Torsten Groß

Kehrt der Obama-Clan ins Weiße Haus zurück?

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Am 3. November 2020, also in weniger als 200 Tagen, findet die 59. Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten statt. Herausforderer von Amtsinhaber Donald J. Trump wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Joseph »Joe« Biden sein. Der frühere Stellvertreter von Barack Obama konnte die meisten der bisherigen Vorwahlen seiner demokratischen Partei in den Bundesstaaten für sich entscheiden. Am 8. April hat mit Bernie Sanders der letzte und zugleich ärgste Widersacher Bidens um die Nominierung zum demokratischen Präsidentschaftsbewerber das Handtuch geworfen. Völlig offen ist dagegen, wer an der Seite von Biden als sogenannter Running Mate, also als Kandidat für die Vizepräsidentschaft, antreten wird.

In einem Interview mit dem Hörfunksender KDKA in Pittsburgh äußerte Biden vor einigen Tagen überraschend, dass er Michelle Obama, die Ehefrau des früheren US-Präsidenten Barack Obama, ohne Zögern zu seiner Stellvertreterin im Weißen Haus machen würde. »Ich würde sie im Handumdrehen nehmen« so Biden, und weiter: »Sie ist brillant. Sie kennt sich aus. Sie ist eine wirklich gute Frau. Die Obamas sind gute Freunde.«

Biden fügte allerdings hinzu, dass Michelle Obama wohl kein Interesse an der Position habe. In ihrer im November 2018 unter dem Titel Becoming veröffentlichten Biographie gibt Obama an, keine eigenen politischen Ambitionen zu verfolgen. Ob es dabei bleibt, ist offen. Sollte das Rennen ums Oval Office, mit dem beim linken US-Establishment verhassten Donald Trump eng werden – und darauf deuten die aktuellen Umfragen hin –, könnte sich Obama am Ende doch entscheiden, das Angebot Bidens anzunehmen. Denn die ehemalige First Lady ist an der Basis der demokratischen Partei sehr beliebt. Ihre Kandidatur als Vizepräsidentin könnte vor allem Frauen motivieren, am 3. November an die Wahlurnen zu schreiten.

Für Konservative in den USA ist Michelle Obama – ebenso wie ihr Ehemann Barack – wegen ihrer »progressiven« Einstellungen zu Themen wie Einwanderung und Abtreibung dagegen ein rotes Tuch.

Sollte das Gespann Biden-Obama tatsächlich an den Start gehen und obsiegen, dann würde der Obama-Clan nach vier Jahren Abstinenz in Person von Michelle Obama erneut ins Weiße Haus einziehen. Mehr noch: Als Vizepräsidentin hätte Obama gute Chancen, selbst zur mächtigsten Frau der Welt aufzusteigen. Denn Joe Biden ist angeschlagen, sowohl politisch als auch gesundheitlich. Der demokratische Präsidentschaftskandidat in spe sieht sich mit mehreren Vorwürfen konfrontiert, Frauen gegenüber unangemessen aufgetreten zu sein, eine in den USA durchaus schwerwiegende Anschuldigung. Ende März wurde er von einer ehemaligen Mitarbeiterin sogar bezichtigt, sie in den neunziger Jahren sexuell genötigt zu haben.

Ein weiterer Belastungsfaktor für Joe Biden ist dessen Sohn Hunter. Der gehörte zwischen 2014 und 2019 dem Verwaltungsrat der Burisma Holdings mit Sitz in Zypern an, dem größten privaten Gasproduzenten in der Ukraine. Hunter Biden soll im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit hohe Einkünfte erzielt haben, wobei fraglich ist, ob er dafür irgendeine Gegenleistung erbracht hat und wenn ja, ob diese legal war. 2015 nahm die ukrainische Justiz Korruptionsermittlungen gegen Burisma auf, die aber im Sande verliefen. Anfang 2018 rühmte sich Joe Biden damit, als US-Vizepräsident und Ukraine-Beauftragter der Obama-Administration die Entlassung des zuständigen Generalstaatsanwalts Viktor Schokin erzwungen zu haben.

Er habe dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ultimativ angedroht, seinem Land Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde Euro zu verweigern, sollte Schokin nicht in die Wüste geschickt werden, was dann auch geschah. Kritiker werfen Biden deshalb vor, er habe sein Amt missbraucht, um seinen Sohn zu schützen. Biden senior bestreitet das. Im Juli 2019 forderte US-Präsident Trump den neu gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem Telefonat dazu auf, eine Untersuchung gegen die Bidens einzuleiten, um dem Verdacht nachzugehen. Dieses Gespräch nahmen die Demokraten im US-Kongress zum Anlass, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in die Wege zu leiten, dem sie unterstellten, er habe finanziellen Druck auf Kiew ausgeübt, um seinen Willen durchzusetzen. Beweisen konnte man diesen Vorwurf jedoch nicht. Das Impeachment scheiterte schließlich im Februar dieses Jahres (mit diesen Ereignissen und den Hintergründen beschäftigt sich ausführlich das neue Buch Spygate von Helmut Roewer).

