Peter Orzechowski

Die Saudis rüsten zum Krieg

Prinzen, Politiker, Geschäftsleute, Menschenrechtler, Richter, Religionsgelehrte, Universitätsdozenten, Kolumnisten und Schriftsteller – seit vergangenem September läuft in Saudi Arabien eine bis dahin beispiellose Verhaftungswelle.

Im November waren mehr als 200 Prinzen, Politiker und Geschäftsleute unter Korruptionsverdacht festgenommen und in das Fünfsternehotel Ritz-Carlton in Riad gebracht worden. Ihnen wird vorgeworfen, den ölreichen Wüstenstaat über Jahrzehnte hinweg um insgesamt 100 Milliarden Dollar (83 Milliarden Euro) erleichtert zu haben. Kürzlich wurden weitere elf Prinzen aus dem Königshaus in ein Hochsicherheitsgefängnis in Riad gebracht. Ihnen soll der Prozess gemacht werden. Hinter diesen Verhaftungen steht der neue starke Mann des Wüstenstaats, der ehrgeizige Thronfolger Kronprinz Mohammed bin Salman. »MbS« – wie er von den internationalen Medien genannt wird – ist dabei, die Halbinsel von seinen Kritikern zu säubern und das Land auf Kriegskurs einzuschwören.

Allianz mit dem Erzfeind

Mit einem alten Erzfeind hat Saudi-Arabien inzwischen eine Allianz verwirklicht. Seit Anfang 2014 treffen sich israelische Regierungsvertreter mit Repräsentanten Riads in geheimen Sitzungen. Das gaben Anwar Madschid Eschki, Ex-Berater von Prinz Bandar bin Sultan, einstiger US-Botschafter der Saudis, und Dore Gold, ehemaliger israelischer UN-Botschafter, am 4. Juni 2015 während einer Sitzung des Council on Foreign Relations in Washington erstmals bekannt. Bei den israelisch saudischen Treffen dreht sich alles um einen gemeinsamen Feind. »Wenngleich diese Männer Länder repräsentieren, die historische Feinde sind, war ihre Botschaft identisch: Der Iran übernimmt den Nahen Osten und muss gestoppt werden«, berichtete Bloomberg. In einem von Eschki vorgetragenen Sieben-Punkte-Plan für den Nahen Osten nannte der saudische Vertreter einen herbeizuführenden Regimewechsel im Iran an zweiter Stelle – gleich nach einem Friedensschluss zwischen Israel und den Arabern. Außerdem sprach er sich für die Gründung eines kurdischen Staates aus. Auch in Israel werden nach jerusalemonline.com Stimmen lauter, die die Aufteilung Syriens in mehrere Staaten, darunter einen kurdischen, fordern. Israelische Militärs und Politiker hatten in den letzten Jahren wiederholt verlauten lassen, dass sie ein von al-Qaida kontrolliertes Syrien gegenüber einem weiterhin mit dem Iran verbündeten Nachbarn bevorzugen.

Der islamische Bruderzwist

Seit 2015 liefern sich Saudi-Arabien und Iran, die Führungsmächte dieser beiden muslimischen Glaubensrichtungen, brandheiße Stellvertreterkriege im Jemen, im Irak und vor allem in Syrien. Kippen diese Stellvertreterkriege in die direkte Konfrontation zwischen der sunnitischen und der schiitischen Vormacht? »Beide Länder werden alles tun, um ihre Stellvertreter und deren Aktivitäten zu stärken, was nur noch mehr Konflikt bringen wird«, zitiert die New York Times einen amerikanischen Regionalexperten. »Das ist eine beunruhigende Eskalation«, bestätigt der Londoner Nahost-Spezialist Michael Stephens vom Royal United Services Institute (RUSI): »Sie hat enorme Konsequenzen für die Menschen der Region, und die Spannungen zwischen den beiden Seiten bedeuten, dass sich die Instabilität in der ganzen Region fortsetzen wird.« Wie rasch sich der islamische Bruderzwist einem brandheißen Krieg nähert, zeigt auch eine Verlautbarung vom Dezember 2015. Da verkündete Saudi-Arabien eine Militärallianz mit Dutzenden muslimischen Staaten. Insgesamt würden dem Bündnis 34 Nationen angehören, teilte das saudische Königreich in einer über die staatliche Nachrichtenagentur SPA verbreiteten Erklärung mit. Das sunnitische Saudi-Arabien werde die Führung der Allianz übernehmen. In der saudischen Hauptstadt Riad soll ein gemeinsames Zentrum zur Koordinierung und Unterstützung von Militäreinsätzen eingerichtet werden.

Die Neuordnung des Nahen Ostens

Ein Blick auf die Teilnehmerländer der Allianz zeigt, worum es dem Militärbündnis in Wirklichkeit geht: Da ist der IS-Unterstützer Türkei. Ankara erhofft sich Gebietsgewinne im Irak und in Syrien. Dann sind dabei Saudi-Arabien und seine benachbarten Golfstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie wollen mit der Allianz ihren größten Rivalen, den schiitisch geprägten Iran mit seinen Verbündeten Irak und Syrien, endlich in die Knie zwingen – was ihnen in den bisherigen Stellvertreterkriegen in Syrien und im Jemen nicht gelungen ist. Ebenfalls Teil des Bundes ist das westafrikanische Mali, in dem NATO-Truppen – unter anderen die Bundeswehr – operieren. Auch die Krisenstaaten Tschad, Somalia und Nigeria sind dabei. Oder Libyen, das sich gerade zur neuen IS Kommandozentrale entwickelt. Auch der Jemen, in dem die Saudis Krieg führen. Besonders alarmierend: Die hochgerüstete Atommacht Pakistan gehört ebenfalls dem Bündnis an.

