Peter Orzechowski

Flächenbrand im Sahel – Europas Krieg in Afrika

Kaum beachtet von der Öffentlichkeit kämpfen seit mehr als fünf Jahren deutsche, französische und amerikanische Truppen in der Region südlich der Sahara gegen Dschihadisten. Jetzt sollen afrikanische Soldaten – bezahlt von der EU – die Sahelzone befrieden. Warum gibt es dort überhaupt islamistische Kämpfer? Wer bezahlt sie? Die Antwort ist leicht zu finden: Wie im Nahen Osten, erzeugt der von ihnen verbreitete Terror Chaos in einer strategisch wichtigen Region und entfacht Flüchtlingsströme nach Europa. Gleichzeitig rechtfertigt er die Stationierung von Truppen und ermöglicht damit die Kontrolle der reichen Öllagerstätten in Westafrika. Wie im Nahen Osten wird dieser Terror von unseren Verbündeten, den Scheichs Arabiens, finanziert.

Laut aktuellen Umfragen des Washingtoner Meinungsforschungszentrums Pew, benannt nach dem US-amerikanischen Ölindustriellen Joseph Newton Pew (1848–1912) und gegründet von der Times Mediengruppe, wollen bis zu zwei Drittel der Afrikaner nach Europa auswandern – bei mehr als einer Milliarde Menschen auf dem Schwarzen Kontinent eine gewaltige Summe. In Marokko sind derzeit etwa 50 000 und in Libyen über 400 000 auf dem Sprung übers Mittelmeer in ein besseres Leben. Laut Angaben von Eurostat, der Statistikagentur der EU, beantragten zwischen 2014 und 2017 beinahe eine Million Bewohner der Länder südlich der Sahara Asyl in Europa.

Als Gründe werden Überbevölkerung und Bürgerkrieg, ausgelöst durch dschihadistische Gruppen, genannt. Wie schon im Irak, in Syrien und in Libyen treiben angebliche IS-Kämpfer die Menschen aus ihrer Heimat. Die Europäer haben bisher vergeblich versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. Ein Beispiel dafür ist der französisch-deutsche Militäreinsatz in Mali.

Die brodelnde Sahel-Zone

Anfang 2013 entzündete sich in Mali ein Krisenherd, als Tuareg-Söldner, die sich zuvor in den Diensten Gaddafis befanden, über die Grenzen zurück in ihre Heimatländer strömten. Sie setzten einen Kampf mit der malischen Zentralregierung um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit fort. Unterstützt wurden sie von islamistischen Gruppen, die teilweise auch in Algerien operieren. Aus Libyen brachten die Kämpfer Waffenmaterial mit, welches aus den Rüstungsschmieden des Westens stammte und mit dem sich das Gaddafi-Regime zuvor reichlich hatte versorgen können.

Außerdem wurde die gesamte Sahelzone, der breite Steppengürtel südlich der Sahara, der sich von Somalia im Osten zum Senegal im Westen erstreckt (und an das Öl-Dorado Westafrika anschließt), von einem islamistischen Aufbegehren erfasst. Finanziert und inspiriert von einflussreichen Kreisen in den Golf-Monarchien – unter Führung Saudi-Arabiens – überrollten Fanatiker die lokalen Muslime und fegten ihre religiösen Traditionen hinweg, insbesondere die der Mystiker und Sufi-Orden.

Trotz nunmehr fünfjährigen militärischen Engagements von Franzosen, Deutschen und Amerikanern gerät die Lage nicht nur im Norden Malis, sondern auch in den angrenzenden Staaten des Sahel immer mehr außer Kontrolle: Im vergangenen Jahr haben die Dschihadisten die Zahl ihrer Anschläge im Sahel von rund 75 im Vorjahr auf über 150 mehr als verdoppelt. Die Zahl der Todesopfer ist von beinahe 225 auf fast 400 gestiegen. Die Zahl der französischen Todesopfer hat sich seit Beginn der Kämpfe im Sahel auf 22 erhöht. Die vor Ort stationierten UN-Blauhelme beklagten bislang offiziell 150 Todesopfer. Im Oktober wurden vier US-Militärs und fünf nigrische Soldaten in einem Hinterhalt in Nigers Westen, unweit der Grenze zu Mali, getötet. Die Verluste nehmen zu.

