F. William Engdahl
USA: Von wachsenden Schuldenbergen und Zombie-Firmen in Schieflage
Zehn Jahre sind seit der großen finanziellen Kernschmelze von 2008 ins Land gegangen, aber trotzdem haben sich die amerikanische Wirtschaft und ihre Finanzstrukturen von diesem Schlag nie so recht erholt.
Als der republikanisch dominierte Kongress vergangenes Jahr die Auflage kippte, auf die Gefahr einer automatischen Ausgabensperre hin regelmäßig den Haushalt zu reduzieren, sorgte das nur für wenig Diskussionen, aber es hatte sich ohnehin nur um einen lahmen Versuch gehandelt, dem dramatischen Anstieg der amerikanischen Schulden etwas entgegenzusetzen. Insofern war dies nur ein weiterer Schritt in einer Situation, die sich schon bald als klassische Schuldenfalle erweisen wird.
Präsident Nixons Gold-Coup
Der US-Wirtschaft – und damit dem gesamten globalen Finanzsystem – droht somit eine Krise, die das Ende des seit 1944 herrschenden Dollarregimes bedeuten könnte. Sehen wir uns zunächst einmal die Hintergründe an. Am 15. August 1971 verkündete der damalige US-Präsident Richard Nixon – auf Empfehlung von Paul Volcker, der damals noch im US-Finanzministerium arbeitete –, dass sich die USA aus dem Bretton-Woods-System zurückziehen würden und das an Gold gekoppelte System durch eines ersetzen würden, bei dem der Dollar frei auf- und abwerten kann. Washingtons Ökonomen und die Banker an der Wall Street erkannten daraufhin, in welch unglaublich günstiger Lage sich die USA befanden: Der US-Dollar war die führende Reservewährung und wurde von allen Zentralbanken gehalten.
Zudem war der Dollar die Währung, in der rund um den Globus Rohstoffgeschäfte und vor allem Öl-Transaktionen abgeschlossen wurden. Das verschaffte der amerikanischen Währung einen einmaligen Wettbewerbsvorteil. Solange die Welt US-Dollar benötigte, konnte Washington ungebremst Schulden anhäufen. Ausländische Notenbanken – in den 1980er-Jahren war das vor allem die Bank of Japan, seit der Jahrtausendwende die Peoples’ Bank of China – hatten kaum eine Wahl: Sie mussten Dollar-Überschüsse in amerikanische Staatsanleihen investieren.
Dank dieses perversen Systems konnte Washington seine Kriege in fernen Ländern mit dem Geld anderer Leute finanzieren, beispielsweise die Feldzüge in Afghanistan und im Irak. Unter der Regierung George W. Bush durchbrach das jährliche Haushaltsdefizit Washingtons die Grenze von 1000 Milliarden Dollar. Der damalige Vizepräsident Dick Cheney witzelte daraufhin voller Zynismus: »Schulden sind egal, das hat Reagan gezeigt.« Und bis zu einem gewissen Punkt schien es tatsächlich so.
Aber jetzt nähern wir uns auf gefährliche Weise immer stärker dem Punkt, ab dem es nicht mehr egal ist. Über welche Schulden reden wir? Sie lassen sich in drei Kategorien einteilen: Die Schulden der Zentralregierung in Washington, die Schulden der Wirtschaft und die Schulden der Privathaushalte. Die Subprime-Krise von 2007/2008 entwickelte sich ab September 2008 zu einer Systemkrise, die zehn Jahre historisch niedriger Zinssätze mit sich brachte. Das Resultat: Weil die US-Notenbank die Zinsen bei Null hielt und mit ihrer Politik der sogenannten Quantitativen Lockerung in den Markt eingriff, haben sich alle drei Sektoren verschuldet, als würde es kein Morgen geben. Aber etwas dermaßen Radikales lässt sich nicht beliebig fortsetzen.
