Michael Brückner

Politposse in Rom:
Zählen Ratings mehr als Stimmen?

Das Kartell aus Finanzkonzernen, EU-Bürokraten und Mainstream-Medien jubiliert: In Italien wurde ein streitbarer Euro-Kritiker im Amt des Finanzministers verhindert und eine Regierungsbildung durch die sogenannten »Populisten« tagelang blockiert. Dabei ist das gar kein Grund zum Jubeln. Denn es zeigt einmal mehr, wer in der EU das Sagen hat.

Letztlich ist es unerheblich, ob man nun Sympathien für das zunächst geplante und im ersten Anlauf am Veto des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella gescheiterte Regierungsbündnis aus Lega und »5 Sternen« hegt oder nicht: Was sich Ende Mai in Rom zugetragen hat, ist skandalös. Es ist skandalös, weil es eigentlich allen Europäern einmal mehr drastisch vor Augen führt, was ihre Demokratie wert ist, wenn sie bei freien Wahlen ein Abstimmungsergebnis herbeiführen, das dem Kartell aus Finanzkonzernen, abgewirtschafteten Altparteien und der Brüsseler EU-Mafia nicht ins Konzept passt. Und es ist skandalös, weil es nicht das erste Mal ist, dass sich ausländische oder demokratisch nicht legitimierte Kräfte in eine Regierungsbildung einmischen oder aber Länder für das »unbotmäßige« Wahlverhalten ihrer Bürger bestrafen. Insofern war die Empörung über EU-Kommissar Günther Oettinger – sicher nicht die hellste Leuchte im Brüsseler EU-Zirkus – ausgesprochen scheinheilig. Mit seiner »Wahlempfehlung« an die Adresse der Italiener sprach er nur das aus, was seine Kollegen in Brüssel und in den EU-Hauptstädten denken.

Berlusconi lieferte Präzedenzfall

Tatsächlich gleicht es einem Stück aus dem Tollhaus: Da hatte sich in Italien eine Koalition zusammengerauft, die im Parlament über eine Mehrheit verfügt. Der Staatspräsident versagte aber die Zustimmung und nominierte mit Carlo Cottarelli zunächst einen Ministerpräsidenten ohne Mehrheit. Drei Tage später hieß es, nun sei auch eine Koalition der sogenannten »Populisten« wieder möglich, sofern die Kabinettsliste vom Präsidenten und – mit großer Wahrscheinlichkeit – auch vom Polit-Establishment in Brüssel, Paris und Berlin goutiert werde. Und schon stand wieder alles auf Anfang. Angeblich wollte der Präsident mit seinen missglückten Winkelzügen »die Märkte beruhigen«. Wenn das zutrifft, dann entscheiden ab sofort nicht mehr Wählerstimmen über die Zusammensetzung einer Regierung, sondern die berühmt-berüchtigten Ratingagenturen und die Risikoaufschläge auf die jeweiligen Staatsanleihen.

Als sich in Italien die Bildung einer Regierung von Lega und »5 Sternen« abzeichnete, stiegen die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen auf den höchsten Wert seit dreieinhalb Jahren. Und Moody’s drohte damit, die Kreditwürdigkeit dieser Papiere auf »Ramschniveau« herabzusetzen. Vor diesem Hintergrund wurde Staatspräsident Matarella offenkundig so massiv unter Druck gesetzt, dass er eine Entscheidung traf, die auch staatsrechtlich zumindest als grenzwertig bezeichnet werden darf.

Allerdings gibt es auch einen Präzedenzfall: Als die Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschefs – allen voran Angela Merkel und der damalige französische Präsident Sarkozy – Silvio Berlusconi loswerden wollte, stiegen die Risikoaufschläge für italienische Staatspapiere ebenfalls drastisch an, ohne dass in der EZB irgendjemand einen Finger gekrümmt hätte. Kam es in anderen Euro-Krisenländern zu einer ähnlich kritischen Situation, erkannte die EZB hingegen sofort Handlungsbedarf. Doch damals ging es nicht um Zinsen – es ging um den ungeliebten Berlusconi.

»Sanktionen« gegen Österreich

Dass sich das EU/Euro-Kartell einen Teufel um demokratische Wahlergebnisse schert, erlebten wir bereits im Jahr 2000 in Österreich. Damals hatten ÖVP und FPÖ eine Regierungskoalition mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gebildet. Weil Jörg Haider, der nicht der neuen Regierung angehörte, weiterhin als starker Mann der FPÖ galt, verhängten die damaligen EU-Mitglieder »Sanktionen« gegen Österreich. So wurden die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und den anderen EU-Staaten auf ein Mindestmaß heruntergefahren.

Nur weil sich diese »Sanktionen« im Rückblick als Fehlschlag erwiesen haben und sich die seit Ende vergangenen Jahres amtierende neue ÖVP/FPÖ-Regierung sofort pflichtschuldigst zu der EU und zum Euro bekannte, wird das Kabinett unter Bundeskanzler Sebastian Kurz mit deutlichem Zähneknirschen hingenommen – wenngleich nicht ohne Einschränkungen. Ende vergangenen Jahres, das neue Kabinett in Wien war kaum im Amt, twitterte der Sozialist und EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, man werde »ein sehr wachsames Auge auf Österreich haben«. Mit anderen Worten: Eine von den Österreichern mit großer Mehrheit gewählte Regierung steht unter der Aufsicht von nichtgewählten Brüsseler EU-Bonzen. Was für ein Demokratie-Verständnis!

Strafen für Ungarn und Polen?

Beispiel Ungarn: Mitte April legte die Europa-Abgeordnete Judith Sargentini von den Grünen einen Bericht vor, in dem apodiktisch behauptet wird, in Ungarn seien Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr. Sargentini forderte daher die Einleitung eines Sanktionsverfahrens gegen Budapest. Im neuen EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 (Umfang: rund 1,3 Billionen Euro) ist darüber hinaus ein sogenannter Rechtsstaatsmechanismus vorgesehen. Er erlaubt es der Kommission, Gelder zurückzubehalten, wenn in einem Land angeblich die Rechtsstaatlichkeit gefährdet ist. Das heißt, Brüssel will Steuergeld der EU-Bürger zurückhalten, um dadurch mittelbar andere EU-Bürger zu bestrafen, die nicht systemkonform abstimmen und damit einer Regierung an die Macht verhelfen, die Brüssel nicht genehm ist (wie in Ungarn und Polen).

Wie Macro unsere Mutti rettete

Bisweilen vollzieht sich die Einmischung in die Regierungsbildung in einem anderen EU-Staat auch geräuschlos auf höchster Ebene. Nach den Bundestagswahlen telefonierte der französische Präsident Macron mehrmals wöchentlich mit Kanzlerin Merkel und der SPD-Spitze. Anfang Dezember empfing Macron den damaligen Außenminister Gabriel im Élisée-Palast zum Frühstück, um die SPD endlich »weichzuklopfen«, einer Neuauflage der gerade abgewählten großen Koalition zuzustimmen. Nichts hatte Macron mehr gefürchtet, als eine Jamaica-Koalition mit den eher EU-skeptischen Liberalen. Macron sei so etwas wie der »heimliche Partner« in Merkels Koalition, schrieb Le Figaro. Macron kennt die Spielchen: Auch er ist nur im Amt, weil die Altparteien eine Allianz schmiedeten, um einen Sieg von Marine Le Pen zu verhindern.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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