F. William Engdahl

Lügner, Trickser, Schuldenknechte –
die Wahrheit der Griechenland-Krise

Ende Juni verkündeten die 19 Finanzminister der Eurozone mit großem Tamtam das Ende der Griechenland-Krise (Kopp Exklusiv berichtete darüber). Die Schuldenkrise, die acht Jahre lang die EU ins Wanken gebracht hatte und an der die gesamte Struktur der Europäischen Union zu zerbrechen drohte, sei nun vorüber, hieß es. Es war die bislang schwerste Krise, die der Staatenbund überstehen musste.

Doch es ist einmal mehr nur eine groß angelegte Täuschung. Die EU-Minister haben sich geweigert, dem griechischen Staat irgendwelche Schulden zu erlassen, stattdessen führten sie eine destruktive Kapitalisierung der bestehenden Schulden durch. Ähnliches hat Washington in den 1980er-Jahren Lateinamerika angetan. Wir könnten nun also mit Fug und Recht fragen: Was ist da überhaupt los?

Die neue Übereinkunft sieht vor, dass die Kredite zehn Jahre später zurückgezahlt werden. Nachdem das Thema Abschreibungen vom Tisch war, stimmten die Minister der Eurozone zu, die Fälligkeit bei weiten Teilen der Schuldtitel um zehn Jahre zu verlängern, wobei die Staatsverschuldung trotz aller Kürzungen und Reformen noch immer 340 Milliarden Euro beträgt, was über 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Um den Ausstieg »zu erleichtern«, hat die EU Griechenland noch einmal 15 Milliarden Euro geliehen. Internationaler Währungsfonds (IWF) und die EU-freundliche Regierung von Alexis Tsipras haben sich auf eine noch strengere Sparpolitik verständigt, was bis Jahresende noch mehr Steuern und noch mehr Rentenkürzungen bedeutet.

Schon jetzt, nach acht Jahren von IWF und EU erzwungener Sparpolitik, weist Griechenland die höchste offizielle Arbeitslosenquote aller EU-Staaten auf. Strenge, an die Zeiten Brünings erinnernde Sparauflagen Deutschlands und der EU haben dazu geführt, dass die griechische Wirtschaft seit Ausbruch der Krise um 25 Prozent geschrumpft ist. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 40 Prozent. Renten und Sozialprogramme wurden um stramme 70 Prozent gekürzt. Im Jahr 2015 einigte man sich auf ein 86 Milliarden Euro schweres »Rettungspaket«, damit hatte Athen seit 2010 insgesamt 273,7 Milliarden Euro erhalten. Und jetzt liegen die Schulden bei über 300 Milliarden.

Neuer Tag, neue Schulden

Auf Anordnung von EU, EZB, IWF – der völlig zurecht so benannten Troika – hat Griechenland gewerkschaftsfeindliche Gesetze verabschiedet, welche die Möglichkeiten von Tarifverhandlungen massiv beschneiden. Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen sind praktisch völlig untersagt, dafür wurden Massenentlassungen erleichtert. Parallel zum von außen verordneten Lohndumping hat Griechenland sein Tafelsilber veräußert. Im Rahmen eines umfassenden Privatisierungsprogramms wird von Stromversorgern bis hin zu Infrastruktur alles verscherbelt: Flughäfen, Häfen, Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Verkehrsmittel.

Werden die Erlöse in dringend benötigte Infrastruktur investiert? Tragen sie dazu bei, neue Arbeitsplätze zu schaffen und auf diese Weise die Steuerbasis zu vergrößern? Nicht doch. Das Geld dient dazu, frühere Darlehen bei der Europäischen Zentralbank und dem IWF abzulösen. Im Rahmen der Kreditbedingungen hat sich die griechische Regierung dazu verpflichtet, dauerhaft mehr einzunehmen, als auszugeben. Bis 2022 soll der primäre Haushaltsüberschuss auf 3,5 Prozent des BIP ansteigen, bis 2060 soll er zwei Prozent betragen. Griechenland und seine Wirtschaft sind bis in alle Ewigkeit verdammt, in der Knechtschaft der Schuldenfalle zu dienen. Nicht einmal Deutschland bekommt so etwas hin.

