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»Regierungen nutzen Pandemie, um eine Architektur der Unterdrückung zu errichten«

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Im Kampf gegen das neuartige Coronavirus setzen einige Regierungen, beispielsweise in China, Taiwan und Südkorea, nicht nur auf Quarantänen und Lockdowns, sondern auch auf eine »Contact Tracing« genannte Überwachungsstrategie. Der US-amerikanische Whistleblower und ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden befürchtet, dass viele Staaten ihre neuen Befugnisse nach dem Ende der Pandemie nicht wieder aufgeben werden.

Im Detail unterscheiden sich die Programme der einzelnen Länder, aber bei allen handelt es sich letztlich um Handy-Apps, die fortwährend den Gesundheitszustand der Nutzer ebenso erfassen wie Gesundheitsdaten sämtlicher Personen, mit denen die Nutzer in Kontakt kommen.

Kommt ein Handy in engen Kontakt mit jemandem, der möglicherweise das Virus in sich trägt, erhält der Nutzer eine Benachrichtigung und die App weist ihn an, sich die nächsten zwei Wochen in Quarantäne zu begeben. Allerdings ist diese Quarantäne nicht notwendigerweise freiwilliger Natur, das hängt davon ab, wo man lebt. In einigen Ländern wurden die Handys als eine Art »Fußfessel für den Hausarrest« genutzt. Sollte die überwachte Person – aus welchem Grund auch immer – das Haus verlassen, werden die Behörden informiert.

Sowohl in Italien wie auch in Großbritannien werden diese Apps als bester Weg aus der Kontaktsperre propagiert und es scheint, dass die Behörden diesen Weg wählen werden.

Auf den ersten Blick mag dieser Ansatz wie eine nützliche Strategie im Kampf gegen ein weiteres Umsichgreifen der Krankheit wirken, aber Datenschützer und Technologieexperten geben sich besorgt. Sie fürchten, mit den Daten könne Missbrauch getrieben werden, außerdem geben sie zu bedenken, dass korrupte Regierungen eventuell auch lange nach dem Ende der Pandemie nicht auf diese beispiellosen Möglichkeiten, ihre Bevölkerungen überwachen zu können, verzichten wollen.

Edward Snowden äußerte kürzlich in einem Interview mit Vice Bedenken an den Überwachungsprogrammen. Er sprach von einer »Architektur der Unterdrückung«.

»Glauben Sie wirklich, dass man diese Fähigkeiten nicht beibehalten wird, selbst wenn die erste Welle, die zweite Welle und die 16. Welle des Coronavirus längst Geschichte sind? Dass die Daten nicht gespeichert werden? Egal, wie sie verwendet werden, man betreibt hier den Aufbau einer Architektur der Unterdrückung«,

so Snowden.

Das Virus sei eine ernste Bedrohung, räumte Snowden ein. Schon damals, als er noch beim amerikanischen Geheimdienst arbeitete, hätten die Dienste gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis eine gewaltige Pandemie das Land lahmlege.

»In einer Welt, in der wir dicht an dicht in überfüllten und verschmutzten Städten aufeinander hocken, ist als Krise der öffentlichen Gesundheit nichts vorhersehbarer als eine Pandemie. Jeder Akademiker und jeder Wissenschaftler, der sich die Situation angesehen hat, wusste, dass uns das bevorstand. Das gilt auch für die Geheimdienste, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Sie hatten die Berichte gelesen und bereiteten sich auf Pandemien vor«, sagte er.

Snowden äußerte Zweifel an den positiven Zahlen, die China seit einigen Wochen meldet. Er verwies darauf, dass die chinesische Regierung dafür gelobt worden sei, wie gut sie die Ausbreitung der Krankheit eindämmen konnte – etwas, was ihr nur gelungen sei, weil sie einen drakonischen Lockdown anordnete.

Möglicherweise funktioniere Chinas extreme Strategie nicht so gut, wie es die Regierung behauptet, so Snowden, aber mit Gewissheit lasse sich das nicht sagen, weil die Regierung alle Informationen, die das Land verlassen, strengstens kontrolliere.

»Sieht man sich Länder wie China an, wo sich die Fallzahlen zu stabilisieren scheinen, stellt sich die Frage, wie sehr man diesen Zahlen vertrauen kann. Ich glaube nicht, dass wir das können«, sagte Snowden. »Wie wir sehen, hat die chinesische Regierung kürzlich daran gearbeitet, westliche Journalisten aus dem Land zu werfen – genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir glaubwürdige, unabhängige Warnungen aus dieser Region benötigen.«

Unterdessen haben Apple und Google kürzlich eine ungewöhnliche Partnerschaft angekündigt. Die Unternehmen wollten untereinander kompatible Tracing-Apps entwickeln, die auf Opt-In-Basis funktionieren sollen, also nur auf ausdrückliche Zustimmung der Nutzer hin.

Die Nachrichtenagentur Bloomberg allerdings meldet, dass die Unternehmen beabsichtigen, Contact Tracing zum Teil künftiger Software-Aktualisierungen zu machen.

Beide Unternehmen beteuern, dass man die Möglichkeit haben werde, sich nicht an dem Programm zu beteiligen, aber es ist durchaus vorstellbar, dass beispielsweise der Zugang zu Supermärkten oder größeren Geschäften und Veranstaltungen davon abhängig gemacht wird, dass die Apps den Nutzer für unbedenklich erklären.

»Während sich der Autoritarismus ausbreitet, die Notstandsgesetze zunehmen und wir unsere Rechte opfern, opfern wir auch unsere Möglichkeiten, das Abrutschen in eine weniger liberale und weniger freie Welt aufzuhalten«,

mahnte Snowden.

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Samstag, 18.04.2020

Quelle: The Mind Unleashed