Reale Gefahr eines Dominoeffektes

Das französische Engagement sei durchaus berechtigt gewesen, meinte der verstorbene Afrika Kenner Peter Scholl-Latour, weil dort die reale Gefahr eines Dominoeffektes bestand. In einem Gespräch mit Ramon Schack, einem Autor der Webseite heise.de/tp, sagte Scholl-Latour: »Hätten die islamistischen Kräfte aus dem Norden Malis das ganze Land eingenommen, dann wäre die ganze Region gefährdet gewesen, besonders der Senegal. Dadurch hätten die Islamisten das strategisch überaus wichtige Kap Verde erreicht. Staaten wie der Niger, der ja nur noch auf dem Papier existiert, wären zusammengebrochen. Vor allem aber war und ist der Koloss Nigeria gefährdet, mit seinen fast 200 Millionen Einwohnern. Im Norden Nigerias sehen sich ja die Behörden den Anschlägen der extremistischen Sekte Boko Haram ausgesetzt, die sich das Ziel gesetzt hat, jeglichen westlichen Einfluss auszurotten. Ohne das Eingreifen der Franzosen hätten also die erwähnten Gruppen einen gemeinsamen riesigen Operationsraum vorgefunden, der sich permanent ausgedehnt hätte. Unmittelbar bedroht vom diesem explosiven Szenario fühlt sich die Republik Algerien, deren südliche Ausläufer bis in das Krisengebiet hineinreichen.«

Der Konflikt in Mali hält bis heute an – ebenso das militärische Engagement des Westens. Der Bundestag stimmte kürzlich mit großer Mehrheit für die Verlängerung aller Bundeswehreinsätze, inklusive des Mali-Einsatzes.

EU baut afrikanische Schutztruppe auf

Weil aber die westlichen Truppen bisher keine Erfolge gegen die Dschihadisten feiern konnten, beschloss die EU-Kommission unlängst auf einer Sahelkonferenz in Brüssel, für eine »Force Conjointe G5 Sahel«, eine aus fünf Ländern des nordwestlichen Afrika gebildete Eingreiftruppe, 300 Millionen Euro bereitzustellen. Allein könnten die »G5 Sahel«-Staaten die Last keinesfalls stemmen, denn bis auf Mauretanien zählen sie – Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad – zu den 15 ärmsten Ländern der Welt. Rund 4500 bis 5000 Mann sollen in sieben Bataillonen von jeweils 550 Soldaten plus 100 Polizisten über die Sahelzone verteilt stationiert werden – um dort den Kampf gegen Dschihadisten, Schmuggler und Flüchtlinge aufzunehmen.

Afrikanische Truppen haben aus der Perspektive der wohlhabenden EU nicht nur den Vorteil, dass ihre Opfer in Europa kaum wahrgenommen werden, sondern auch den, dass sie weniger kosten. Ausgestattet werden die »G5 Sahel«-Einheiten gegenwärtig mit Material aus den Beständen europäischer Streitkräfte. Frankreich etwa hat Mauretanien kürzlich zehn Geländefahrzeuge übergeben, die Bundeswehr den nigrischen Kameraden inzwischen unter anderem 100 Pickups, 115 Motorräder, sieben Truppentransporter sowie drei Tankwagen zur Verfügung gestellt. Der UN Sicherheitsrat hat im Dezember beschlossen, dass MINUSMA, die UN-Blauhelmtruppe im Norden von Mali, die »G5 Sahel«-Bataillone bei der Versorgung mit Treibstoff und Wasser, aber auch bei der Evakuierung von Verwundeten unterstützen soll. Für Letzteres sind zurzeit unter anderem die Bundeswehreinheiten in Gao zuständig. Man wird sehen müssen, inwieweit sie im kommenden Krieg der »G5 Sahel« in Kampfhandlungen verwickelt werden.

Wie immer geht es um Öl

Hinter der Dschihadisten-Aktivität stehen – wie im Nahen Osten – strategische Interessen. Die ölreichen Länder Westafrikas sind wichtig für die Versorgung der USA. Kein Wunder also, dass als künftiges Hauptquartier für ein zu schaffendes neues Regionalkommando die Errichtung eines riesigen US-Stützpunktes im westafrikanischen Inselstaat São Tomé und Príncipe geplant ist. Er soll auch Heimathafen eines neu zu schaffenden eigenen Flottenverbandes werden, der den Golf von Guinea und damit die Erdölausfuhr aus Nigeria kontrollieren würde. Der Vorschlag kam vom israelisch-amerikanischen Institute for Advanced Strategic & Political Studies, einer Einrichtung der Neokonservativen.

Was das Gebiet um den Golf von Guinea, von Liberia bis Angola, so interessant macht, ist vor allem sein Reichtum an Erdöl, der überwiegend erst in den letzten zehn Jahren entdeckt wurde. Nirgendwo auf der Welt werden derzeit so schnell so viele neue Vorkommen gefunden wie hier. Fast 20 Prozent des von den USA eingeführten Erdöls kommt aus dem Raum rund um den Golf von Guinea.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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