F. William Engdahl

Libanon – Schlachtfeld im Energiekrieg?

Im Nahen Osten entsteht ein neuer geopolitischer Krisenherd. Beteiligt an der Konfrontation sind nicht nur Israel und Syrien beziehungsweise Israel und der Iran. Wie bei den meisten Konflikten in der Region geht es auch hier darum, die Kontrolle über fossile Brennstoffe zu erlangen, wir sprechen also von Erdöl und Erdgas.

Im Mittelpunkt steht ein Disput zwischen Israel und dem Libanon über den exakten Verlauf der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) zwischen den beiden Nationen. Zu den wichtigsten Akteuren neben den Regierungen der beiden Staaten zählen Russland, die libanesische Hisbollah, Syrien, der Iran und die USA. Sie alle ziehen hinter den Kulissen die Fäden.

Dass Israel unlängst nach eigenen Angaben iranische Stützpunkte und Lager der Hisbollah in Syrien bombardiert hat, hängt eng damit zusammen, dass Israel verhindern will, dass der Iran über Syrien eine direkte Landverbindung zu den Stützpunkten der Hisbollah im Libanon aufbaut. Die ganze Situation hat das Potenzial, sich zu einem hässlichen und größeren Krieg auszuwachsen, den sich niemand wünscht. Nun ja, fast niemand.

Im Jahr 2010 verschoben sich die geopolitischen Gewichte in der Energielandschaft des Mittelmeers nachhaltig. Damals entdeckte das texanische Ölunternehmen Noble Energy vor der Küste Israels ein gewaltiges Erdgasvorkommen, das sogenannte Leviathan-Feld. Dieser Fund im östlichen Mittelmeer zählt zu den weltweit größten der letzten Jahre. Dasselbe Unternehmen bestätigte später den Fund beträchtlicher Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns in der Nähe von Leviathan. Das neue Feld erhielt den Namen »Aphrodite«. Weil sich die Politik in eine Ecke manövriert hatte und im Nachbarland Syrien ein Krieg tobt, hatte es Beirut bis vor Kurzem nicht geschafft, sich aktiv um die eigenen Erdgas- und Erdölreserven vor der Küste zu kümmern, doch das ändert sich mittlerweile. Infolgedessen eskalierten die Spannungen zwischen Israel und dem Libanon – und Russland agiert im Libanon sehr kühn.

Am 9. Februar unterzeichneten in Beirut Libanons Präsident Michel Aoun sowie die Konzernchefs von Total, ENI und Novatek die ersten Vereinbarungen, in jenem Bereich vor der libanesischen Küste Öl und Gas zu fördern, den das Land als Außerordentliche Wirtschaftszone beansprucht.

Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman kritisierte die Veranstaltung scharf und bezeichnete das Vorgehen des Libanon, Verträge für Probebohrungen zu vergeben, als »ausgesprochen provokativ«. Der Libanon habe von internationalen Rohstoffunternehmen Angebote für die Erschließung eines Gasfeldes eingeholt, das »nach allem, was man so hört, unser Feld ist«, so der Minister.

Während der Libanon sich Angebote für die Erschließung von Rohstofffeldern machen lässt, nähern sich Russland und der Libanon auf militärischem Gebiet an. Diese dramatische Wendung führt zu einer völlig neuen politischen Situation in der brisanten Mittelmeerregion.

Reichtümer des Levante-Beckens locken

Eines ist nach acht Jahren Probebohrungen vor der Küste des östlichen Mittelmeerrandes klar: Die Region schwimmt in fossilen Brennstoffen. Und das, obwohl weder Israel noch der Libanon bislang größere Öl- oder Gasvorkommen entdeckt hatten. Für den Libanon wäre es ein echtes Gottesgeschenk, über eigene Erdgasbestände zu verfügen. Seit dem Bürgerkrieg von 1975 leidet das Land unter ständigen Stromausfällen, Tag für Tag kommt es zu Einschränkungen, weil die Nachfrage in Spitzenzeiten die Elektrizitätsproduktion bei Weitem übersteigt. Mangels eigener Öl- oder Gasbestände muss das Land für teures Geld Diesel importieren. Das kostet die Wirtschaft des Libanon rund 2,5 Milliarden Dollar jährlich.

Der Libanon gehört zu den Ländern weltweit mit der höchsten Staatsschuldenquote, das Verhältnis Schulden zu Bruttoinlandsprodukt beläuft sich auf 145 Prozent. Der Krieg in Syrien und die innenpolitische Pattsituation im Libanon haben – bislang – dafür gesorgt, dass vor der Küste nicht nach Energiereserven gesucht wurde.

