Peter Orzechowski
Mittelmeer: Der Streit um die riesigen Gasfelder
Wenn wir an den geopolitischen Kampf der Großmächte um die weltweiten Vorräte an Öl und Gas denken, haben wir meist den Nahen und Mittleren Osten, Zentralasien oder Afrika im Kopf. Tatsächlich spielt sich dieser Ressourcen-Krieg aber viel näher, gleichsam vor unserer Haustür ab: im Mittelmeer. Seit in den vergangenen Jahren große Gasvorkommen vor allem vor den Küsten Ägyptens, Israels, des Libanons und Zyperns gefunden wurden, wird die politisch-ökonomische Landschaft dort neu geordnet. Der unverhoffte Reichtum führt zu neuen Begehrlichkeiten und Streitigkeiten.
Schwerpunkt des Kampfes um neue Quellen und Vorkommen ist Zypern. Südlich der drittgrößten Insel des Mittelmeers stieß der US-Konzern Noble Energy im Jahr 2011 bei Probebohrungen in etwa 4500 Metern unter dem Meeresboden auf ein Erdgasfeld mit einem Umfang von, nach ersten Schätzungen, 255 Milliarden Kubikmetern. 1 Jahr zuvor hatten sich Israel und Zypern auf eine Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer geeinigt. Aber wem gehört dieses Gas? Und falls es Zypern gehört: Haben dann auch die türkischen Nordzyprioten einen Anspruch darauf?
Die zur EU gehörende Republik Zypern erhebt den völkerrechtlichen Anspruch, Entscheidungen für die gesamte Insel treffen zu können. Der Nordteil steht jedoch seit der türkischen Invasion 1974 unter Kontrolle der türkischen Republik und hat sich vom griechischen Südteil abgespalten. Wenn es um Nordzypern geht, spricht also Ankara. Und das mit Megaphon. Als Anfang 2013 die zypriotische Regierung den Öl-Firmen Eni (Italien) und Kogas (Südkorea) eine Konzession für Bohrungen etwa 50 bis 100 Kilometer südöstlich der Insel gab und gleichzeitig dem französischen Öl-Konzern Total das Bohren etwa 150 Kilometer südwestlich Zyperns erlaubte, tobte ein Proteststurm in Ankara.
Springen wir in die Gegenwart. Der türkische Energieminister Berak Albayrak machte den Standpunkt seiner Regierung auf einer Energie-Konferenz im Frühjahr 2018 in Istanbul unmissverständlich klar: »Die Türkei wird es nicht erlauben, dass die Rohstoffe einseitig ausgebeutet werden.« Die politischen Vertreter der türkischen Zyprer äußerten sich ähnlich. So sagte der Außenminister des türkischen Nordzypern, Kudret Özersay, die Republik Zypern dürfe nicht einseitig die Gasvorkommen ausbeuten: »Diese Ressourcen gehören uns genauso. Daher muss man, bevor man irgendetwas unternimmt, erst die Zustimmung der türkischen Gemeinschaft gewinnen und ihre Bedenken ernstnehmen.« Wenn die griechischen Zyprioten einseitige Schritte unternähmen, werde Nordzypern zusammen mit der Türkei Gegenmaßnahmen ergreifen.
Die Replik des Präsidenten
Der Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiades, ging als Antwort gleich in die zentrale Frage des zypriotischen Konflikts: Die Ausbeutung von Rohstoffvorkommen werde im Falle einer Wiedervereinigung Sache der Zentralregierung sein, schrieb er in einer Replik. Er fuhr fort: »Unser Ziel ist es, das hydrokarbone Potenzial Zyperns vollständig und so gut wie möglich auszubeuten, und zwar so, dass alle Einwohner von Zypern davon maximal profitieren.« Um das sicherzustellen, werde ein Fond nach dem Vorbild Norwegens eingerichtet, kündigte er außerdem an. Der norwegische Staatsfond verwaltet die Öleinkünfte des Landes bzw. reinvestiert sie mit dem Ziel, die Einnahmen auch künftigen Generationen zu erhalten. Zypern brachte den Konflikt auch beim Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs am 23. Februar 2018 in Brüssel auf die Tagesordnung. Im Namen aller Mitglieder drücke er seine Solidarität mit Zypern aus, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach dem Treffen. Zypern habe das »souveräne Recht«, seine Rohstoffvorkommen auszubeuten, sagte er weiter.