Seit der Finanzkrise von 2008 hat sich die Verschuldung der US-Zentralregierung von 10 000 Milliarden auf über 21 000 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Das war insofern noch nicht dramatisch, als die US-Notenbank auf die Finanz- und Bankenkrise mit Notfallmaßnahmen reagierte, die darin bestanden, dass sie jährlich Schuldentitel im Wert von nahezu 500 Milliarden Dollar kaufte. Ein Großteil der restlichen Schulden wurde von China, Japan und sogar von Russland und Saudi Arabien gekauft. Mit dem Budget Control Act von 2011 einigten sich Demokraten und Republikaner darauf, die Ausgaben des Staats zu deckeln, was verhinderte, dass die Schulden noch stärker explodierten. Dank dieses Gesetzes fielen die Haushaltsdefizite zuletzt nicht ganz so katastrophal aus. Aber nun haben sich die Bedingungen, was die Staatsschulden und das Defizitwachstum anbelangt, so entwickelt, dass im Laufe der nächsten Jahre eine systemische Krise programmiert scheint.
Trumps Wirtschaftspolitik
Der Trump Tax Cuts Act, der im Dezember 2017 unterschrieben wurde, brachte eine dramatische Steuersenkung für Firmen mit sich. Die Körperschaftsteuer fiel von 35 auf 21 Prozent. Doch dieser Schritt ging nicht mit einer Erhöhung der Einnahmen an anderer Stelle einher. Das Versprechen der Regierung besagte: Niedrigere Steuern befeuern das Konjunkturwachstum. Im derzeitigen wirtschaftlichen Klima und angesichts der Schuldenlast von Staat und Privatsektor ist das ein Mythos. Vielmehr werden selbst unter idealen Wirtschaftsbedingungen die Haushaltseinnahmen über die nächsten zehn Jahre um insgesamt 1000 Milliarden Dollar zurückgehen. Sollte die Wirtschaft, was in hohem Maße wahrscheinlich ist, in eine schwere Rezession stürzen, brechen auch die Steuereinnahmen weg und die Defizite werden noch stärker explodieren. Trumps Steuersenkung wird vor allem eines bewirken: Das jährliche Haushaltsdefizit der USA dürfte dramatisch ansteigen.
Das Congressional Budget Office, eine Art Bundesrechnungshof, schätzt, dass bereits im Haushaltsjahr 2019 das durch Schulden zu finanzierende Defizit 1000 Milliarden betragen wird. Das TBAC, ein Beratergremium des US-Finanzministeriums, geht für das Haushaltsjahr 2018 mit einer Neuverschuldung von 955 Milliarden Dollar aus (im Vergleich dazu: Im Haushaltsjahr 2017 waren es 519 Milliarden Dollar gewesen), für die Haushaltsjahre 2019 und 2020 erwartet das TBAC jeweils ein Minus von über 1000 Milliarden. Bis 2028 wird diesen Prognosen zufolge der Schuldenberg der amerikanischen Zentralregierung von heute rund 21 000 Milliarden Dollar auf untragbare 34 000 Milliarden Dollar anschwellen – und diesen Prognosen liegt die Erwartung einer eher positiven wirtschaftlichen Entwicklung zugrunde. Für das Jahr 2028 wird das Defizit bei mehr als 1500 Milliarden Dollar liegen.
Und allein im Jahr 2018 – unter historisch niedrigen Zinssätzen – belaufen sich die Zinsen, die die US-Notenbank für die Schulden des Staats berappen muss, auf 500 Milliarden Dollar. Um die Wall Street zu retten, beließ die US-Notenbank die Zinsen seit fast einem Jahrzehnt auf beispiellos niedrigem Niveau und sorgte für eine inflationäre Zunahme von Anlagewerten wie Aktien und Anleihen. Mittlerweile hat die Fed ihre Politik umgekehrt und etwas begonnen, was Beobachter als »Quantitative Tightening« bezeichnen: Seit einem Jahr steigen die Zinssätze wieder an, wenn auch bislang sehr langsam und schrittweise, da die US-Notenbank zunächst vorsichtig vorgehen möchte.
Reagieren die Märkte panisch?
