F. William Engdahl

Torpediert die EU Chinas Neue Seidenstraße?

EU-Botschafter in Peking haben Chinas gewaltige »One Belt, One Road«-Initiative kritisiert (Peter Orzechowski berichtete darüber in der letzten Ausgabe von Kopp Exklusiv). Bis auf Ungarn schlossen sich alle EU-Staaten der Erklärung an. Was steckt dahinter, was sind die Motive von USA und EU, dieses Mammutprojekt zu torpedieren?

Ohne Frage: Die Neue Seidenstraße ist das vielversprechendste wirtschaftliche Projekt seit mindestens 100 Jahren. Das Problem dürfte denn auch eher auf politischer Ebene liegen, passt der Protest doch hervorragend zum Vorgehen der Regierung Trump, die in Sachen Handelspolitik immer stärker auf Kollisionskurs zu China liegt.

In dem Bericht, den 27 der 28 EU-Botschafter in China unterzeichnet haben, wird scharfe Kritik an der Entwicklung der »One Belt, One Road«-Initiative geäußert. China nutze das Projekt dazu, den Freihandel einzuschränken und seinen Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen, heißt es – das ist schon ironisch, denn die EU-Staaten beziehungsweise deren Unternehmen gehen exakt genauso vor. Das Infrastruktur-Vorhaben »läuft der EU-Agenda zuwider, die auf eine Liberalisierung des Handels abzielt, und es verschiebt die Machtverhältnisse zugunsten der staatlich subventionierten chinesischen Konzerne«, heißt es in dem EU-Bericht.

Unterschiedliche Vorstellung zur Entwicklung der Weltwirtschaft

Chinas Präsident Xi Jinping hatte »One Belt, One Road«, das ehrgeizigste Infrastrukturprojekt der modernen Geschichte, 2013 vorgestellt. Wiederholt hat Peking seitdem versucht, die EU als Ganzes und einzelne EU-Mitgliedstaaten für »One Belt, One Road« zu begeistern, aber die Mehrheit der Staaten reagierte bislang kühl oder abweisend. Ausnahmen sind lediglich Ungarn, Griechenland und einige osteuropäische EU-Mitglieder. Als China im Mai 2017 das Projekt ganz offiziell startete und dazu in Peking eine internationale Konferenz abhielt, blieb der Großteil der europäischen Staats- und Regierungschefs fern. Bundeskanzlerin Merkel ließ sich durch ihren Wirtschaftsminister vertreten, und der warf den Chinesen vor, in Sachen gesellschaftlicher und umweltpolitischer Nachhaltigkeit zu wenig engagiert zu sein und eine Einkaufspolitik zu betreiben, die nicht ausreichend transparent sei.

Der Erklärung dürfte bald noch ein langer, kritischer Bericht der Europäischen Kommission zur Neuen Seidenstraße folgen. Diese Haltung wird sehr gut in die Pläne der Regierung Trump passen, die Strafzölle auf chinesische Artikel verhängt hat und China vorwirft, amerikanische Firmen im Tausch gegen Projekte in China zum Technologietransfer zu zwingen.

In Verbindung mit neuen Antidumping-Bestimmungen hat die Europäische Kommission gerade einen langen China-Bericht veröffentlicht. Darin heißt es, der Kern des Problems sei Chinas staatlich gesteuerte Wirtschaft, in der sich Staatskonzerne am Aufbau von »One Belt, One Road« beteiligten. China hält dem entgegen, dass die Volkswirtschaft »in der Primärphase des Sozialismus« stehe, dass man eine »sozialistische Marktwirtschaft« habe und Staatsbetriebe als die »treibende Kraft« der nationalen Entwicklung erachte. Wer Chinas Staatsbetriebe und das Modell der staatlich gesteuerten Wirtschaft ins Visier nimmt, greift also direkt das chinesische Wirtschaftsmodell an. Dass Peking nicht einfach so einknicken wird, dürfte feststehen.

