Torsten Groß

Ukraine-Affäre: Gefeuerter US-Staatsanwalt ging Hinweisen gegen Joe Biden nicht nach

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Jetzt aufgetauchte E-Mails belegen, dass der gerade entlassene New Yorker Staatsanwalt Geoffrey Berman bereits 2018 Hinweise auf mögliche illegale Aktivitäten des früheren US-Vizepräsidenten und aktuellen Bewerbers auf das Amt des Präsidenten, Joe Biden, im Zusammenhang mit der sog. Ukraine-Affäre erhielt, ihnen aber nicht nachging. Wäre das geschehen, hätte es wahrscheinlich kein Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident Donald Trump gegeben.

Zum Hintergrund: Hunter Biden, der heute 50-jährige Sohn von Joe Biden, wurde Anfang Mai 2014 in den Verwaltungsrat der Burisma Holdings mit Sitz in Zypern berufen, dem größten privaten Gasproduzenten in der Ukraine. Für diese Tätigkeit erhielt Biden junior über die Consultingfirma Rosemont Seneca Bohai LLC die stolze Summe von 50.000 US-Dollar im Monat, obwohl er keinerlei Erfahrungen im Gasgeschäft vorzuweisen hatte und auch nur selten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wo die Firma Burisma ihre Büros hat, anzutreffen war. Außerdem soll Hunter Biden zu dieser Zeit Alkohol- und Drogenprobleme gehabt haben, was seine Arbeitsfähigkeit stark einschränkte.

Im gleichen Jahr traten auch Polens Ex-Präsident Aleksander Kwaśniewski und Devon Archer, ehemaliger Wahlkampfmanager von John Kerry, dem späteren US-Außenminister unter Präsident Obama, in den Verwaltungsrat des Erdgaskonzerns ein. Hunter Biden und Devon Archer waren zusammen mit Christopher Heinz, dem Stiefsohn von John Kerry, Eigentümer von Rosemont Seneca Bohai LLC, die ihren Sitz in New York hatte. Kontoauszügen zufolge, die im Oktober letzten Jahres von Andrii L. Derkach, Abgeordneter im ukrainischen Parlament, öffentlich gemacht wurden, sollen allein im Zeitraum von Mai 2014 bis Oktober 2015 knapp 4,9 Millionen US-Dollar an die New Yorker Consultingsfirma geflossen sein, von denen 871.000 US-Dollar an Hunter Biden weitergeleitet wurden.

Insgesamt habe Burisma über Offshore-Konten 16,5 Millionen Dollar für Beratungsleistungen an Rosemont Seneca Bohai LLC bezahlt. Aus den Unterlagen der ukrainischen Justiz gehe außerdem hervor, dass Ex-Vizepräsident Joe Biden von Burisma 900.000 US-Dollar für Lobbytätigkeiten erhalten hat, so Derkach.

2015 nahm der damalige ukrainische Generalstaatsanwalt Viktor Schokin Ermittlungen gegen Burisma Holdings auf, bei denen es vor allem um den Verdacht auf Steuerhinterziehung und Korruption ging. Im Rahmen dieser Ermittlungen sollten auch die Mitglieder des Verwaltungsrates von Burisma einvernommen werden, darunter Hunter Biden. Das rief seinen Vater und seinerzeitigen US-Vizepräsidenten Joe Biden auf den Plan, der bei einem seiner zahlreichen Besuche in der Ukraine den damaligen Ministerpräsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, ultimativ aufforderte, den angeblich korrupten Staatsanwalt Schokin unverzüglich zu entlassen. Andernfalls werde er die Auszahlung von Hilfsgeldern in Höhe von einer Milliarde US-Dollar an die Ukraine blockieren. Dabei handelt es sich nicht um eine Räuberpistole, sondern einen Sachverhalt, den Biden selbst öffentlich eingeräumt hat, und zwar im Januar 2018 bei einem Treffen des Council on Foreign Relations, einer privaten US-Denkfabrik. Biden damals wörtlich:

»Ich sagte, Ihr bekommt die Milliarde Dollar nicht. Ich gebe Euch sechs Stunden und wenn der Staatsanwalt nicht gefeuert wird, werdet Ihr das Geld nicht bekommen. Und dieser Hurensohn wurde gefeuert.«

Obwohl Poroschenko der Aufforderung seines mächtigen Gönners nicht binnen sechs Stunden, sondern erst einige Monate später nachkam, wurden die Ermittlungen gegen Burisma schließlich eingestellt. Hunter Biden war nicht länger in der Schusslinie und schied 2019 aus dem Verwaltungsrat des ukrainischen Unternehmens aus.

Nun ist der Inhalt einer E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt Bud Cummins und dem New Yorker Bundesanwalt Geoffrey Berman publik geworden. Daraus geht hervor, dass sich die ukrainische Staatsanwaltschaft bereits im Oktober 2018 an die US-Justiz wandte, um vertrauliche Informationen über die Rolle Bidens in der Ukraine und eine mögliche Beeinflussung der Präsidentschaftswahl 2016 weiterzugeben. Auf Berman war man gekommen, weil der gegen Hunter Bidens Partner Devon Archer in einer anderen Strafsache Anklage erhoben hatte. Mindestens fünfmal versuchte Cummins, für seinen Mandanten Yuriy Lutsenko, Generalstaatsanwalt der Ukraine, ein Treffen mit Berman zu vereinbaren, nachdem er ihm die Ergebnisse der ukrainischen Ermittlungen bereits am Telefon grob dargelegt hatte. Sie beinhalteten auch den Vorwurf, dass der damalige Vizepräsident Biden seinen politischen Einfluss geltend gemacht hatte, um den Gaskonzern Burisma Holdings zu schützen, in den kurz zuvor sein Sohn Hunter sowie dessen Partner Archer eingetreten waren.

