Peter Orzechowski

Ukraine: Wann fällt der erste Schuss?

Kiew hat die Rückeroberung der abtrünnigen Volksrepubliken im Osten des Landes nie aus den Augen verloren. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es derzeit einen Angriff aus dem Süden, also vom Asowschen Meer aus, plant. NATO-Ausbilder haben in den letzten Monaten die ukrainischen Truppen gedrillt. Die Vereinigten Staaten haben neue Waffen geliefert. Wann fällt der erste Schuss?

»Das Kiewer Regime hat im Raum von Mariupol am Asowschen Meer eine etwa 12 000 Mann starke Gruppierung aufgestellt und plant einen Angriff auf die Volksrepublik Donezk.« Das erklärte laut Sputnik Anfang des Monats der stellvertretende Oberbefehlshaber der Donezker Volkswehr, Eduard Bassurin. Zudem habe Kiew schwere Geschütze näher zur Trennlinie im Raum der Siedlung Rosowka verlegt. Für Bassurin sind diese ukrainischen Soldaten »klar ein Angriffstrupp«, denn dazu gehörten Brigaden der Marineinfanterie, der Luftlandetruppen und der Artillerie. Die geplante Offensive habe zum Ziel, die Grenze zur Russischen Föderation unter ihre Kontrolle zu bringen.

Schon in den Wochen davor will der Pressedienst der Volksrepublik Donezk einen starken Anstieg der Zahl ausländischer Militärausbilder in der Ukraine festgestellt haben. Es handele sich dabei um Ausbilder aus den USA und Kanada. Jetzt seien zusätzliche ausländische Militärspezialisten eingetroffen. Das systematische Heranziehen von NATO-Militärausbildern durch die Behörden in Kiew diene der Vorbereitung von terroristischen Sabotagegruppen, warnt der Sprecher des Verteidigungsamtes der Lugansker Volksrepublik, Andrej Marotschko.

Die NATO trainiert Rechtsextreme

Die Präsenz der Militärspezialisten ist in der Ukraine seit Langem zu erkennen. Diese bilden nicht nur die ukrainische Armee aus, sondern auch neonazistische paramilitärische Einheiten wie etwa die berüchtigte Asow-Sondereinheit. Asow-Chef Andrej Bilezki äußerte sich selbst mehrmals über die Ziele seiner Gruppe, nämlich »einen Kreuzzug der weißen Rasse gegen die von Semiten geführten Unmenschen anzuführen«.

Um diese Kooperation zu verschleiern, behauptet die NATO, es seien gar nicht ihre Ausbilder, sondern diese gehörten verschiedenen privaten Militärfirmen an, wie zum Beispiel der European Security Academy (ESA). Asow-Vertreter stellten der ESA sogar eine Dankesurkunde aus: »Die Kämpfer und das Kommando des Sonderregiments Asow drücken den Ausbildern der European Security Academy Ukraine ihre besondere Dankbarkeit für die Hilfe beim Schutz des ukrainischen Staates aus.« ESA-Ausbilder arbeiten seit 2015 mit der Asow-Einheit zusammen.

NATO baut Basen auf

Aber es sind eben nicht nur private Sicherheitsfirmen, die in der Ukraine aktiv sind. Anfang März stellte sich heraus, dass Tausende ukrainischer Soldaten unter Leitung von Militärausbildern aus den USA, Litauen, Großbritannien und Kanada auf dem geheimen Gelände Jaworow im Gebiet Lwow ausgebildet werden. Das Gelände gibt es seit 2015, in dieser Zeit wurden dort mehr als 6000 ukrainische Soldaten geschult. Eine Einheit aus 200 amerikanischen und 250 kanadischen Militärausbildern ist ständig dort stationiert.

Auf der Website des Projekts Politonline.ru tauchte bereits 2015 ein Artikel auf, wo ausführlich der Umfang und die Kosten der Ausbildung der ukrainischen Soldaten durch ausländische Spezialisten beschrieben werden. »6 Monate wird die Ausbildung der ukrainischen Soldaten durch US-Instrukteure dauern. In dieser Zeit muss die Regierung der Ukraine 19 Millionen Dollar zahlen, damit 705 ukrainischen Soldaten der Umgang mit Gewehren, Funkgeräten für verschlüsselte Gespräche und das Aufbrechen verschlossener Türen beigebracht wird«, hieß es.

