Michael Brückner
Politik ohne Umwege:
Vom Kreißsaal in den Plenarsaal
Vom Kreißsaal in den Plenarsaal
Was ist ein Helikopter-Politiker? Einer, der beim Start viel Staub aufwirbelt und danach abhebt. Diese Spezies wächst, weil immer mehr Mandatsträger oft schon in der Schule ihre politische Karriere minutiös planen und jede lästige Begegnung mit der Realität des beruflichen Alltags der Bürger tunlichst vermeiden: Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal (KHP).
Vielleicht wird eine wie Alice Weidel nicht zuletzt deshalb angegiftet, weil sie einen anderen Karriereweg aufweist als die KHPler, sprich: Weil sie gezeigt hat, dass sie auch außerhalb der Politik ihr Geld verdienen kann. Und ganz gleich, was man von Friedrich Merz halten mag, aber er wurde außerhalb der Politik sogar zum Millionär. Das geht »echt« gar nicht. Und deshalb wird er nie und nimmer Thronfolger von Kaiserin Angela. Das werden die KHPler schon zu verhindern wissen.
»Kompetenzzentrum« von Heiko Maas
Die KHPler sind in immer größerer Zahl in allen Parteien vertreten. Und manche bringen es in wirklich gutdotierte Positionen, derweil sie nur zu gern auf Stimmenfang bei den »kleinen Leuten« (auch so ein verräterischer Begriff) gehen und larmoyant die alte Leier von der Krankenschwester oder der Erzieherin anstimmen, die eigentlich viel mehr Geld verdienen müsste.
In Wirklichkeit sind die KHPler derart abhoben, dass sie gar keine Ahnung von der Arbeit von Krankenschwestern haben. Sie interessieren sich dafür nicht wirklich. Sie sind auf Stimmenfang und sagen eben das, was irgendwie ankommt bei den Leuten. Sie empfinden auch keinerlei Empathie mit Kleinunternehmern oder Mittelständlern, die sie mit ihrer irrsinnigen Bürokratie triezen, und erst recht nicht mit all den unterbezahlten Arbeitskräften in diesem reichen Land. Warum auch, die KHPler sind bestens versorgt.
Hier einige Beispiele: Niels Annen machte an einer Hamburger Gesamtschule Abitur, studierte mehrere Semester (niemand weiß genau, wie viele) Geschichte und Geologie. Schließlich schmiss er das Studium, weil er Juso-Chef wurde und obendrein das Latinum nicht schaffte. Wie durch ein Wunder schloss der mittlerweile prominente Linke dann Jahre später doch noch sein Studium ab – an der Berliner Humboldt-Universität. Danach gab es noch kurzfristig Stress mit den Steuerbehörden, doch dann ging es rapide aufwärts: Heute ist Niels Annen Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Von der Lokalredaktion ins Auswärtige Amt
Bleiben wir noch einen Moment im Kompetenzzentrum von Heiko Maas. Michelle Müntefering, die junge Frau des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering, ist ebenfalls Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Ihre »Berufserfahrung« beschränkt sich weitgehend auf ein Praktikum in einer Lokalredaktion. Mit 28 Jahren wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag und absolvierte gleichzeitig ein Volontariat bei der SPD-Zeitung Vorwärts. Im März 2018 wurde sie als Staatsministerin ohne jedwede Erfahrung altgedienten Beamten und Diplomaten vor die Nase gesetzt. Wäre die Jamaika-Koalition auf Bundesebene nicht gleichsam in letzter Minute gescheitert, säße heute vielleicht auch Annalena Charlotte Alma Baerbock am Kabinettstisch von Kaiserin Angela.
Ihr Bezug zur realen Arbeitswelt ist ebenfalls sehr überschaubar. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst bei einer Europaabgeordneten und stieg dann zur Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen auf. Seit knapp einem Jahr ist Annalena Charlotte Alma Baerbock neben Robert Habeck Bundesvorsitzende der Grünen. Ihre Promotion ruht seit 2013 erst einmal. Eine atemberaubende Karriere legte auch ihre Parteifreundin Katharina Schulze hin – ohne große Umwege von der Schulsprecherin zur Oppositionsführerin im Bayerischen Landtag. Dazwischen gönnte sich Schulze natürlich ein Studium und ein Praktikum. Doch danach ging’s flugs in die Politik. Hätte Söder mit den Grünen koaliert, wäre die eloquente Dame vermutlich schon Ministerin im Freistaat.
Manuel Sarrazin (ebenfalls von den Grünen und nicht verwandt mit Thilo Sarrazin) zog während seines Studiums zunächst in die Hamburger Bürgerschaft und später in den Bundestag ein. Zwar schloss er mittlerweile sein Studium ab, doch Bezug zur realen Arbeitswelt? Fehlanzeige. Das derzeit wohl prominenteste Mitglied im KHP-Club ist ohne Frage SPD-Parteichefin Andrea Maria Nahles. Sie studierte in Bonn 20 Semester neuere und ältere Germanistik und Politikwissenschaften. Im Jahr 1998 wurde sie erstmals in den Bundestag gewählt. Die weiteren Karrierestationen: Juso-Bundesvorsitzende, SPD-Generalsekretärin, Ministerin, jetzt Partei- und Fraktionschefin. Bezug zur realen Arbeitswelt: keiner! Es ist sehr wahrscheinlich, dass schon bald eine KHP-Dame an der Spitze der anderen Gro-Ko-Partei stehen wird: Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie übernahm nach dem Studium sogleich eine Aufgabe in der Landes-CDU und stieg zur persönlichen Referentin von Peter Müller, dem späteren Ministerpräsidenten des Saarlandes, auf.
Gehalt auch ohne zufriedene Kunden
Gegenkandidat Jens Span studierte, während er bereits dem Deutschen Bundestag angehörte. Danach ging es rasend schnell: erst Gesundheitsexperte der Fraktion, dann Staatssekretär unter Finanzminister Schäuble und seit Anfang 2018 Gesundheitsminister. Wer sich erdreistet, die zunehmende Zahl von KHPlern in den etablierten Parteien zu kritisieren, bekommt sehr oft zu hören, dass einem Parlament, das die Bevölkerung abbilden soll, natürlich auch junge, teilweise sehr junge Abgeordnete angehören müssten. Das ist zwar richtig, trifft aber nicht den Punkt. Denn es geht nicht um das Alter der Politkarrieristen, sondern um den beklagenswerten Umstand, dass sie zu einem Großteil niemals unter Marktbedingungen haben bestehen müssen. Ihr Geld erhalten sie nicht von zufriedenen Kunden, denen sie gute Produkte und überzeugende Dienstleistungen verkaufen, sondern von den Steuerzahlern, die zwangsweise und unter Androhung empfindlicher Strafen zur Kasse gebeten werden.
»Die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten hat die produktive Seite der Welt niemals kennengelernt. Sie haben nämlich niemals außerhalb geschützter Werkstätten mit ehrlicher Arbeit ihr Geld verdient«, schreibt Andreas Tögel in seinem Buch Schluss mit Demokratie und Pöbelherrschaft goldrichtig. Wem diese Erfahrung fehlt, der tut sich logischerweise schwer damit, die besonderen Nöte und Anliegen der Menschen auf der produktiven Seite nachzuvollziehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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