Im Oktober 2009 – auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise – betrugen die griechischen Staatsschulden 129 Prozent des BIP. Damals besiegte die mit Washington befreundete Pasok-Partei von Giorgos Papandreou die konservative Regierung von Kostas Karamanlis. Anschließend »enthüllte« Pasok die Existenz von verdeckten Schulden im Wert von rund 5,4 Milliarden Euro. Gleichzeitig ergriff die neue Regierung Maßnahmen, die sich später als illegal erwiesen und dazu dienten, das staatliche Haushaltsdefizit als größer darzustellen, als es tatsächlich war. Dahinter stand die Absicht, eine Krise auszulösen und eine Rettung der korrupten griechischen Banken und ihrer französischen, deutschen und niederländischen Gläubiger zu erzwingen.

Die Zeche für die Rettung der zahlungsunfähigen Großbanken sollte der Staat bezahlen, also letztlich der Steuerzahler.

Die EZB unter Führung des Franzosen Jean-Claude Trichet hätte griechische Staatsanleihen kaufen und sich den Spekulationsgeschäften entgegenstellen können, welche die Zinsen für griechische (in Euro denominierte) Staatsanleihen auf unbezahlbare 40 Prozent hochgetrieben hatten. Doch die EZB weigerte sich, etwas zur Beruhigung der Lage beizutragen. Man warf der griechischen Regierung die Schuld an der Krise vor, und die Troika aus EU, IWF und EZB übernahm die Steuerung der griechischen Wirtschaft.

In seiner ausführlichen Studie zur griechischen Krise schreibt Eric Toussaint vom »Komitee zur Streichung der illegitimen Schulden«. »Papandreou überdramatisierte die öffentlichen Schulden und das Defizit, um Anlass für eine externe Untersuchung zu liefern, die dann ausreichend Kapital bringen sollte, um sich mit der Situation der Banken befassen zu können. Die Regierung Papandreou fälschte die Statistiken zu Griechenlands Schulden – nicht, um sie zu reduzieren, wie es die vorherrschende Geschichtsschreibung behauptet, sondern in Wahrheit, um sie zu erhöhen. Papandreou wollte den ausländischen (vor allem französischen und deutschen) Banken massive Verluste ersparen und die Privataktionäre sowie die Spitzenmanager der griechischen Banken schützen.«

Die Lügen der Madame Lagarde

Um die unverantwortlichen griechischen und ausländischen Banken von aller Schuld zu befreien und sie zu entlasten, log die IWF-Chefin Christine Lagarde, ebenfalls eine Französin, vorsätzlich und erklärte, der griechische Staat räume seinen Bürgern, obwohl sie keine Steuern zahlten, die Vorzüge eines großzügigen sozialen Netzes ein. Was sie dabei nicht erwähnte: In Griechenland werden Arbeitnehmern und Pensionären bereits bei der Auszahlung die Steuern abgezogen. Ende 2009 machte die Regierung Papandreou publik, dass die Vorgängerregierung Währungsgeschäfte mit Goldman Sachs gemacht hatte, die es der Regierung erlaubten, das wahre Ausmaß der Staatsschulden zu kaschieren, als es um den Beitritt zur Eurozone 2002 ging. Nun war die Griechenland-Krise in vollem Gange.

Internationale Hedgefonds, ausländische Banker und die EZB erledigten den Rest. Schätzungen zufolge flossen mindestens 77 Prozent der Rettungsgelder direkt oder indirekt in den europäischen Finanzsektor, und zwar an Banken, die zu Beginn der Krise bereits 670 Milliarden Euro an direkter staatlicher Hilfe erhalten hatten. Einer Berechnung zufolge sind etwa 231 Milliarden Euro nicht zum Nutzen der griechischen Gesellschaft verwendet worden, sondern versandeten im internationalen Finanzsektor. Den gutgläubigen EU-Bürgern wurde weisgemacht, dass das Geld dazu diene, »die Griechenland-Krise beizulegen«. Eine Lüge. Das Geld diente dazu, internationale Banken zu retten.

