Torsten Groß

Steht die politische Landkarte Europas vor gravierenden Veränderungen?

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Schon seit Langem warnen linksliberale Auguren und EU-Befürworter alarmistisch vor einer Rückkehr des von ihnen so bezeichneten »Nationalismus« in Europa (konservative Zeitgenossen würden von  »Patriotismus« sprechen). Diese Stimmen sahen sich durch das Brexit-Votum vom Juni 2016 bestätigt, als eine Mehrheit der Briten den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union befürwortete. Viele Beobachter befürchteten damals, dass andere Mitgliedsstaaten dem Beispiel Großbritanniens folgen und der EU ebenfalls den Rücken kehren könnten. Diese Annahme hat sich zwar noch nicht bestätigt, könnte aber wegen der Corona-Pandemie mit ihren massiven wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen schon bald Realität werden.

Experten gehen davon aus, dass sich die Landkarte Europas bis zum Jahre 2050 mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierend verändern wird. Alte Konflikte zwischen den Nationalstaaten könnten erneut aufflammen und Sezessionsbestrebungen in einzelnen Regionen zu Abspaltungen führen, was neue Staaten entstehen ließe. Diese Entwicklung dürfte nicht immer friedlich ablaufen.

Bereits 2016 vertrat der US-amerikanische Think Tank Geopolitical Futures (GPF) des Geostrategen und Sicherheitsexperten George Friedman die These, dass der Nationalismus auf der ganzen Welt zunehme und nicht erst durch die Brexit-Entscheidung entstanden sei. »Der Aufstieg des Nationalismus war bereits im Gange, und viele der politischen Entwicklungen, die in den letzten Wochen aus Europa hervorgegangen sind, sind direkte Manifestationen seines Wiederauflebens«, so GPF damals. Ausgehend von der Analyse diverser nationaler und sezessionistischer Parteien und Bewegungen kam das Institut zu dem Schluss, dass es in den nächsten drei Jahrzehnten zu erheblichen Verschiebungen in der politischen Geographie Europas kommen werde, wenn man der »Logik des Nationalismus bis zum äußersten Ende« folge.

Die Forscher identifizierten zwei Szenarien, die zu einer Bedrohung der politischen Architektur unseres Kontinents führen könnten: Erstens das Erstarken von »populistischen« Anti-EU-Parteien in den Nationalstaaten, was weitere Austritte aus der Europäischen Union nach sich ziehen und so den institutionellen Schirm der Staatengemeinschaft erodieren werde. Die Folgen könnten neuerliche Feindseligkeiten zwischen den europäischen Nationen entlang alter ethnischer und religiöser Konfiktlinien bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen sein, so die Meinung der Analysten.

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Ob sich diese düstere Prognose tatsächlich bewahrheiten würde, sollte die EU zerfallen, ist allerdings fraglich. Auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes Anfang der neunziger Jahre vertraten verschiedene Politikwissenschaftler die Auffassung, dass es zu einem Wiederaufflammen der nationalen Leidenschaften des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts kommen werde, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Staaten. Doch diese Vorhersage ist bekanntlich nicht eingetreten, auch weil sich die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen im 21. Jahrhundert grundlegend verändert haben. Im Zeitalter einer digitalen, global vernetzten Welt, in der das Wissen in den Köpfen der Menschen die wichtigste Ressource entwickelter Industriestaaten ist, machen Kriege zur Eroberung von Land, Bodenschätzen und Industrieanlagen jedenfalls in Europa keine Sinn mehr. Von den massiven Zerstörungen, die modern und ggf. unter Einsatz von Massenvernichtungswaffen geführte militärische Konflikte auf unserem Kontinent anrichten würden, ganz zu schweigen.

Der von GPF an die Wand gemalte Worst Case dürfte deshalb nicht eintreten. Davon unabhängig besteht in der Tat die latente »Gefahr«, dass nach Großbritannien in den nächsten Jahren weitere Mitglieder die Europäische Union verlassen könnten. Das gilt neben einigen Staaten Osteuropas, die auf ihre nationale Souveränität pochen und sich deshalb mit fortwährenden Repressionen seitens der EU konfrontiert sehen, vor allem für südeuropäische Mitgliedsländer, die wegen ihrer Teilnahme an der Währungsunion erheblichen Belastungen ausgesetzt sind.

Durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie hat sich der Druck auf die Regierungen dieser Staaten weiter verstärkt.

