Ryan Gallagher

Frankreich greift hart gegen Journalisten durch, die Geheimdokumente veröffentlichten

Nachdem französische Journalisten Geheimdokumente über die Verwicklung Frankreichs in den Jemen-Konflikt veröffentlicht haben, schlägt Paris nun mit beispielloser Härte zurück.

Ein Reporter von Radio France und die Gründer von Disclose, einer Pariser Enthüllungsplattform, wurden vom Inlandsgeheimdienst DGSI zur Befragung einbestellt. Die DGSI ist für die Bekämpfung von Terrorismus, Spionage und anderen inländischen Bedrohungen zuständig.

Im April hatten die beiden Medienorganisationen gemeinsam mit The Intercept, Mediapart, ARTE Info und Konbini News Artikel veröffentlicht, in denen enthüllt wurde, welch gewaltige Mengen an militärischem Gerät Frankreich, Großbritannien und die USA an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft haben und dass dieses Gerät nun eingesetzt wird, um im Jemen Krieg zu führen.

Die Artikel basieren auf einem Geheimdokument des französischen Militärgeheimdienstes, das die Journalisten von Disclose in die Hände bekommen hatten. Aus dem Papier geht hervor, dass ranghohe Vertreter der französischen Regierung die Öffentlichkeit offenbar belogen haben, was die Rolle französischer Waffen in diesem Krieg anbelangt. Es wurde enthüllt, wie tief westliche Nationen in den verheerenden Konflikt verwickelt sind, bei dem bislang mehr als 17.900 Zivilisten getötet oder verletzt wurden. Der Krieg hat zu einer Hungersnot geführt, der bis jetzt schätzungsweise 85.000 Kinder zum Opfer gefallen sind.

Die französische Regierung wollte nicht, dass das Dokument an die Öffentlichkeit kommt, und reagierte entsprechend wütend, als die Berichterstattung Schlagezeilen in aller Welt machte. Nicht lange nach der Veröffentlichung wurden Geoffrey Livolsi und Mathias Destal, die beiden Disclose-Gründer, sowie Benoît Collombat von Radio France in das DGSI-Hauptquartier in Levallois-Perret einbestellt, einem Pariser Vorort.

Das Hauptquartier ist ein stark befestigtes, beigefarbenes Gebäude an der Rue de Villiers. Dort wurden die Journalisten im vierten Untergeschoss eine Stunde lang zu ihrer Arbeit, ihren Quellen und ihren Posts auf Facebook und Twitter befragt. Sie verweigerten die Aussage, beriefen sich auf ihr Schweigerecht und verlasen stattdessen eine Erklärung zu ihrer journalistischen Arbeit und ihrer Ansicht, die Veröffentlichung des Dokuments sei im öffentlichen Interesse gewesen.

Seit einem entsprechenden Gesetz aus dem Jahr 1881 genießt in Frankreich die Pressefreiheit einen starken Schutz und erlaubt es Journalisten beispielsweise, ihre Informanten zu schützen. Im Gesetz werden auch Verstöße definiert, die man Journalisten vorwerfen kann, beispielsweise wegen Diffamierung. Auch der Umgang mit derartigen Verstößen ist dort geregelt, so sollen Tribunale gegebenenfalls Strafen verhängen, zum Beispiel Bußgelder oder in extremen Fällen auch Gefängnisstrafen.

Was im Gesetz jedoch nicht als Presseverstoß aufgeführt ist, sind Angelegenheiten der Staatssicherheit. Die DGSI scheint dieses Schlupfloch ausgenutzt zu haben, um den Journalisten vorzuwerfen, sie hätten die »Geheimhaltung der nationalen Verteidigung kompromittiert«, und zwar ab dem Augenblick, als ihnen das vertrauliche Dokument in die Hände fiel. Ein Gesetz von 2009 verbietet »Angriffe auf Geheimnisse der nationalen Verteidigung« und darin wird schon der ungenehmigte Umgang mit klassifizierten Dokumenten zum Verbrechen erklärt. Journalisten sind davon nicht ausgenommen, insofern gilt auch das Argument des öffentlichen Interesses nicht.

»Sie wollen an uns ein Exempel statuieren, denn es ist das erste Mal, dass es in Frankreich zu derartigen durchsickernden Informationen gekommen ist«, erklärte Disclose-Mitgründer Livolsi gegenüber The Intercept. Er bezog sich damit auf den sensiblen Inhalt des Dokuments, das französische Militäranalysten vergangenen September für ein Briefing von Präsident Emmanuel Macron im Élysée-Palast erstellt hatten. »Sie wollen Journalisten und deren Informanten Angst einjagen, damit sie keine Staatsgeheimnisse verraten.«

Im schlimmsten Fall drohen den Reportern 5 Jahre Gefängnis und 75.000 Euro Bußgeld. Wie es in diesem Fall weitergeht, ist aktuell unklar. Die DGSI könnte die Untersuchungen auch einstellen und die Journalisten mit einer Verwarnung davonkommen lassen. Der Fall könnte aber auch einem Richter übergeben werden, der weitere Ermittlungen durchführt und beschließt, Anklage zu erheben.

Bei einer der Anhörungen war auch Virginie Marquet als Rechtsbeistand Destals anwesend. Die Anwältin sitzt im Vorstand von Disclose und ist zuversichtlich, dass die Journalisten nicht ins Gefängnis müssen. Allerdings merkte sie an, dass die Regierung offenbar an einer harten Bestrafung interessiert sei. Verteidigungsministerin Florence Parly deutete in einer öffentlichen Verlautbarung an, Disclose habe »gegen sämtliche Regeln und Gesetze unseres Landes« verstoßen, und fügte hinzu: »Wer Verschlusssachen veröffentlicht, macht sich strafbar.«

Unabhängig vom weiteren Verlauf hat der Umgang der DGSI mit dem Fall bereits eine Signalwirkung. »Beabsichtigt ist eine Abschreckwirkung«, sagte Marquet. »Es ist eine Warnung an alle Journalisten: Befasst euch nicht mit solchen Themen, seht euch diese Informationen nicht näher an.

Paul Coppin, der Leiter der Rechtsabteilung von Reporter ohne Grenzen äußerte gegenüber The Intercept, er könne nicht vorhersagen, wie der Fall ausgehe, da es etwas Vergleichbares in Frankreich noch nicht gegeben habe. Es sei bedenklich, dass Journalisten unabhängig vom öffentlichen Interesse für den Umgang mit vertraulichen Unterlagen bestraft werden könnten. Das gelte umso mehr, wenn man bedenke, mit welcher Leichtigkeit der Staat jedwede Information zur Geheimsache erklären könne, so Coppin.

»Das ist sehr problematisch«, erklärte Coppin. »Es zeigt die Aufweichung verfahrensrechtlicher Garantien, die die Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützen. Es sollte [in Frankreich] ein solideres Grundgerüst zum Schutz von Journalisten bei ihren Aktivitäten geben.«

Frankreichs Innenministerium, das für die DGSI zuständig ist, hat auf ein Ersuchen um Stellungnahme bisher nicht reagiert.

Quelle: The Intercept

Samstag, 25.05.2019