Die Krise weitet sich aus
Aber nicht nur die EU, auch Ägypten sieht sich von der Krise im östlichen Mittelmeer betroffen. Kairo argumentiert, dass die Türkei das Abkommen verletzt, das Ägypten und Zypern im Dezember 2013 über den Verlauf der Seegrenzen abgeschlossen haben. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte am 4. Februar 2018 in einem Interview mit der griechischen Zeitung Kathimerini das Abkommen für »null und nichtig« erklärt, weil es die türkischen Rechte auf seinen Festlandssockel verletze.
Diese Äußerungen alarmierten Kairo. Außenamtssprecher Ahmed Abu Zeid warnte davor, die Souveränität Ägyptens infrage zu stellen. Hintergrund der Missstimmung ist auch, dass der türkische Präsident Erdoğan den damaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern unterstützt hatte. Dieser wurde jedoch 2014 von Abdel Fattah al-Sisi gestürzt, der heute Staatsoberhaupt am Nil ist.
Öldorado im Mittelmeer
Die Türkei protestierte damals gegen Mursis Absetzung. Seither verschlechterten sich die Beziehungen. Ägypten suchte den Schulterschluss mit Zypern und Griechenland, der in 2016 auf einem Gipfel in Kairo besiegelt wurde. Während um angebliche oder tatsächliche Rechte gestritten wird, ist die Öl-Industrie längst aktiv geworden. Die italienische Ölgesellschaft Eni untersucht seit 2013 die sogenannten Gasfelder 2, 3, 6, 8, 9 und 11. Fünf werden bereits betrieben.
Anfang Februar 2018 teilte das Unternehmen mit, neue Gasfunde in Block 6 gemacht zu haben. Eni hält 50 Prozent an Block 6, die anderen 50 Prozent gehören dem französischen Unternehmen Total. Und auch vor der Küste des Libanon ist Eni aktiv. Ebenfalls Anfang Februar 2018 schloss das Unternehmen einen Vertrag mit dem libanesischen Staat. Zusammen mit Total (40 Prozent) und dem russischen Unternehmen Novatek (20 Prozent) erschließt Eni die Rohstoffvorkommen in Block 4 und 9.
In Ägypten wiederum ist Eni schon seit 1954 aktiv. Seinen größten Coup machte das Unternehmen im August 2015, als es in ägyptischen Hoheitsgewässern das Gasfeld Zohr entdeckte, das wohl größte Gasfeld im Mittelmeer. Aktuell hält Eni dort noch 60 Prozent, nachdem es 30 Prozent an das russische Unternehmen Rosneft verkauft hatte. Die restlichen 10 Prozent hält das britische Mineralölunternehmen BP. Wie sehr die Entdeckung von Erdgas im östlichen Mittelmeer die geopolitische Landschaft umgekrempelt hat, zeigt das Beispiel Israel, das quasi über Nacht von einem Energieimporteur zu einem möglichen Erdgasexporteur geworden ist. Die Vorkommen vor der Küste müssen allerdings erst noch erschlossen werden.
Einen ersten Schritt hat Israel gemacht: Das amerikanische Unternehmen Noble Energy, größter Anteilseigner an den israelischen Erdgasfeldern Leviathan und Tamar, hat einen Liefervertrag mit Ägypten abgeschlossen. Das Land soll 10 Jahre lang 1,15 Billionen Kubikfuß pro Gasfeld erhalten.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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