Weitere Zinsschritte werden aber folgen, und nachdem die Zinsen fast zehn Jahre lang praktisch bei Null lagen, beläuft sich der Leitzins jetzt bereits auf 1,75 Prozent. Sollte die Fed nun aufhören, die Zinsen zu erhöhen, dürfte das die Märkte in Panik versetzen, weil diese spekulieren würden, dass die Notenbank katastrophale Entwicklungen aufziehen sieht, diese bislang aber verschweigt. Noch nie in ihrer Geschichte hat die US-Notenbank dermaßen lang mit dermaßen niedrigen Zinsen experimentiert. Das bedeutet, auch die Effekte, die die Umkehr dieser Politik mit sich bringt, werden beispiellos sein. Zu Beginn der Finanzkrise von 2008 lag der Leitzins um die 5 Prozent. Das ist auch der Zielwert, den die Fed als »Rückkehr zum Normalzustand« erachtet. Allerdings bringt es der Anstieg der Zinsen mit sich, dass es im Kreditsektor für spekulative Anleihen, auch »Ramschanleihen« genannt, zu einer Lawine von Zahlungsausfällen kommt. Die Ratingagentur Moody’s hat gerade erst gewarnt, dass 22 Prozent aller US-Unternehmen, die sich nur dadurch über Wasser gehalten haben, dass sie sich zu historisch günstigen Bedingungen mit Geld eindecken konnten, es mit massiven Zahlungsausfällen zu tun bekommen werden, geschieht nicht noch ein Wirtschaftswunder. Diese »Zombie-Firmen« findet man nicht nur im Schieferölgeschäft, sondern unter anderem auch im Bauwesen und bei Versorgerbetrieben.
»Niedrige Zinsen und der Appetit der Anleger auf Renditen hat Firmen dazu getrieben, haufenweise Schuldtitel anzubieten, die den Anlegern ein vergleichsweise geringes Maß an Schutz bieten«, schreibt Moody’s und führt beunruhigende Zahlen an: Seit 2009 ist die Zahl der Firmen, deren Anleihen als »spekulativ« bewertet werden, weltweit um 58 Prozent angestiegen. Insgesamt belaufen sich die Schulden dieser Firmen auf 3700 Milliarden Dollar, ein neuer Rekord. Rund 40 Prozent dieser Schulden – ein Wert von 2000 Milliarden Dollar – gelten als stark ausfallgefährdet. Die Verschuldung der amerikanischen Unternehmen ist um 49 Prozent gestiegen und beläuft sich auf insgesamt 8800 Milliarden Dollar, auch dies ein Rekordwert.
Beispiellose Aktienblase
Ein Großteil dieser Mittel wurde von den Firmen für den Rückkauf eigener Anteile genutzt, eine Maßnahme, die den Aktienkurs beflügeln soll. Das ist der Hauptgrund für die beispiellose Aktienblase, die sich an der Wall Street gebildet hat. Von den Ausgaben der amerikanischen Zentralregierung tragen imposante 75 Prozent nichts zur Wirtschaftsleistung bei, weil es sich beispielsweise um Ausgaben für das Militär handelt, um den Schuldendienst und Sozialleistungen. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre hatte der amerikanische Staat so gut wie keine Schulden, heute dagegen betragen sie 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Tendenz steigend.
Investitionen in die nationale Wirtschaftsinfrastruktur, beispielsweise in die Tennessee Valley Authority und in den Bau eines Netzwerks von Dämmen, waren in den 1950er-Jahren Auslöser eines großen Wirtschaftsbooms. Indem man 1500 Milliarden Dollar in die Entwicklung und den Bau eines Kampfflugzeugs pumpt, der dann nicht einmal ansatzweise der leistet, was es soll, wird man einen ähnlichen Effekt kaum herbeiführen können. Inmitten dieser heiklen Situation bemüht sich Washington nach Leibeskräften, genau die Länder zu verprellen, die es zum Finanzieren seiner Defizite und zum Kauf amerikanischer Schulden benötigt – China, Russland und sogar Japan.
Investoren fordern höhere Zinsen, damit es für sie attraktiver wird, amerikanische Schuldtitel zu erwerben. Eine Zinsanhebung wiederum wird genau den Domino-Effekt in Gang bringen, den Moody’s beschrieben hat. Diese Schuldenentwicklung ist der Hintergrund, vor dem die Vereinigten Staaten zuletzt eine ausgesprochen riskante Außenpolitik betrieben haben. In Washington scheint das niemanden zu stören, und das ist sehr beunruhigend.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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