Die geschäftlichen Aktivitäten seines Sohnes Hunter könnten Joe Biden politisch auf die Füße fallen, gegebenenfalls auch erst nach seinem möglichen Einzug ins Weiße Haus. Selbst ein Rücktritt wäre dann nicht ausgeschlossen.

Aber auch gesundheitliche Gründe könnten Joe Biden dazu zwingen, sein Amt als Staatsoberhaupt nach einem Wahlsieg im November vorzeitig aufzugeben. Biden wäre bei seiner Vereidigung im Januar 2021 bereits 78 Jahre und damit der älteste Präsident in der Geschichte der USA. Ob der demokratische Politiker den auch körperlichen hohen Anforderungen des Amtes noch dazu nach einem anstrengenden Wahlkampf über die gesamte Legislaturperiode gewachsen sein wird, ist zweifelhaft. Hinzu kommt, dass Biden auch psychisch nicht den fittesten Eindruck macht und immer wieder durch Aussetzer und bizarre Versprecher für Furore sorgt. So verwechselte Biden Anfang März bei einer Rede in Los Angeles auf offener Bühne seine Ehefrau mit seiner Schwester. Bei anderer Gelegenheit stellte er sich dem Publikum als »Kandidat für den Senat« vor, obwohl er sich um das Präsidentenamt bewirbt. In TV-Interviews verliert Biden gerne mal den Argumentationsfaden und bricht seine Ausführungen mitten im Satz ab. Manche Beobachter sehen in diesen kognitiven Fehlleistungen erste Anzeichen einer Demenz.

Es spricht also einiges dafür, dass Joe Biden, sollte er denn im November tatsächlich als Sieger aus der Präsidentschaftswahl hervorgehen, nicht die volle Amtszeit absolvieren wird. Möglicherweise besteht er nicht einmal den Gesundheitscheck vor seiner Inauguration, der zwar nicht obligatorisch, aber üblich ist. Müsste Biden als Präsident – aus welchen Gründen auch immer – vorzeitig zurücktreten oder würde er versterben, träte der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin an seine Stelle. Und die könnte Michelle Obama heißen, mit Barack Obama, dem früheren US-Präsidenten, im Hintergrund. Die Ära Obama ginge dann mit vertauschten Rollen in die nächste Runde, und das für möglicherweise acht Jahre. Denn sollte Vize Michelle Obama ins Oval Office nachrücken, verlöre sie dadurch laut Verfassung nicht das Recht, 2024 selbst als Präsidentin zu kandidieren.

Doch noch sind wir von einer Neuauflage der Obama-Regentschaft im Weißen Haus weit entfernt, zumal Michelle Obama bislang wie gesagt keine politischen Ambitionen zu erkennen gegeben hat.

132089_Hersh_ReporterDoch auch wenn Obama nicht zur Verfügung stehen sollte, wird der Running Mate von Biden wohl eine Frau sein. Das hat der demokratische Präsidentschaftsbewerber bereits wiederholt deutlich gemacht. Einige Interessentinnen haben sich bereits aus der Deckung gewagt und für den Posten empfohlen. Elizabeth Warren aus Massachusetts etwa, die bis zum 5. März selbst dem Feld der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten angehörte, sagte vor einigen Tagen in einem Interview mit dem Nachrichtensender MSNBC, dass sie der möglichen Bitte Bidens, Vizepräsidentin zu werden, entsprechen würde. Kamala Harris, Senatorin aus Kalifornien, ließ verlauten, sie würde sich »geehrt« fühlen, sollte sie Biden als Kandidatin für das Amt in Erwägung ziehen.

Ähnlich äußerte sich Stacey Abrams, eine frühere Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, die 2018 in Georgia als erste Afroamerikanerin in den USA für eine Gouverneurswahl nominiert wurde, jedoch dem republikanischen Amtsinhaber unterlag. Eine weitere Aspirantin für die Vizepräsidentschaft ist Gretchen Whitmer, seit Januar 2019 Gouverneurin von Michigan, die – ebenso wie Michelle Obama – von Biden selbst ins Spiel gebracht worden ist.

Bevor die erste Frau Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten werden kann, muss Joe Biden erst einmal Amtsinhaber Donald Trump schlagen. Und das dürfte alles andere als einfach sein, trotz der wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Corona-Epidemie, die Amerikas überwiegend linke Mainstream-Medien dem Präsidenten anzulasten versuchen. Denn Trump ist ein hervorragender Wahlkämpfer, der es wie kaum ein anderer Politiker in den USA versteht, seine Anhängerschaft zu mobilisieren und zu begeistern. Zudem ist Trump ein Medienprofi, der schon vor seiner Präsidentschaft mit der Reality-Show The Apprentice einen großen Fernseherfolg feierte und bekannt dafür ist, Kontrahenten in TV-Talkrunden mit seiner Schlagfertigkeit auszukontern. Ganz anders Biden, den Trump als »Sleepy Joe« (schläfriger Joe) verspottet und der alles andere als ein mitreißender Redner ist. Biden hat sich übrigens schon zweimal als Präsidentschaftskandidat der Demokraten beworben – 1988 und 2008 –, ist aber beide Male bereits in den Vorwahlen kläglich gescheitert. Ob er diesmal erfolgreich sein wird?

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Freitag, 24.04.2020