Stefan Schubert
Hanau – Die Amoktat eines Wahnsinnigen
Zuerst gilt es die Reihenfolge im Angesicht der Schreckensnacht von Hanau zu wahren. Das Mitgefühl des Autors gehört den Angehörigen der zehn ermordeten Menschen und den Überlebenden und Verletzten, die sich noch im Krankenhaus befinden und um ihr Leben ringen. Doch in Berlin-Mitte setzte umgehend nach der Tat die politische Instrumentalisierung derselben und damit auch der Opfer ein. Nach der Analyse des 24-seitigen Bekennerbriefes des Täters bleibt von dem behaupteten rechtsextremen Hintergrund wenig übrig, vielmehr wird man mit dem irren Weltbild eines offensichtlich Wahnsinnigen konfrontiert.
Gewalt und Terror ist von allen Seiten abzulehnen, egal ob er islamistisch, linksextrem oder rechtsextrem motiviert ist. Mit dieser pauschalen Ablehnung von jeglicher Gewalt tun sich Politik und Medien hingegen schwer. Während linksextreme Gewalt relativiert oder verschwiegen wird, wirkt der mediale Ablauf nach einem islamistischen Terroranschlag wie eine einstudierte Choreografie: Jede gesellschaftliche Debatte über die kulturelle Herkunft des Täters und dessen islamische Sozialisation und Radikalisierung wird verhindert, und selbstverständlich haben laut Mainstream-Medien islamistische Terroranschläge nichts mit dem Islam zu tun. So werden Täter oft kurz nach der Tat als »psychisch krank« ferndiagnostiziert oder als »Männer« umschrieben, die sich in einer »psychischen Ausnahmesituation« befanden.
Mit diesen Umschreibungen scheint der Geisteszustand des Hanauer Täters nicht einmal ansatzweise umrissen zu sein. Tobias R., 43, hat der Nachwelt ein 24-seitigies wirres Pamphlet hinterlassen, welches dem Autor vorliegt.
Zuerst aber eine kurze Zusammenfassung der Tat und den Ereignissen vom Mittwochabend, so wie sich die Sachlage aktuell darstellt:
Gegen 22.00 Uhr fährt Tobias R. im hessischen Hanau zu zwei Sisha-Bars und eröffnet unvermittelt das Feuer. Dabei erschießt er neun Menschen und verletzt fünf weitere. Unter den Toten sollen sich fünf türkische Staatsangehörige befinden. Danach fährt er nach Hause, erschießt seine 72-jährige Mutter und anschließend sich selbst. In unterschiedlichen Meldungen wird er als Sportschütze oder Inhaber eines Jagdscheines beschrieben.
Er besaß demnach legal scharfe Waffen.
Das wirre Weltbild des Tobias R.
In eigenen Verlautbarungen beschreibt sich Tobis R. als Bankkaufmann mit BWL-Studium und dass er seit 18 Jahre keine sexuelle Beziehung mehr mit einer Frau hatte. Nach der ersten Analyse seiner YouTube-Videos sowie seinem 24-Seiten Pamphlet kann man ihn nur als vollkommen verrückten Hardcore-Verschwörungstheoretiker bezeichnen. So sprach er in einem Video das amerikanische Volk im passablen englisch direkt an und fabulierte über unterirdische Militäreinrichtungen, sprach von Kindern die dort misshandelt und getötet und dass dort dem Teufel gehuldigt würde. Noch wirrer geht es in dem 24-Seiten-Papier zu.
Ja, es stehen dort fremdenfeindliche, rassistische Passagen die sich vornehmlich gegen türkische und arabische Migranten richten. Aufgrund von eigenen negativen Erfahrungen und einer allgemeinen Ausländerkriminalität schreibt Tobias R. dort über die Vernichtung kompletter Völker. Der Rest dieses Pamphlets ist dagegen so wirr, dass man es trotz mehrfachen Lesens nur schwer zu verstehen vermag.
So fühlt sich Tobias R. seit dem Zeitpunkt seiner Geburt von geheimdienstähnlichen Organisationen überwacht. Er selbst beschreibt dies folgendermaßen:
»Wenn ich von ›überwachen‹ spreche, dann meine ich damit vor allem eine akustische und eine visuelle Überwachung in der Privatwohnung, in den Räumen auf der Arbeitsstätte und sonstigen Orten an denen man sich aufhält. Ich meine somit keine Kameras, die sichtbar an öffentlichen Plätzen oder in Geschäftsläden jeglicher Art aufgestellt sind.