Die saudische Aufrüstung

Es ist hinreichend belegt, dass Saudi-Arabien, die Türkei und einzelne Emirate in den vergangenen Jahren verschiedene Terrorgruppen umfangreich finanziert haben. Darum ist auch klar, dass es dem Bündnis keinesfalls – wie angekündigt – um den Kampf gegen den Terror geht. Wenn man die Entwicklungen seit Herbst 2015 betrachtet, dann sieht man, dass die neue Allianz vielmehr gegen das sehr erfolgreiche Bündnis Russlands mit Syrien, dem Irak und dem Iran gerichtet ist. Genau hierin liegt die Bedeutung dieses Bündnisses: Aus dem regionalen Krieg um Syrien und den Irak sowie dem angeblichen Kampf gegen den IS soll ein umfassender Krieg zweier Blöcke werden. Und Deutschland ist durch seine – angeblich aus Bündnistreue zu Frankreich – verkündete Kriegsteilnahme aufseiten der neuen Allianz, ebenso wie etliche andere NATO-Mitglieder.

Saudi-Arabien soll über Atomwaffen verfügen, behauptet Thierry Meyssan, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace, auf der Website voltairenet. Das wahhabitische Königreich soll mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Marokko und dem Sudan einen gemeinsamen militärischen Generalstab unter israelischem Kommando (!) eingerichtet haben. Saudi-Arabien habe die Atombombe vor zwei Jahren von Pakistan gekauft, schreibt der international gut vernetzte Meyssan und beruft sich auf den saudischen Analysten Dahham Al-’Anzi, einen Vertrauten von Prinz Mohammed bin Salman. Al-’Anzi habe dies am 15. Februar 2016 auf Russia Today in Arabisch gesagt. Meyssan schreibt: »Die Erklärungen auf Russia Today – sofort durch den israelischen Dienstleister Memri übersetzt und verbreitet – haben in der arabischen Welt ein beträchtliches Echo ausgelöst. Trotzdem hat sie kein internationaler politischer Funktionsträger, auch kein saudischer, kommentiert. Und Russia Today hat sie von seiner Internetseite zurückgezogen.«

Die Saudis rüsten aber nicht nur atomar auf: Die US-Regierung hat Anfang 2017 ein milliardenschweres Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien gebilligt. Die islamistische Monarchie wird für ihre Luftwaffe mehr als 19 000 Bomben im Wert von 1,29 Milliarden Dollar (1,19 Milliarden Euro) kaufen. Die Waffenlieferung umfasst rund 12 000 Bomben mit einem Gefechtsgewicht von 500 bis 2000 Pfund, 1500 bunkerbrechende Bomben sowie mehr als 6000 lasergelenkte Präzisionsbomben. Nach Angaben aus Washington wird das Bombenarsenal der saudi-arabischen Streitkräfte durch »das hohe Einsatztempo in mehreren Anti-Terror-Einsätzen« stark beansprucht. Ob Washington hier die völkerrechtswidrigen Angriffe der saudi-arabischen Luftwaffe im Jemen meint? Dort führen die Saudis einen Vernichtungsfeldzug gegen die Huthi-Rebellen und die schiitische Bevölkerung, um ihren Marionettenpräsidenten wieder ins Amt zu hieven.

Das saudische Kriegsziel

Alle Aufrüstung hat ein Ziel: Iran, der große Gegenspieler und Konkurrent um die regionale Machthegemonie. Die Saudis stehen schon mitten im Krieg mit den Mullahs. In Syrien kämpfen sunnitische Milizen mit saudischem Geld und saudischen Waffen gegen iranische Revolutionsgarden und die schiitische Hisbollah-Miliz. Im Jemen, sozusagen der weiche Unterleib des Königreichs, hat Saudi-Arabien getan, was es sonst nie tut: Es hat direkt interveniert. Jetzt führt die saudische Armee dort einen blutigen Bombenkrieg gegen von Teheran unterstützte schiitische Huthis. Unterdessen haben Bürgerkrieg und Chaos in der ganzen großen mittelöstlichen Region zur Mobilisierung der Schiiten geführt – auch der etwa 10 bis 15 Prozent Schiiten in Saudi-Arabien, die ausgerechnet die Ostprovinz des Königreichs bevölkern, dort, wo Saudi-Arabiens große Erdölvorkommen lagern. Nur um Ansteckungsgefahr für seine gefährdete Ostprovinz zu vermeiden, hat Riad 2012 mit regulären saudischen Truppen in Bahrein den eigentlich friedlichen Aufstand der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gegen ihr sunnitisches Regime blutig niedergeschlagen. Vergeblich: Schiitischer Aufruhr hat doch seine Ostprovinz erreicht.

Der Krieg verspricht Megaprofite

Eine direkte militärische Konfrontation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien würde den Ölpreis über Nacht auf 250 Dollar pro Fass treiben, prognostiziert Oilprice: »Wenn sie gegenseitig ihre Öl Terminals angreifen, dann erreicht der Ölpreis Spitzen von 500 Dollar pro Fass und wird dort eine Weile bleiben.«

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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