Andreas von Rétyi
Ungarischer Staatssekretär:
»Europa kämpft mit Identitätskrise«
»Europa kämpft mit Identitätskrise«
Csaba Dömötör, Parlamentarischer Staatssekretär im Kabinettsbüro von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, beobachtet innerhalb von Europa einen gefährlichen Vertrauensverlust in die eigene Identität. Die Probleme nennt er konkret beim Namen.
Europa wäre an sich zwar immer noch »der beste Platz in der Welt«, doch sei der Kontinent sinkenden Geburtenraten und einer Preisgabe der europäischen Kultur ausgesetzt. So erklärte Dömötör Ende Juli während einer öffentlichen Veranstaltung an der Balvanyos-Sommeruniversität in Băile Tușnad (Bad Tuschnad), Zentralrumänien. Hervorgerufen worden sei die Krise durch die Migrationsproblematik, vertieft »durch die Tatsache, dass es schwierig ist, in einen intelligenten Dialog über die Migration zu treten, aufgrund der Erwartungen an politische Korrektheit.«
Der Vertrauensverlust spiegele sich auch in der Tatsache, dass Europa »der einzige Kontinent in der Welt ist, der Einwanderern Tür und Tor geöffnet hat.« Vom 23. bis zum 24. Mai hatte in Budapest eine internationale Konferenz der V4-Gruppe stattgefunden. Thema: »Die Zukunft Europas«. In Anlehnung an das Leitmotiv der vier Musketiere lautete auch hier das unterlegte Motto »Alle für einen, einer für alle«. In der Tat erweisen sich die Visegrád-Staaten mittlerweile beinahe als die Musketiere Europas und gingen im Juni sogar deutlich gestärkt aus dem Brüsseler Asylgipfel hervor. Doch ist es noch ein sehr weiter Weg bis zum sinnvollen Konsens, wobei dieses Ziel aus heutiger Sicht in unerreichbarer Ferne zu liegen scheint. Da wurde bereits viel zu viel Porzellan zerbrochen.
Jede Menge Paradoxien
Eine der wesentlich an der Organisation der V4-Konferenz beteiligten Personen war die Historikerin Dr. Mária Schmidt, Direktorin des Terrorhaus-Museums, der Budapester Holocaust-Gedenkstätte. In einem ausführlichen Interview mit Jan Mainka von der Budapester Zeitung erklärte sie: »Seit 2015 können wir keinen normalen Satz über die Lösung der Problematik mit der illegalen Migration äußern, ohne gleich auf das Übelste beschimpft zu werden.«
Verzerrungen und Unterstellungen sind zum Alltag geworden, sobald auch nur der leiseste Versuch unternommen wird, eine ausgewogene Position zu beziehen. Dabei kommt es zu den paradoxesten Auswüchsen. Vorwürfe des »Rechtspopulismus« und »Antisemitismus« sind ganz alltäglich, davor ist niemand gefeit, nicht einmal Leute wie Sahra Wagenknecht oder Benjamin Netanjahu. Doch dass gerade der Zustrom von Migranten muslimischen Glaubens den Antisemitismus nach Deutschland importiert, darüber schweigen sich die Verantwortlichen nach wie vor aus.
Zaun ist die einzige Option
Ein anderes Paradox sprach der ungarische Außenminister Péter Szijjártó vor Kurzem in einem Interview an. »Wir sind Mitglied der Schengen-Zone. Das bedeutet: Es gibt Bewegungsfreiheit innerhalb des Schengen-Raums, wenn Sie die Grenzen gemäß der Gesetze überqueren. Aber, um dies abzusichern, müssen sie sich nach außen schützen. Wenn Sie sich der Schengen-Zone anschließen, müssen Sie einigen Verpflichtungen zustimmen. Wir haben eine äußere Grenze und der Schengen Codex besagt: Wenn Ihr Land an der äußeren Grenze liegt, müssen Sie sicherstellen, dass diese Grenze nur an den offiziellen Übergängen zu den entsprechenden Zeiten passiert wird.« Da auf der betreffenden, rund 500 Kilometer langen Strecke in Ungarn keine natürlichen Hindernisse existieren, sei ein Zaun die einzige Option, den Gesetzen nachzukommen. Brüssel gebe dies ja vor. Szijjártó: »Und dann errichten wir den Zaun, um den Regelungen zu entsprechen und werden äußerst massiv angeschuldigt. Es ist lächerlich.«
Aussagekräftige Zahlen
Solche Paradoxien sind ein deutliches Indiz für die Identitätskrise, die Dömötör und andere beim Namen nennen. Er beruft sich auch auf Daten der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Frontex. Demnach sind seit dem Jahr 2009 rund 3,5 Millionen illegale Immigranten nach Europa gekommen, was selbstverständlich auch das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Einwanderern und gebürtigen Europäern spürbar verändert habe. Dömötör zitiert eine Einschätzung des Münchner Marktforschungsinstituts Q Research, die davon ausgeht, dass sich die muslimische Population in Europa bis zum Jahr 2050 verdreifachen könnte.
Die Migrationskrise belaste die Budgets der europäischen Staaten ohnehin schwer. Dabei richtet der Staatssekretär seinen Blick auf Deutschland, das allein im Jahr 2017 rund 20 Milliarden Euro in die Bewältigung der Migration investiert habe. Hier dürften noch so manche Kostenfaktoren unter den Tisch fallen. Im Vergleich seien 9,3 Milliarden Euro in Familiensubventionen geflossen. Dömötör erinnert nicht zuletzt an die seit Beginn der Krise gesunkene öffentliche Sicherheit und verweist wieder auf Deutschland. Die Zahl krimineller Übergriffe habe sich von 2014 bis 2015 verdoppelt, 40 Prozent der Delikte seien von nicht-deutschen Bürgern verübt worden. Heute beobachten rund 70 Prozent aller Europäer die Migration mit Sorge.
Ein Wunsch an Deutschland
Dr. Mária Schmidt nimmt ihrerseits kein Blatt vor den Mund. Gefragt nach einer spürbar zunehmenden Ungeduld der mittelosteuropäischen Regierungen hinsichtlich der aktuellen Krise sagt sie: »Wir sind es langsam müde, dass seit etwa 3 Jahren von westlicher Seite nichts Substanzielles in der Migrationsfrage kommt.« Und jetzt erst gelange die deutsche Kanzlerin endlich zur Einsicht, dass der von Ungarn errichtete Grenzzaun auch Deutschland und Westeuropa schütze, nun also, nachdem es jahrelang nur negative Kritik hagelte.
O-Ton Schmidt: »Was denken sich diese westlichen Politiker? Dass sie von Gott bevollmächtigt wurden, permanent alle darüber zu belehren, was richtig und was falsch ist?« Wahrscheinlich. Ganz sicher aber prostituieren sie sich als Sklaven des Geldes und lassen sich von einigen ganz bestimmten und durchaus bekannten Persönlichkeiten, die weder Amt noch Verantwortung tragen, kaufen und kommandieren, um deren Willen zu erfüllen, auf Kosten ihrer Nationen und ihrer Bevölkerung. Die Budapester Zeitung wollte auch wissen, was für ein Deutschland sich Dr. Schmidt für Europa wünsche: »Ein selbstbewusstes, selbstsicheres und verantwortungsvolles«.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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