Federführend bei der aktuellen Haltung der EU-Mitglieder sind Deutschland und Frankreich. Die Kritik soll dazu führen, dass sich China an China 2030 hält, ein 2013 von der Weltbank veröffentlichtes Papier. Wie bereits an anderer Stelle erläutert, heißt es in China 2030, dass China radikale Marktreformen einleiten und dem Modell der »freien Märkte« folgen müsse, das der Westen in den 1970er-Jahren einführte und das katastrophale Folgen zeitigte, was die Beschäftigungslage und die gesellschaftliche Stabilität anbelangt. In China 2030 heißt es: »Es ist zwingend erforderlich, dass China […] ein marktbasiertes System mit solider Grundlage entwickelt […], während ein lebhafter Privatsektor die wichtigere Rolle übernimmt, was das Vorantreiben von Wachstum anbelangt.« Der Bericht wurde seinerzeit vom chinesischen Finanzministerium und dem Staatsrat mitunterschrieben, und es heißt dort: »Chinas Strategie gegenüber der Welt wird von einigen wenigen zentralen Prinzipien bestimmt sein müssen – offene Märkte, Gerechtigkeit und Fairness, Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, globale Inklusion und nachhaltige Entwicklung.«

2013 wurde Xi Jinping chinesischer Präsident. Im Anschluss festigte er seine Präsidentschaft und seine Kontrolle über die Partei. Dann veröffentlichte die Regierung in Peking China 2025: Made in China, ein Dokument, das ganz anders klingt als China 2030 und das von zentraler Bedeutung für die »One Belt, One Road«-Initiative Präsident Xis ist. In China 2025 ist das Land angehalten, in die nächste Industriephase einzutreten und nicht länger vor allem für westliche Konzerne wie Apple und GM als Werkbank zu dienen. Nun geht es darum, technisch auf eigenen Beinen zu stehen. Vorbild ist dabei ein Unternehmen wie der Mobilfunkkonzern Huawei, der es geschafft hat, sich auf dem Weltmarkt gegen Konkurrenten wie Apple oder Samsung zu etablieren. China 2025 läutet die nächste Transformation ein, weg von Billiglohnland und Fertigungshallen, hin zu einem Exporteur von »Made in China«-Produkten quer durch alle Bereiche von Schiffbau (im Rahmen der maritimen Seidenstraße) über moderne Flugzeuge bis hin zu künstlicher Intelligenz und Weltraumtechnologie.

Die EU verweigert konstruktiven Dialog

China und seine Staatsunternehmen investieren in die Modernisierung und Entwicklung von Tiefseehäfen, um den Handel über die Neue Seidenstraße effizienter abwickeln zu können. Chinas Ministerium für Bodenschätze trägt die Verantwortung dafür, die Hafen- und Schifffahrtsinfrastruktur zu entwickeln. Vergangenes Jahr erwirtschaftete China mit seinen Meeresindustrien, dem Abbau ozeanischer Bodenschätze und Dienstleistungen wie Tourismus, Container- und sonstiger Fracht umgerechnet mehr als 1000 Milliarden Dollar Umsatz. Kein Wunder, dass die Investitionen in Meeresstraßen und Häfen hohe Priorität haben.

Vorbild Piräus

Im Rahmen von Chinas maritimer Seidenstraße will Peking in wichtigen Bereichen direkt investieren, beispielsweise wenn es darum geht, in ausgesuchten EU-Staaten die Leitung von Häfen zu übernehmen oder moderne Containerhäfen auszubauen.

Das aktuell am weitesten vorangeschrittene Beispiel ist der griechische Hafen Piräus, wo das chinesische Staatsunternehmen Cosco als Betreiber aktiv ist. Eine Modernisierung und eine Kapitalspritze von über 1,5 Milliarden Euro aus China haben die Bedeutung des Hafens dramatisch verändert. 2016 legte der Containerverkehr in Piräus um mehr als 14 Prozent zu. Geht es nach Cosco, soll der griechische Hafen Europas Nummer fünf im Containerumschlag werden. Vergangenes Jahr unterzeichneten Piräus Port, Cosco und Chinas größter Containerhafenbetreiber, die Shanghai Port Authority, eine Vereinbarung, die den Handel und die Effizienz von Piräus noch weiter steigern soll. Griechenlands Vize-Wirtschaftsminister Stergios Pitsiorlas erklärte damals: »Die Vereinbarung bedeutet, dass gewaltige Mengen an Waren von Schanghai nach Piräus transportiert werden.«

