F. William Engdahl

Droht jetzt die globale  Lebensmittelkatastrophe?

Keine Angst – der Autor gedenkt nicht, sich der apokalyptischen Schwarzmalerei einer Alexandria Ocasio-Cortez oder der famosen jungen schwedischen »Klimaexpertin« Greta anzuschließen. Es geht hier vielmehr darum, einen Blick auf eine ganze Reihe ungewöhnlicher Wetterkatastrophen in wichtigen Agrarregionen der Welt zu werfen – von den USA über Australien bis zu den Philippinen.

Eines lässt sich kaum bestreiten: Die Folgen dieser Ereignisse für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die Entwicklung der Lebensmittelpreise im nächsten Jahr könnten dramatisch sein. Das wiederum würde – abhängig vom weiteren Verlauf der Erntesaison – politisch möglicherweise enorme Kreise ziehen.

Der Statistikdienst NASS des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums meldete am 20. Mai, dass Mais und Sojabohnen weit hinter ihrem üblichen Stand sind, was Aussaat und Pflanzenwachstum zum jetzigen Zeitpunkt angeht. Nur 49 Prozent der gesamten Maisanbaufläche in den USA seien bestellt, vor einem Jahr seien es zur selben Zeit 78 Prozent gewesen. Von der Aussaat seien erst 19 Prozent oberirdisch, im Mai 2018 waren es 47 Prozent. Bei Sojabohnen sind erst 19 Prozent bestellt, vor einem Jahr waren es 53 Prozent. Und in den sechs US-Bundesstaaten, in denen Reis angebaut wird, waren 73 Prozent der Anbaufläche bestellt, im Vorjahr waren es zum selben Zeitpunkt 92 Prozent gewesen. Sollte sich die Wetterlage noch dramatisch verbessern, könnten auch die endgültigen Ernteergebnisse positiver ausfallen. Für eine verlässliche Prognose ist es derzeit aber einfach noch zu früh.

Weltweit sind die USA mit großem Vorsprung führend bei der Sojabohnenproduktion. Vor Ausbruch des Handelskriegs mit China entfielen 34 Prozent der globalen Produktion und 42 Prozent der Exporte auf die USA. Mit einem Marktanteil, der doppelt so groß ist wie der der globalen Nummer zwei – eben China –, liegen die USA auch beim Mais ganz vorn. Schwere Ernteausfälle bei diesen beiden Nutzpflanzen könnten sich weltweit stark auf die Lebensmittelpreise auswirken, lässt man die leidige Tatsache mal außer Acht, dass Sojabohnen und Mais aus den USA nahezu ausschließlich genmanipuliert sind. Diese Ernten werden vor allem für Tierfutter genutzt.

Erst Schnee-, dann Regenchaos

Dass die Agrarsaison im Mittleren Westen der USA dieses Jahr so ungünstig verläuft, liegt vor allem auch daran, dass die Niederschläge während der vergangenen 12 Monate so stark waren wie noch nie seit 1895, als die US-Regierung erstmals Daten erhob. Wie die National Centers for Environmental Information, eine Abteilung der Wetterbehörde NOAA, meldete, folgten dieses Jahr auf Schneerekorde ungewöhnlich heftige Regenfälle. Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist, dass 2015/16 die Auswirkungen von El Niño im Pazifik stark waren und dass das Wetterphänomen im vergangenen Winter – etwas früher als normal – erneut beobachtet wurde. Wie sich das auf das derzeitige Wetter ausgewirkt hat, ist nicht völlig klar. Als El Niño wird die periodisch auftretende Erwärmung des östlichen und zentralen Pazifik in der Äquatorgegend bezeichnet. Im Zusammenspiel mit der Sonnenaktivität (menschliche Faktoren spielen hier keine Rolle) kann El Niño im Verlauf von Monaten globale Wettermuster beeinflussen. Das bedeutet dann für unterschiedliche Regionen der Welt wärmeres, kälteres, feuchteres oder trockeneres Wetter. Üblicherweise beträgt ein Zyklus 2–7 Jahre, und vorliegenden Informationen zufolge dürfte ein bestätigter, wenn auch vergleichsweise schwacher El Niño im vergangenen Mai seine maximale Ausprägung erreicht haben. Im April schätzte NOAA, dass die derzeitigen El-Niño-Bedingungen auf der nördlichen Halbkugel in diesem Sommer (mit einer Wahrscheinlichkeit von um die 60 Prozent) anhalten werden.