Obwohl anschließend weitere 300 Milliarden Euro an »Hilfe« in die griechische Staatskrise gepumpt wurden, betragen die Schulden heute atemberaubende 180 Prozent des BIP, deutlich mehr als zu Beginn der Krise. Die einzigen Gewinner sind das deutsche Finanzministerium, das mit seinen Griechenland-Anleihen nahezu drei Milliarden Euro verdient hat, die großen Gläubigerbanken, vor allem in Frankreich, Deutschland und Belgien, und die Hedgefonds-Spekulanten.

Insgesamt 47 Milliarden Euro (Stand 2016) flossen von EU, IWF und EZB in einen griechischen Staatsfonds. Das Geld diente dazu, die vier größten Banken Griechenlands mit frischem Kapital zu versorgen. Das Argument dahinter: Um die Wirtschaft zu retten, müsse man die Privatbanken retten, anstatt sie zu verstaatlichen und auf Vordermann zu bringen. Und was geschah tatsächlich? Internationale Hedgefonds wie Paulson und andere ausländische Investoren konnten für gerade einmal 5,1 Milliarden Euro 74 Prozent der Anteile an diesen rekapitalisierten Banken übernehmen. Griechischen Investoren war es untersagt zu investieren.

Hilfspaket für klamme Banken

»Das war kein Bailout«, schreibt der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der heute zu den Kritikern der Regierung Tsipras zählt. »Griechenland wurde niemals gerettet. Auch nicht der Rest von Europas ›Schweinen‹ – den PIIGS, wie Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien kollektiv genannt wurden. Die Bailouts für Griechenland, dann Irland, dann Portugal und dann Spanien waren in allererster Linie Hilfspakete für französische und deutsche Banken.«

Am 9. Mai 2010 beschloss der IWF, Griechenland 30 Milliarden Euro zu leihen, das 32-Fache der Summe, die dem Land normalerweise zur Verfügung stand. Eric Toussaint vom »Komitee zur Streichung der illegitimen Schulden« wurde ein vertrauliches Dokument des IWF zum griechischen »Bailout« zugespielt. Er erklärte: »Die Unterlagen beweisen, dass diese Entscheidung in erster Linie darauf abzielte, französische und deutsche Banken aus Problemen herauszuhalten. Das sagten ganz ausdrücklich auch mehrere Exekutivdirektoren so.« Das Geld des Internationalen Währungsfonds sei dazu genutzt worden, die französischen, deutschen und niederländischen Banken auszuzahlen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung auf mehr als 70 Prozent der griechischen Schulden saßen.

Man kann in Griechenland die Löhne drücken, die staatlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit zusammenstreichen, wichtige öffentliche Dienstleistungen privatisieren und Renten kürzen, so viel man will – die griechische Wirtschaft wird man auf diese Weise niemals dynamisch machen. Aber das war ja auch nie die Absicht. Es zeichnet sich ab, worin das eigentliche Ziel besteht, das die gesichtslosen Mächte in Brüssel anstreben – Griechenland soll aufhören, als souveräner Nationalstaat zu existieren. Unter Reichskanzler Heinrich Brüning lernte Deutschland 1931, dass eine Sparpolitik die Zustände nur noch verschlimmert und zu steigender Arbeitslosigkeit, Armut und Schlimmerem führt. Der jüngste Akt in der Schuldentragödie (genauer: der Vergewaltigung Griechenlands) wird Griechenland keine Erlösung bringen. Es führt nur dazu, dass das System der Schuldknechtschaft etwas länger Bestand hat.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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