Es gibt Menschen, die für diesen ›Geheimdienst‹ arbeiten, welche in der Lage sind, die Gedanken eines anderen Menschen lesen zu können und darüber hinaus fähig sind, sich in diese ›einzuklinken‹ und bis zu einem gewissen Grad eine Art ›Fernsteuerung‹ vorzunehmen.«
Weiter geht es mit den Schilderungen seiner Geburt:
»Die Zeitspanne, in der ich die Vermutung besaß, dass ein ›Geheimdienst‹ mich ›überwacht‹ kann ich heute rückschauend zeitlich ab dem Tag meiner Geburt bis zum 11. September 2001 datieren. … Parallel zu diesen ersten Eindrücken vernahm ich eine Stimme in meinem Geist, der nun zum ersten Mal einsetzte, die allerdings nicht freundlich war und lautete: ›Oh, das ist ja blöd, ich bin in die Falle gegangen‹.«
Danach springt Tobias R. thematisch und chronologisch wirr umher. Äußert die besagten Auslöschungsphantasien, spricht über Zeitschleifen und Zeitreisen, über Flüge zu fernen Planeten und ergibt sich dann in Strategien für die USA, wie diese ihren Weltmachtstatus erhalten kann.
Dass er keine Freundin finden und somit keine Partnerschaft eingehen konnte, wurde durch die unsichtbaren Geheimdienste gesteuert und verhindert, die um seine »Achillesferse« Frauen/Partnerschaft Bescheid wussten. Danach schildert Tobias R. eine Phase wo er Anfing »mit den unsichtbaren Menschen zu sprechen«, seinen Überwachern.
In dem Pamphlet folgt dann ein Abschnitt, wo er eine Strategie für den Deutschen Fußballbund (DFB) entwickelt, um wieder Turniere gewinnen zu können.
Ferner schildert er mehrere Anzeigenversuche, die er bei den Behörden gegen seine unsichtbaren Geheimdienstüberwacher stellte, wo er jedoch jedes Mal abgewiesen wurde:
»Im Januar 2002 ging ich also erstmals zur Polizei, um dort eine Anzeige wegen illegaler Überwachung zu stellen.
Leider kam ich nicht zum Ziel.
In den folgenden Wochen und Monaten erschloss sich mir allmählich das ganze Bild und war ich bisher von einer Überwachung seit dem Studium ausgegangen, so musste ich leider feststellen, dass ich bereits mein ganzes Leben in den Fängen einer Geheimorganisation war.
Im Herbst 2004 stellte ich erneut Anzeige, diesmal in einer anderen Polizeidienststelle und wurde wieder abgewiesen.
Im Jahr 2019 unternahm ich nun den dritten und letzten Anlauf.
Ich habe mich an verschiedene Privatermittler gewendet und zwei Anzeigen, einmal bei der Staatsanwaltschaft in Hanau und einmal beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe, eingereicht.«
Die Geheimorganisation überwacht zudem Hollywood und die dort gedrehten Filme. Erfolgreiche Serien wie »Vikings« und »Prison Break« entstammen seiner Grundidee, die die Geheimorganisation bei einem Gespräch mit einem Bankkollegen abgehört haben, jedenfalls im kranken Hirn des Tobias R. All dies und viele weitere Filme wären durch das »Einlinken« in das Hirn von Tobias zustande gekommen. Er selbst schreibt darüber:
»Die Geheimorganisation, die mich überwacht, nimmt Einfluss darauf, welche Hollywoodfilme gedreht werden bzw. welche Inhalte verfilmt werden. … Zusammengefasst möchte ich mit diesen Beispielen verdeutlichen, dass genau diese Fähigkeit, ›Gedanken zu lesen‹ und sich in das ›Gehirn eines anderen Menschen einklinken‹ zu können, von der gleichen Organisation filmisch verarbeitet wird, die über diese Fähigkeit verfügt!«
Explizit bin ich beim Schreiben des Artikels ausführlich auf den offensichtlichen Wahnsinn in dem 24-seitigen Pamphlet von Tobias R. eingegangen. Es steht jedoch zu befürchten, dass Politik und Medien die durchaus vorhandenen fremdenfeindlichen Passagen in den Vordergrund stellen, um daraus politisches Kapital zu schlagen – die seitenlangen, dominierenden Teile der vollkommen irren Gedankengänge von Tobias R. jedoch unterschlagen werden.
Wenn in der jüngsten Vergangenheit die Einordung einer Bluttat als die Tat eines »psychisch kranken« Mannes seine Richtigkeit hatte, dann in dem vorliegenden Amoklauf von Hanau.
Donnerstag, 20.02.2020