Darüber hinaus setzte Cummins Berman davon in Kenntnis, dass ein in der Ukraine gefundenes Hauptbuch (Buch, in dem alle geschäftlichen Vorgänge eines Unternehmens oder einer Organisation verzeichnet und sämtliche Konten systematisch geführt werden), das Zahlungen einer von Russland unterstützten ukrainischen Partei an den früheren Wahlkampfmanager von Donald Trump, Paul Manafort, ausweisen sollte, manipuliert worden war. Dieses vermeintliche Beweisstück veranlasste Manafort im August 2016, sich aus dem Trump-Team zurückzuziehen, und führte später zu seiner Verurteilung wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Außerdem, so die Behauptung von Lutsenko, sollen das FBI und die US-Botschaft in Kiew Druck auf ukrainische Stellen ausgeübt haben, Unterlagen zu fälschen, um die Präsidentschaftswahl im Interesse der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton zu beeinflussen.

Trotz dieser brisanten Informationen reagierte der New Yorker Bundesanwalt nicht auf das von Cummins mehrfach unterbreitete Angebot seines Mandaten Lutsenko, nach Washington zu kommen und die gesammelten Beweise dem Justizministerium vorzulegen. Konstantin Kulyk, ein Stellvertreter von Lutsenko, bestätigte vergangenes Jahr, dass ukrainische Behörden wiederholt versucht hatten, Material über mögliche Straftaten amerikanischer Staatsbürger an das US-Justizministerium zu übermitteln, diese Bemühungen aber von interessierter Seite vereitelt wurden.

Nachdem es nicht gelungen war, einen Kontakt zur Justiz herzustellen, wandte sich Lutsenko an Rudolph Giuliani, dem früheren Bürgermeister von New York und heutigen Anwalt von Donald Trump.

Auf diesem Weg erhielt Trump Kenntnis von den Untersuchungen der ukrainischen Staatsanwaltschaft, was ihn offenbar veranlasste, Kontakt mit Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Angelegenheit aufzunehmen. In einem Telefonat am 25. Juli 2019 soll Trump Selenskyj bedrängt haben, weiterführende Ermittlungen gegen die Bidens anzustellen und mit dem Entzug von Militärhilfe für die Ukraine gedroht haben, sollte diesem Wunsch nicht entsprochen werden. Das zumindest behauptete ein anonymer »Whistleblower«. Die Folge war ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump, das von den oppositionellen Demokraten mit ihrer Mehrheit im US-Senat am 24. September 2019 eingeleitet wurde. Trotz umfangreicher Ermittlungen und Zeugenanhörungen ließen sich die Anschuldigungen gegen Trump nicht beweisen. Im Übrigen widersprach auch der ukrainische Präsident Selenskyj der Darstellung, sein amerikanischer Amtskollege habe ihn erpressen wollen. Trump wurde schließlich im Januar dieses Jahres vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Behinderung des Kongresses freigesprochen, und ging so als Sieger aus dem Impeachment hervor. Das Verfahren hätte aber wahrscheinlich nie stattgefunden, wäre Berman den an ihn herangetragenen Hinweisen zu Joe Biden und seinem Umfeld nachgegangen. Dann nämlich hätte für Trump kein Anlass bestanden, sich in dieser Angelegenheit an den ukrainischen Präsidenten zu wenden. Die unerklärliche Passivität Bermans, die jetzt ans Licht gekommen ist, dürfte der eigentliche Grund für Justizminister William Barr gewesen sein, den New Yorker Staatsanwalt jetzt zu feuern.

Die Justiz in Kiew vertritt übrigens nicht die Auffassung, dass Joe Biden durch sein Handeln Gesetze der Ukraine verletzt hat. Vielmehr besteht der Verdacht, dass Bidens wegen seines Engagements für seinen bei Burisma tätigen Sohn Hunter in einen Interessenkonflikt geraten war und damit gegen US-Recht verstoßen hatte. In ihrer Anhörung im Rahmen des Impeachment-Verfahrens gegen Trump gaben sowohl die frühere US-Botschafterin in der Ukraine, Marie L. Yovanovitch, als auch ihr Stellvertreter George Kent zu Protokoll, dass die Mitgliedschaft von Hunter Biden im Verwaltungsrat der Burisma Holdings einerseits und die politische Funktion seines Vaters Joseph Biden als US-Vizepräsident unter Barack Obama den »Anschein eines Interessenkonflikts« erweckte.

Kent sagte, er habe sogar versucht, seine Bedenken den Verantwortlichen in Bidens Büro vorzutragen, wurde dort aber abgewiesen.

Die Government-Wide Ethics Laws verbieten es Angestellten der Regierung, ihr Amt zu nutzen, um sich persönlich und substanziell an Angelegenheiten zu beteiligen, an denen sie ein finanzielles Interesse haben. Das gilt auch für die finanziellen Interessen von Angehörigen und Geschäftspartnern. Joe Biden könnte gegen dieses Gebot verstoßen haben, was im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf zum Thema werden dürfte.

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Mittwoch, 24.06.2020