Andreas von Rétyi

Gesellschaft in Europa:
Multikulti oder Multikonflikt?

Wohin steuert unsere europäische »Wertegemeinschaft«? In Richtung einer vielschichtigen, bereichernden Kulturunion oder aber einer katastrophalen Kollision unvereinbarer Denkweisen? Aktuelle Aussagen und Ereignisse lassen bedenkliche Schlüsse zu.

Der 1952 in Marokko geborene französische Historiker Georges Bensoussan sieht gefährliche Zeiten auf uns zukommen. In einem Gespräch mit dem Online-Journal Causeur.fr warnte er am 20. November vor den Folgen der aktuellen europäischen Politik. Seine Prognose: Multikulturelle Gesellschaften werden zur Entstehung von Multikonflikt-Gesellschaften führen. Der Islam sei unvereinbar mit den aufklärerischen Idealen der westlichen Zivilisation. Er fokussiert dabei die aktuelle Situation im Nachbarland Frankreich, bezieht sich aber in seinen Grundaussagen schon auf Europa und die westliche Welt: »Eine multikulturelle Gesellschaft (nicht zu verwechseln mit einer multiethnischen Gesellschaft)« werde demnach »in steigendem Maße gleichbedeutend sein mit einer Multi-Konflikt-Gesellschaft.«

Frankreich lehne seine eigene Geschichte ab und demütige sich selbst unablässig. Solche Beobachtungen scheinen vertraut, aber gar nicht so typisch für Frankreich, das jedoch unter Macron einen ganz besonderen Wandel vollziehen soll. Parallelen sind unübersehbar. Bensoussan spricht von mehr als 500 »problematischen« No-go-Zonen, in denen der salafistische Islam die Kontrolle übernehme.

Dort seien die polizeilichen Behörden mittlerweile machtlos. Islamisten hätten uns den Krieg erklärt. Dies nicht verstanden zu haben, werde europäische Länder komplett hilflos zurücklassen. Die Tatsache eines mit unseren Wertvorstellungen inkompatiblen Islam garantiere uns eine schwierige Zukunft. Schon heute stehen vor allem die europäischen Großstädte vor gewaltigen Problemen.

Allzu viel Humanität …

Aktuelle Bilder aus Paris erinnern in weiten Strecken an Endzeitszenarien. Die Gegend von Seine-Saint-Denis ist die neue Heimat von rund 400 000 illegalen Einwanderern. Straßenzüge gleichen Müllkippen. Gewalt, Schmutz und Ratten haben Einzug gehalten, doch wer die No-go-Areas realistisch thematisiert, gilt unmittelbar als islamophob und rassistisch. Da spielt es auch plötzlich keine Rolle mehr, dass zahlreiche Angehörige jüdischen Glaubens sich nicht mehr sicher fühlen und Paris verlassen. Ein Beleg für die Doppelmoral politischer Korrektheit.

Der deutsche Psychologe Albert Wunsch hat sich eingehend mit der Frage befasst, ob Massenimmigration eher einen Fortschritt bewirke oder aber zur Destabilisierung führe. Er verweist auf Ludwig Erhard, der bereits Ende 1965, zu Zeiten der »Gastarbeiter«, vor den Grenzen einer Heranziehung von noch mehr ausländischen Arbeitskräften gewarnt habe. Wunsch nennt auch den Ex-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, der 1980 festhielt: »Allzu viel Humanität ermordet die Humanität.«

Albert Wunsch selbst konstatiert zur aktuellen Lage: »Entwickeln Migranten oder Migrantengruppierungen stark destruktive Kräfte und lehnen offensiv Integrationsmaßnahmen ab, dann werden auch die integrationsbereiten und schon gut integrierten Einwanderer mit aggressiven Gegenmaßnahmen der Stammbevölkerung rechnen müssen, auch wenn dies so nicht hinnehmbar ist.« Der nahende Migrationspakt wird gewiss nichts besser machen. Er bildet das nächste Glied in einer Kausalkette, die wohl unweigerlich im Multikonflikt enden muss und wohl auch soll.