Dürre in Australien und  auf den Philippinen

Während die Anbaugebiete im Mittleren Westen der USA zu viel Wasser abbekommen haben, leiden andere Regionen des Planeten unter Dürre. Das gilt vor allem für Australien, einen wichtigen Getreideproduzenten. Erstmals seit 2007 ist das Land wieder gezwungen, Weizen zu importieren (vor allem aus Kanada). Vergangenes Jahr fiel aufgrund der Dürre die Ernte um 20 Prozent geringer aus, die Regierung reagierte mit der Erlaubnis, Getreide in großem Stil importieren zu dürfen. Nach aktuellen Schätzungen wird Australiens Weizenernte dieses Jahr nur 16 Millionen Tonnen betragen, was gerade einmal die Hälfte des Ertrags von vor 2 Jahren wäre. Australien lag in den vergangenen  Jahren auf Rang fünf unter den größten Weizenexporteuren der Welt.

Parallel dazu leiden auch die Philippinen seit Februar 2018 unter einer schweren Dürre, die der Reisernte stark zusetzt. Das Land gehört zwar nicht zu den führenden Reisproduzenten der Welt (Indien, Thailand, Vietnam und Pakistan machen rund 70 Prozent des globalen Exportmarkts unter sich aus), aber die politischen Folgen für das Land sind beträchtlich.

Auch Nordkorea leidet unter einer starken Dürre. Die Niederschlagsmenge in diesem Jahr ist bislang so niedrig wie zuletzt 1982, staatliche Medien sprechen davon, dass sich in allen Teilen des Landes schwere Trockenheit hält. Normalerweise fallen in Nordkorea jährlich bis zu 1200 Millimeter Niederschlag, seit Januar erreichten die tatsächlichen Mengen durchschnittlich nur 42,3 Prozent davon. Parallel dazu werden Lebensmittel knapp. Entsprechende Daten müssen als politisiert angesehen werden, dennoch ist klar, dass die Folgen der internationalen Sanktionen die Situation nicht entschärfen.

Diese Engpässe sind bislang allesamt kein Grund, den globalen Notfall auszurufen, aber es kommt noch hinzu, dass in der gesamten Volksrepublik China in großem Stil die tödliche Afrikanische Schweinepest wütet (Kopp exklusiv berichtete). Nach Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums müssen die Chinesen dieses Jahr bis zu 200 Millionen Tiere notschlachten, um die Ansteckungsgefahr in den Griff zu bekommen. Mit rund 700 Millionen Tieren pro Jahr ist China der mit Abstand weltgrößte Schweinefleischproduzent. Als wäre das nicht schlimm genug, muss sich China mit einer Plage von Herbst-Armeewürmern auseinandersetzen, einem Schädling, der landesweit Mais- und Sojabohnenernten vernichten könnte.

Hinzukommen die verschiedenen Kriegsgebiete rund um den Globus, vom Jemen über Syrien bis zum Kongo. In diesen Ländern ist die Landwirtschaft dem Krieg zum Opfer gefallen.

Wird Russland die  nächste Getreidemacht? Im Zuge der derzeitigen Schwierigkeiten und der drohenden Missernten könnte Russlands große Stunde schlagen. Obwohl die USA und die EU 2014 Sanktionen gegen Russland verhängten, ist das Land in den vergangenen 3 Jahren zum weltgrößten Weizenexporteur aufgestiegen und rangiert deutlich vor Kanada und den USA. Im Erntejahr 2019/20 wird Russland schätzungsweise 49,4 Millionen Tonnen Weizen exportieren, ein neuer Rekord und ein Plus von rund 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vergangenes Jahr entfielen etwa 21 Prozent der weltweiten Weizenexporte auf Russland, dahinter lagen die USA und Kanada mit jeweils etwa 14 Prozent.

Die Sanktionen des Westens hatten einen interessanten Effekt auf Russland, denn die Regierung war nun gezwungen, dafür zu sorgen, dass man in der nationalen Lebensmittelproduktion unabhängiger wird. Im Jahr 2016 verbot die russische Regierung den Anbau und die Einfuhr genmanipulierter Organismen. Auch dank seiner Ackerländer mit fruchtbarer Schwarzerde ist Russland zumindest für den Augenblick gut aufgestellt, um davon zu profitieren, dass in anderen Teilen der Welt Ernten in Mitleidenschaft geraten sind. Unwahrscheinlich allerdings ist es, dass sich die USA bei den Russen mit Weizen eindecken. Dieses Szenario hätte dann nämlich eine historische Blaupause mit umgekehrtem Vorzeichen. Nach einer Missernte in der früheren Sowjetunion verkauften die USA Millionen von Tonnen Getreide zu stark subventionierten Preisen an die UdSSR. In der Folge stiegen die Getreide-Preise in den USA deutlich, die Rohstoffbörse brach ein. In den folgenden Monaten explodierten die Lebensmittelpreise weltweit. Später war vom größten Kornraub (»Great Grain Robbery«) die Rede.

Die Preise an der Rohstoffbörse in Chicago kletterten damals auf den höchsten Stand seit 125 Jahren. 1973/74 kam noch der Ölpreisschock dazu, als die OPEC die Preise um 400 Prozent erhöhte. Auch damals spielte die durchtriebene Diplomatie Kissingers eine zentrale Rolle.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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Freitag, 21.06.2019