Das britische Unternehmen Spectrum hat vor der libanesischen Küste im Levante-Becken aufwendige geophysikalische Untersuchungen durchgeführt und schätzt nun, dass in den Gewässern knapp 710 Milliarden Kubikmeter förderbares Erdgas liegen. Eine Erschließung dieses Vorkommens würde die gesamte wirtschaftliche Situation des Libanon auf den Kopf stellen.

So vielversprechend sind die Aussichten, dass ein internationales Konsortium unter Führung der Branchengrößen Total (Frankreich), ENI (Italien) und Novatek (Russland) gemeinsam für die Förderrechte geboten hat. Novatek ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das Wladimir Putin nahesteht.

Total hat angekündigt, dass kommendes Jahr in Block 4, einem Abschnitt, dessen territoriale Zugehörigkeit nicht zur Debatte steht, die erste Quelle erschlossen werden soll. Ein zweites Bohrloch soll in Block 9 entstehen. Dieser fällt zum Teil in einen Bereich, auf den Israel Anspruch erhebt – allerdings hat Total deutlich gemacht, dass die Bohrarbeiten über 15 Meilen entfernt von der umstrittenen Region erfolgen werden. Und dennoch protestiert Israel vehement gegen die Bohrungen. Der Libanon streitet mit Israel über den genauen Verlauf der Seegrenzen. Zankapfel ist ein dreieckiges Stück Meer von etwa 850 Quadratkilometern Größe. Der Rand von drei der zehn Blöcke des libanesischen Ölfeldes liegt hier.

Puffer zwischen Hisbollah und Israel?

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Energieressourcen der Region Auslöser eines Konflikts werden, ist hoch. Insofern ist es kein Zufall, dass der Libanon die Beteiligung eines großen russischen Erdölunternehmens (Novatek) bei der Erschließung der Offshore-Reserven verkündet und die russische Regierung zeitgleich ihr Verteidigungsministerium angewiesen hat, einen Vertrag für eine militärische Zusammenarbeit mit dem Libanon aufzusetzen. Enthalten soll das Abkommen ein »umfassendes Grundgerüst für die Abstimmung« mit dem libanesischen Militär. Angeblich geht es um gemeinsame Truppenübungen und die Nutzung libanesischer Häfen und Flughäfen.

Berichten zufolge gehört zur russischlibanesischen Zusammenarbeit auch »der Austausch von Informationen zu Verteidigungsmaßnahmen und die Verbesserung der Möglichkeiten zur Gewährleistung internationaler Sicherheit; die Aktivierung einer Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung; eine verbesserte Abstimmung in den Bereichen Kaderausbildung, Manöver und Aufbau von Streitkräften; der Austausch von IT-Expertise; die Einführung von Mechanismen für die Zusammenarbeit der Streitkräfte der beiden Länder«. Kurzum: Es handelt sich hier um eine große Sache.

Russland verfügt mittlerweile über zwei dauerhafte Stützpunkte in Syrien: den Luftwaffenstützpunkt Hmeimim und die Marinebasis Tartus an der Mittelmeerküste. Dass jetzt noch eine enge Zusammenarbeit mit dem Libanon dazukommt, stellt einen wichtigen Schritt in den Bestrebungen Russlands dar, sich in dieser explosiven Region eine dauerhafte Rolle als friedenschaffende oder vermittelnde Kraft aufzubauen, während gleichzeitig die Glaubwürdigkeit Washingtons angesichts zahlreicher gebrochener Versprechen immer weiter schwindet.

Ein Abkommen zwischen Russland und dem Libanon stand bestimmt nicht auf dem Wunschzettel von Benjamin Netanjahu.

Die dramatischen Luftangriffe, die Israel seit dem 10. Februar im syrischen Luftraum fliegt, zeigen, dass Israel daran gelegen ist, die Versorgungslinien zu stören, die sich in den vergangenen Monaten entwickelten und sich vom Iran über Syrien bis in den Libanon erstrecken. Sie dienen dazu, die Hisbollah zu beliefern.

Israel warnt Putin vor der Hisbollah

Sollte es zwischen Israel auf der einen und Libanon sowie Syrien auf der anderen Seite erneut zu einem heißen Krieg kommen, ginge es nicht einfach darum, die Kontrolle über mögliche Öl- oder Gasreserven vor der libanesischen Küste zu erlangen. Das wahre Ziel wäre die libanesische Hisbollah, die schiitische Partei und Miliz, die dank massiver Unterstützung aus dem Iran eine wichtige Rolle im syrischen Krieg spielt, wo sie an der Seite von Baschir al-Assad und Russland kämpft. Gelingt es dem Libanon, das Gas vor seiner Küste erfolgreich zu erschließen, könnte das sehr dazu beitragen, die libanesische Volkswirtschaft zu stabilisieren, die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren und – wie Netanjahu es sieht – die Rolle der pro-iranischen Hisbollah als mächtigen stabilisierenden Faktor zu zementieren.