Nur noch 5 Jahre

Die Gelbe-Westen-Bewegung gilt in Frankreich als Personenkreis, der gegen hohe Benzinpreise und Lebenserhaltungskosten demonstriert. Nach einer Infiltrierung durch radikale, extremistische Gruppen geriet die Situation außer Kontrolle. Die friedlichen Aktivisten befürchten daher den Beginn eines Bürgerkriegs. Auch in Deutschland demonstrierten Menschen in gelben Warnwesten, angelehnt an die Proteste in Frankreich. Wie Medien berichten, »deutet sich an«, dass hierzulande rechte und rechtsextreme Gruppen sich unter die »Gelbwesten« mischen, um deren eigentliches Anliegen zu missbrauchen, den Migrationspakt zu »kippen« und den »Fahrplan für eine Revolution zu präsentieren«. Da scheint manches sehr individuell interpretierbar, wenn nur von Andeutungen die Rede ist.

Abseits jeglicher Exegese wird allerdings schnell klar, was Menschen derzeit bewegt und Angst macht. Frankreich ist dabei ein Paradebeispiel. Die aktuellen Unruhen in Paris sind nur die eine Seite der Medaille. Die Kollision der Kulturen ist die andere. In einem erst kürzlich veröffentlichten, aber bereits im Februar aufgezeichneten Interview räumt der ehemalige französische Innenminister Gérard Collomb ein, dass die Massenimmigration zu einer fatalen Sicherheitslage in Frankreich geführt habe: »Die Verhältnisse sind sehr angespannt, die Leute wollen nicht miteinander leben.« Die Einwanderung sei in enormem Umfang für die andauernden Unruhen verantwortlich. Auf die Frage, wie viel Zeit wir noch hätten, das Ruder herumzureißen, antwortete Collomb: »Ich will keine Ängste schüren, aber ich denke, es bleibt uns nur noch sehr wenig Zeit … Das ist schwer abzuschätzen, aber ich würde sagen, die Situation könnte innerhalb der nächsten 5 Jahre irreversibel werden. Ja, wir haben 5 oder 6 Jahre, um das Schlimmste zu verhindern.«

»Mord und Totschlag«

Altkanzler Helmut Schmidt hat zuweilen sehr erstaunliche Dinge gesagt. Ihn zu zitieren, kann allerdings zuweilen einem Sakrileg gleichen. Gewagt hatte dies die CDU-Politikerin Erika Steinbach im Jahr 2015 als Sprecherin für Menschenrecht und humanitäre Hilfe der Unionsfraktion. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel erinnerte sie an eine Aussage, die Schmidt im Jahr 1981 traf: »Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.« Erika Steinbach wurde daraufhin sofort vorgeworfen, den Tod des kurz zuvor verstorbenen Staatsmannes für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Vielmehr scheint hier Pietät instrumentalisiert, um über Tatsachen hinwegzutäuschen. Doch Schmidt hat nachweislich noch mehr gesagt. So charakterisierte er 2004 beispielsweise die multikulturelle Gesellschaft als »eine Illusion von Intellektuellen« und erklärte damals zum Integrationswillen: »Manche der heute bei uns lebenden Ausländer wollen jedoch keine Deutschen werden« und: »Ich habe zum Beispiel in Bezug auf manche islamische Gläubige, die nach Deutschland gekommen sind, um hierzubleiben, meine Zweifel, ob ein Austausch mit der deutschen Kultur im Gange ist. Nein, der Ausdruck ›Zweifel‹ ist eine Untertreibung. Der Austausch findet kaum statt« – so zu lesen in der Zeit Nr. 18 am 22. April 2004. Aber was nicht ins Schema der Akteure passt, wird entweder adaptiert, selektiert, negiert oder eliminiert. Ebenso wurde Samuel Huntingtons prognostisches Buch über den Kampf der Kulturen von diversen Experten als vereinfachendes, pseudowissenschaftliches Werk verrissen. Der Kontext mag differieren, doch Huntingtons Prognose schlägt in die richtige Kerbe.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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