Als Anwärter für einen EU-Austritt gilt insbesondere Italien, die immerhin drittgrößte Volkswirtschaft Europas. Um die Gefahr eines »Italexit« zumindest vorerst zu bannen, hat man mit dem früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi als neuen Premierminister einen treuen Gefolgsmann Brüssels in Rom installiert. Ob dessen Regierung im krisengeschüttelten Italien dauerhaften Bestand haben wird, ist allerdings mehr als fraglich. Im Übrigen stellt sich die Frage, wie lange die wirtschaftlich starken Mitgliedsstaaten und allen voran Deutschland noch bereit und in der Lage sein werden, Italien und andere schwächelnde Volkswirtschaften in der EU mit milliardenschwerer Kreditbürgschaften wie dem umstrittenen Wiederaufbaufonds vor dem Untergang zu bewahren.

Doch nicht nur eine Erosion der Europäischen Union, sondern auch die zunehmende Fragmentierung der Nationalstaaten innerhalb ihrer eigenen Grenzen könnte die Landkarte Europas in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig verändern. Dazu würde nicht zuletzt das erwartete Erstarken von Anti-EU-Parteien beitragen. Wenn sich solche Bewegungen in einem Land durchsetzten und aktiv auf einen Austritt aus der Union hinarbeiteten, könnte das Gegenreaktionen regionaler Separatisten hervorrufen, die nach Autonomie bzw. staatlicher Unabhängigkeit strebten, so die These. Ein prominentes Beispiel ist Schottland, das den Ende letzten Jahres vollzogenen Brexit ablehnt und ein neues Unabhängigkeitsreferendum fordert mit dem Ziel, das Vereinigte Königreich zu verlassen und als souveräner Staat in die EU zurückzukehren. Vergleichbare Entwicklungen sind auch in anderen Mitgliedsstaaten möglich, sollten dort politische Kräfte die Oberhand gewinnen, die sich von Brüssel lossagen wollen.

Ein weiteres Motiv für den wachsenden Separatismus in vielen Ländern Europas sind materielle Erwägungen. Vor allem dann, wenn die Bewohner einzelner Regionen den Eindruck gewinnen, finanziell benachteiligt zu sein oder mehr Aufgaben schultern zu müssen als andere, kann es zu Unabhängigkeitsbestrebungen kommen. GPF hat in einer Analyse zahlreiche Regionen in Europa identifiziert, die sich in den nächsten Jahrzehnten vom Mutterland lösen könnten. Dazu rechnen Katalonien, Flandern, Korsika und die Normandie, aber auch der Freistaat Bayern in Deutschland! Was bislang nur als abwegiges Gedankenspiel bajuwarischer Nostalgiker galt, könnte wegen der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen zu einer ernstzunehmenden politischen Option werden, so die Meinung der US-Experten. Denn das Volumen der finanziellen Mittel, die im Rahmen des umstrittenen Länderfinanzausgleichs umverteilt werden, dürfte nach Corona erheblich zunehmen, um die in der Krise gewachsenen Ungleichgewichte zwischen den Bundesländern zu kompensieren. Vor allem auf Bayern als dem größten Nettozahler im System würden dann erhebliche Mehrbelastungen zukommen. Ob die Verantwortlichen in München tatsächlich gewillt sein werden, ein derart hohes Maß an Solidarität zum Schaden der eigenen Bevölkerung aufzubringen oder ob man die Notbremse zieht und den Bund verlässt, ist eine offene Frage.

Fazit: Europa könnten erhebliche politische Eruptionen bevorstehen, die über die Zukunft des Kontinents und seine Rolle in der Welt entscheiden werden. Der Versuch, den sich verstärkenden desintegrativen Tendenzen in der EU durch noch mehr Zentralismus und Bevormundung aus Brüssel entgegenzuwirken, wie es die europäischen Eliten offenbar wollen, ist kontraproduktiv und zum Scheitern verurteilt.

Das genaue Gegenteil wäre richtig: Anstatt die Transformation der Europäischen Union in einen Superstaat voranzutreiben, müssen politische Kompetenzen in die Mitgliedsländer zurückverlagert werden, um die nationalen Entscheidungsspielräume zu erweitern und die Souveränität der Einzelstaaten zu stärken.

Die EU sollte sich dagegen auf ihre historischen Wurzeln besinnen und zu dem zurückkehren, was sie vor dem Maastricht Vertrag war: Eine Wirtschaftsgemeinschaft und Freihandelszone, die sich dem Ziel verpflichtet sah, Wachstum und Wohlstand in den Mitgliedsstaaten durch den ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen zu fördern. Neue Prosperität nach Corona und Lockdown zu schaffen ist die eigentliche Herausforderung, der sich die europäische Politik stellen muss, anstatt die »Vereinigten Staaten von Europa« erzwingen zu wollen!

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Donnerstag, 18.03.2021