Griechenlands Wirtschaft steckt bekanntlich nach wie vor in einer schweren Krise und produziert nur wenig, was in China nachgefragt werden könnte. Allerdings sorgt China dafür, dass einer der industriellen Eckpfeiler Griechenlands wächst: das Tourismusgeschäft. Schätzungsweise 200 000 chinesische Touristen werden dieses Jahr Griechenland besuchen und dem Land damit Einnahmen in Milliardenhöhe bescheren. In Piräus laufen auch Kreuzfahrtschiffe ein, insofern wird der Hafen von chinesischen Kreuzfahrtanbietern bedient. Fosun International investiert in den griechischen Tourismus. Das chinesische Unternehmen ist Anteilseigner bei der Thomas Cook Group und entwickelt Urlaubsangebote für den gewaltigen chinesischen Touristikmarkt. Fosun rechnet für Griechenland mit 1,5 Millionen chinesischen Besuchern in den nächsten fünf Jahren und investiert in der Absicht, sich ein möglichst großes Stück von diesem Kuchen zu sichern.

Piräus ist nur ein Puzzleteil in Chinas weitreichender Maritim-Strategie (die Seewege sind der »Belt« bei »One Belt, One Road«). Die chinesischen Behörden haben festgelegt, welche Bereiche im Hafenbetrieb und Schiffbau als »strategisch wichtig« gelten sollen und mit Vorrang zu behandeln sind, was staatliche Unterstützung anbelangt. Unter anderem sollen das Fischereigeschäft, der Schiffbau sowie Offshore-Öl-und-Gas-Technologien zur Förderung von Tiefseevorkommen priorisiert werden.

Das ist das Kernstück der Transformation, der China nach dem Willen Xis unterzogen werden soll – weg von der Herstellung billiger Schraubendreher und hin zur wachsenden Bereitstellung eigener Hightech-Produkte. Das nehmen die Maßnahmen, welche die USA in diesem Handelskrieg ergreifen, ins Visier, und das ist es, was auch die Europäische Union zu blockieren sucht. China ist entschlossen, neue Märkte für seine Waren zu erschließen und auszubauen sowie neue Importquellen zu generieren. Das ist die Essenz der »One Belt, One Road«-Initiative. 2016 verabschiedeten der Zentralausschuss von Chinas Kommunistischer Partei und der Staatsrat die »innovationsgetriebene Entwicklungsstrategie«. Diese sieht vor, dass China bis 2020 ein »innovatives Land« werden soll, bis 2030, spätestens 2035 in die oberste Liga der innovativen Länder vorrücken und ab 2050 Weltmarktführer sein soll. Darum geht es bei China 2025 und das ist es, was Washington und die Europäische Kommission dermaßen alarmiert.

Der Seidenstraßen-Fonds

Einer der amüsantesten Kritikpunkte der EU an China und seinem Modell der staatlich gelenkten Wirtschaft betrifft die Art und Weise, wie China »One Belt, One Road« finanziert. Die Bundesregierung prangert in einem Bericht an, dass chinesische Staatsbanken rund 80 Prozent ihrer Darlehen aus dem Seidenstraßen-Fonds an Firmen aus dem eigenen Land vergeben haben.

Der Seidenstraßen-Fonds ist ein chinesischer Staatsfonds, der vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde. Mit 40 Milliarden Dollar ausgestattet, soll er ausgewählte Projekte in Ländern wie Pakistan, Kenia oder Russland im Rahmen der »One Belt, One Road«-Initiative finanzieren. Dass ein Staatsfonds beschließt, seine Mittel zum Nutzen chinesischer Unternehmen einzusetzen, dürfte kaum überraschen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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