18. Juli 2018 klar. Die Karlsruher Richter hatten aufgrund von vier Verfassungsbeschwerden – eingereicht durch drei Privatpersonen und den Autovermieter Sixt – das Gesamtkonzept des auf Zwangsgebühren fußenden Rundfunkbeitrags zu überprüfen. Die Kläger ordneten in ihrer Klage den Rundfunkbeitrag als Steuer ein, für den die Länder keine Regelungskompetenz haben, und rügten die Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes. Neben der rechtswidrigen Beitragspflicht für Zweitwohnungsbesitzer sahen die Kläger den Beitrag als verfassungswidrig an, da dieser nutzungsunabhängig auch dann erhoben wird, wenn jemand kein Empfangsgerät besitzt.

Bei der Reform des Rundfunkbeitrags vom Gebühren- hin zum Beitragsmodell war maßgeblich Paul Kirchhof beteiligt. Er erarbeitete 2010 im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio das »Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks«, in dem Kirchhof zu der Auffassung gelangte, auch jene zur Kasse zu bitten, die gar kein öffentlich-rechtliches Programm konsumieren. Am 9. Juni 2010 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder dann, genau dieses Gebührenmodell einzuführen. Seit dem 1. Januar 2013 ist das auf Kirchhofs Gutachten fußende Rundfunkgebührenmodell die Finanzierungsbasis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seither ist nicht mehr eine Person, sondern der Haushalt abgabenpflichtig. Die bis heute umstrittene Haushaltsgebühr mit knapp acht Milliarden Euro jährlich war somit zementiert.

Vom Kirchhofschen Gutachten zum Kirchhofschen Urteil

Die Verfassungsmäßigkeit des von Paul Kirchhof erdachten Zwangsgebührensystems wurde am 18. Juli 2018 vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts – unter Führung von Paul Kirchhofs Bruder, dem Vizepräsidenten und Vorsitzenden des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichtes, Ferdinand Kirchhof – beurteilt. Ein Befangenheitsantrag, den die Kläger einreichten, war bereits am 24. April vom Ersten Senat abgelehnt worden. In der Begründung der Ablehnung heißt es unter anderem: »Es sind keinerlei relevante ummittelbare Vorteile oder Nachteile erkennbar, die Paul Kirchhof aus einer Entscheidung des Senats erwachsen könnten.«

Spätestens an dieser Stelle sollte das dann ergangene Urteil keine große Verwunderung mehr auslösen. Unter Riesenfreude bei ARD, ZDF und Deutschlandradio und ihren politischen Unterstützern wurde aufgenommen, dass das Bundesverfassungsgericht den Rundfunkbeitrag für verfassungsgemäß erachtet. Vizepräsident Ferdinand Kirchhof junior begründete in seinem Urteil, das er im Namen des Ersten Senats und des deutschen Volkes sprach, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: »Auf dieser Basis kann und soll er durch eigene Impulse und Perspektiven zur Angebotsvielfalt beitragen und unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht.«

»Es liest sich für Böswillige ein bisschen so, als hätte er einfach Sätze aus dem Gutachten seines Bruders umgeschrieben«, bemerkt der Autor Wilhelm Schulz in seinem Artikel für das Internetportal Journalistenwatch. Denn in Paul Kirchhofs »Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« von 2010, heißt es verblüffenderweise: »Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist andererseits so zu gestalten, dass der Finanzertrag weitgehend vom ökonomischen Markt abgekoppelt und dadurch gesichert ist, dass sich das Programm an publizistischen Zielen, insbesondere an dem der Vielfalt, orientiert, und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen.«

In Schulzes Artikel, der mittlerweile mehr als eine halbe Million Mal geteilt wurde, wird ein weiteres Beispiel der geistigen Symbiose der beiden Kirchhof-Brüder aufgezeigt: Paul Kirchhof schrieb vor acht Jahren: »Der Abgabentatbestand muss deshalb grundsätzlich auf den Menschen, nicht das Empfangsgerät ausgerichtet werden.«

Im Urteil von Bruder Ferdinand Kirchhof heißt es: »Auf das Vorhandensein von Empfangsgeräten oder einen Nutzungswillen kommt es nicht an.« Der Jubel bei ARD, ZDF und Deutschlandradio könnte jedoch langen Gesichtern weichen. Denn derzeit prüft auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rundfunkfinanzierung in Deutschland. Die Luxemburger Richter entscheiden dann, ob es sich bei der Rundfunkgebühr nicht doch um eine unzulässige Beihilfe handelt. Das Urteil aus Luxemburg wird noch dieses Jahr erwartet. Wenn die Richter beim EuGH zu einer anderen Auffassung als das Bundesverfassungsgericht unter der Ägide der Kirchhof-Brüder gelangen, wäre die Stunde Null für ARD und ZDF eingeläutet.

Das Geld der Zwangsbeitragszahler

Obwohl Ferdinand Kirchhof bei seiner Urteilsverkündung formulierte, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dazu verpflichtet seien, »ohne den Druck zu Marktgewinnen die Wirklichkeit unverzerrt darzustellen«, sieht die öffentlich-rechtlich gelebte Praxis dann doch anders aus.

So berichtete beispielsweise das Bayern-5-Medienmagazin des Bayerischen Rundfunks zeitnah über den Karlsruher Richterspruch in Form eines Interviews mit dem Medienjournalisten Daniel Bouhs. Wie das Handelsblatt darstellt, suggerierten die Macher der BR-Sendung, durch Bouhs einen scheinbar unabhängigen Fachmann zu Wort kommen zu lassen. Tatsächlich jedoch steht der Interviewgast bei ARD und Deutschlandfunk in Lohn und Brot. Nach eigener Aussage verdient er sein Geld vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was dem Zwangsgebührenhörer des Bayerischen Rundfunks jedoch verschwiegen wird. »Kritiker der Entscheidung oder der Rundfunkgebühr tauchen in der Sendung des Bayerischen Rundfunks gar nicht auf. Unverzerrter, wirklichkeitsnaher Journalismus, wie ihn Karlsruhe von den Rundfunkanstalten eindringlich eingefordert hat, sieht anders aus«, so nicht nur die Feststellung des Handelsblatts.

Sonntag, 02.09.2018

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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