Noch weit vor den jüngsten israelischen Luftangriffen auf syrische Ziele griff die israelische Presse bereits zu provokanten Schlagzeilen. So titelte die englischsprachige Jerusalem Post: »Fünf Gründe, warum Israel für einen Krieg mit der Hisbollah im Libanon bereit ist«. Im September 2017 starteten die israelischen Streitkräfte ein Kriegsspiel, bei dem es um eine Auseinandersetzung mit der Hisbollah ging. Die Einheiten probten den Wechsel von defensiven zu offensiven Stellungen und führten Manöver durch, die auf die Landschaft im Süden Libanons zugeschnitten waren.

Die Gefahr, dass Israel bei einer Auseinandersetzung mit der libanesischen Hisbollah einen Zweifrontenkrieg führen müsste, sank im November. Da bestellte der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman den libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri abrupt nach Riad ein und ließ ihn dort ein vorbereitetes Rücktrittsschreiben verlesen. In der Erklärung hieß es, wenn die Hisbollah nicht aufhöre, Saudi-Arabiens Feinde im Jemen zu unterstützen und auf Seiten Assads in Syrien zu kämpfen, würden die Saudis den Libanon mit massiven Wirtschaftssanktionen belegen, ganz so, wie sie es bei Katar getan haben.

Für den Libanon wäre das verheerend, denn die Volkswirtschaft des Landes ist spürbar angeschlagen und hängt stark von den Überweisungen der im Ausland arbeitenden Libanesen ab. Allein in der Golfregion arbeiten rund 400 000 Libanesen und schicken jährlich bis zu 8 Milliarden Dollar in die Heimat.

Spätestens seitdem der saudische Kronprinz im vergangenen September in geheimer Mission in Tel Aviv war, paktiert Israels Premier offen mit dem saudischen Prinzen, hinter den Kulissen stehen dabei die USA. Ziel ist es, den Einfluss des Iran und des Irak in Syrien, im Libanon und im Jemen zurückzudrängen. Die Regierung Trump fährt einen zusehends feindseligeren Kurs gegenüber dem Iran und hat Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt – ein ausgesprochen provokanter Schritt.

Sollte Israel seine territorialen Ansprüche vor der Küste des Libanon als Vorwand für einen dritten Libanon-Krieg nutzen, dann könnte sich die Angelegenheit rasch zu einem Flächenbrand ausweiten, der große Teile des Nahen Ostens erfassen würde. Indem Russland seine beträchtliche Militärpräsenz und seine energiepolitischen Interessen im Libanon einbringt, könnte das Land derzeit die letzte verbliebene Hürde sein, die weitere gewalttätige Auseinandersetzungen im Nahen Osten verhindert.

Israel hat seine Angriffe auf Damaskus in den letzten Wochen massiv erhöht, Syrien wiederum gelang es erstmals seit 1982, ein israelisches Kampfflugzeug vom Typ F-16 abzuschießen. Israels unverhältnismäßig starke Vergeltungsschläge gegen syrische Ziele belegen, wie explosiv die Stimmung in der gesamten Region ist. »Die aktuelle Eskalation zwischen Syrien und Israel ist nicht der Auftakt für einen größeren Krieg«, schrieb kürzlich Ghassan Kadi vom Blog Saker. »Niemand möchte einen Krieg. Nicht jetzt, denn allen ist bewusst, welchen Schaden das über einen selbst bringen kann. Israel testet immer wieder, wie weit es gehen kann, wie es um die syrische Luftabwehr bestellt ist und wie entschlossen Russland ist, im Nahen Osten für ein echtes Machtgleichgewicht zu sorgen.«

Dass angeblich eine iranische Drohne in den israelischen Luftraum eindrang und dass Syrien eine israelische F-16 abgeschossen haben soll (was Damaskus dementiert), scheint Israel als Vorwand dafür zu nutzen, auszuprobieren, wie Russland und der Iran reagieren. Vor einem ausgewachsenen Krieg schrecken die Israelis bislang aber noch zurück.

Kann Russland einen derartigen Krieg verhindern? Das lässt sich aktuell nicht mit Gewissheit sagen. Dass Russland ein Militärabkommen mit dem Libanon vereinbart und gleichzeitig ein großes russisches Energieunternehmen Förderrechte vor der Küste des Libanon gewinnt, ist kein spontanes Zusammentreffen von Zufällen. Vielmehr handelt es sich um gut abgewogene Schachzüge in einer Region der Welt, in der die Situation so vertrackt ist wie kaum irgendwo sonst.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einem Abo, falls Ihnen dieser Beitrag gefallen hat.