Torsten Groß
»Trotzdem« – Perspektiven der Menschheit für die Zeit nach Corona
Nach ihrem beeindruckenden Gesprächsband Die Herzlichkeit der Vernunft aus dem Jahre 2017 haben Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge mit Trotzdem kürzlich ein neues Buch auf den Markt gebracht. In wortgewandten und scharfsinnigen Dialogen, die in Form eines elektronischen Briefwechsels geführt werden, beschäftigen sich die Autoren mit der aktuellen Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik.
Zunächst gehen von Schirach und Kluge, die beide Juristen sind, der Frage nach, ob die Maßnahmen, die von den Entscheidungsträgern zur Bekämpfung der Seuche ergriffen worden sind, im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und bürgerlicher Freiheit verfassungsrechtlich legitim sind. Breiten Raum nimmt die daran anschließende Diskussion ein, welche langfristigen Folgen aus der Viruskrise für unser Zusammenleben, die Gesellschaftsordnung und die Zukunft Europas resultieren. Ähnlich wie andere, nicht menschengemachte Katastrophen der Vergangenheit – beispielhaft werden die Pest im 14. Jahrhundert und das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 beleuchtet – markiert Corona einen historischen Einschnitt, der eine Zeitenwende zum Guten wie zum Schlechten möglich mache.
Einerseits bestehe die Gefahr, dass sich die Menschen an die in der Pandemie gelernte Beschneidung ihrer Grundrechte gewöhnten, was zu einer »Verfestigung autoritärer Strukturen« führen würde. Um das zu verhindern, sei es zwingend erforderlich, die von der Politik verfügten Einschränkungen zeitlich zu befristen. Andererseits biete der Shutdown die seltene Chance für einen intelligenten Neuanfang, der uns in die Lage versetzen könnte, mit anderen Herausforderungen und Bedrohungen sehr viel rationaler umzugehen, als das bei einem allzu bequemen Rückfall in die alten Strukturen mit ihren bekannten Defiziten der Fall wäre. Die Realisierung dieser Chance, das »Strahlende« und nicht das »Schreckliche«, sei die wahrscheinlichere Konsequenz, die nach Überwindung der epochalen Gesundheitskrise gezogen werde, so die optimistische Prognose der Autoren. »Wir können offenbar alles, wenn Gefahr droht, das haben wir jetzt gelernt. Und warum sollten wir die Lehren nicht ins Positive wenden?«, fragt Schirach mit Blick auf die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus resümierend.
In der Kürze liegt die Würze. Einmal mehr stellt das Autorenpaar von Schirach und Kluge seine Fähigkeit unter Beweis, eine gleichsam komplexe wie spannende Materie kurz und prägnant aufzuarbeiten. Trotzdem vermittelt interessante, wegweisende Gedanken in einer aufwühlenden Zeit und öffnet den Blick auf eine hoffnungsvolle Perspektive nach dem Ende des Ausnahmezustands. Ein kleines, aber feines Buch, in dem viele Fragen aufgeworfen werden, ohne auf alle eine Antwort geben zu wollen. Der Leser fühlt sich deshalb nicht bevormundet, sondern zum Nachdenken und Diskutieren im eigenen Umfeld angeregt. Er wird zugleich ermutigt, sich nicht von der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen unterkriegen zu lassen, sondern an die Zukunft zu glauben.
Schon aus diesem Grund lohnt die Lektüre dieses preiswerten und flüssig zu lesenden Büchleins.
Samstag, 18.07.2020