Neben der Ausbildung der ukrainischen Truppen baut die NATO auch auf ukrainischem Boden Militärbasen auf. Am 25. Juli 2018 begannen Spezialisten der US-Marine mit dem Bau eines Übungsstützpunktes in Otschakiw am Schwarzen Meer, 130 Kilometer von der Krim entfernt. Nach seiner Fertigstellung sollen das neue Gelände und der Hafen von Kriegsschiffen der NATO genutzt werden können. Zudem kann dieser Stützpunkt auch zur Ausbildung der Ukrainer dienen. Der russische Politologe von der Moskauer Higher School of Economics, Andrej Susdalzew, ist laut Sputnik überzeugt, dass NATO-Stützpunkte das »Hinterland« des Donbass sichern sollen, um die Kontrolle über das Territorium zurückzugewinnen.

Spannungen im Asowschen Meer

Um das Asowsche Meer, dessen Anrainer die Ukraine und Russland sind, bauen sich derzeit die meisten Spannungen auf. Sie begannen Anfang August zu eskalieren, als ukrainische Behörden das russische Fischfangboot »Nord« aufbrachten und die Besatzung inhaftierten. Daraufhin sperrte Russland die Seefahrtstraße von Kertsch, die das Asowsche mit dem Schwarzen Meer verbindet. Mit verheerenden Folgen für die ukrainischen Häfen Berdjansk und Mariupol (beide am Asowschen Meer), die laut der ukrainischen Online-Zeitung BlackSeaNews seit 14. August nahezu leer stehen.

Anfang August wurde zudem der russische Tanker Mechanik Pogodin im ukrainischen Schwarzmeerhafen Cherson festgesetzt, weil der Besitzer des Schiffes beschuldigt wurde, die Sanktionen gegen die Krim verletzt zu haben. Die russische Seite blockierte daraufhin 88 Stunden lang 148 ukrainische Schiffe zwecks Durchsuchungen. Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, verfügte angesichts dessen »Maßnahmen zur Unterbindung russischer Provokationen … Ich lasse mir das nicht gefallen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die aktuelle Situation absolut unzulässig ist.« Am 26. September will er das Thema »Russlands Aggression im Asowschen Meer« in einer Sitzung der UN-Vollversammlung zur Sprache bringen.

Flugs haben die USA der Ukraine die Anti-Schiffs-Marschflugkörper Harpoon angeboten. Es gibt drei Modifikationen dieser seit 1977 (!) eingesetzten Seezielflugkörper: luft-, schiffs- oder bodengestützte. Die maximale Reichweite beträgt zwischen 129 und 280 Kilometer. Durch ihre Fluggeschwindigkeit von nur 0,85 Mach ist sie allerdings leichte Beute der heutigen Radaranlagen.

Da Washington 50 Millionen Dollar Militärhilfe für Kiew angekündigt hat und eine Rakete laut verschiedenen Schätzungen zwischen 353 000 und 739 000 Dollar kostet, könnten mehrere Dutzend Raketen geliefert werden.

Das Ende der Verträge

Es geht natürlich nicht nur um die Lieferung von veralteten Raketen. Es geht vor allem um die Militarisierung des Asowschen Meeres, einen Truppenaufmarsch im Süden Russlands – Jets von georgischen Basen brauchen nur wenige Minuten dorthin.

»In der nächsten Zeit ist eine Verstärkung der Schiffsgruppierung, der Marineinfanterie und Artillerie am Asowschen Meer zwecks zuverlässiger Verteidigung aller Grenzen und der friedlichen Aktivitäten im Asowschen Meer geplant«, erklärte der Befehlshaber der ukrainischen Seestreitkräfte, Igor Worontschenko, dieser Tage. Der ukrainische »Präsidentenbeauftragte« auf der Krim, Boris Babin, sprach sich ebenfalls für die Verstärkung der Kräfte in der Umgebung der Halbinsel aus und kündigte die Auflösung eines Vertrags mit Russland über die Nutzung des Asowschen Meeres aus dem Jahr 2003 an – und gleichzeitig auch des bilateralen Abkommens über Fischfang von 1993.

Einseitiger Austritt der Ukraine

Was ist Russlands Reaktion? Der Vizeleiter des russischen Instituts für GUS-Länder, Wladimir Scharichin, stellte gegenüber Sputnik fest, dass Kiew das Asowsche Meer »internationalisieren« wolle, indem ausländische Kriegsschiffe dort erscheinen dürften. »Aber daraus wird nichts. Selbst wenn die Ukrainer ihren einseitigen Austritt aus dem Abkommen verkünden, würde Russland erklären, dass das bisherige Regime weiter in Kraft bleibe, und Kriegsschiffe aus anderen Ländern die Kertsch-Straße nicht passieren lassen«, sagte der Politologe.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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