Stefan Schubert

Was Europa wissen darf – Im eisernen Griff der US-Geheimdienste

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»Information ist der Rohstoff unseres Jahrtausends. Wissen ist Grundlage für Macht und Einfluss.« Anhand dieser Eckpfeiler jeglicher Politik untersuchen drei Politologen in ihrem neuen Buch Was Europa wissen darf die Übermacht amerikanischer Dienste gegenüber Deutschland und Europa. Die Autoren Thomas Jäger, Verena Diersch und Stephan Liedtke beschreiben darin, wie die USA ihre Informationsdominanz zielgerichtet ausnutzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, gerade auch gegen ihre europäischen Verbündeten.

Wie die naiven Politiker in Berlin und Brüssel – und mit ihnen die gesamte Weltöffentlichkeit – spätestens durch den Whistleblower Edward Snowden erfahren haben, existieren für die Amerikaner lediglich eine Handvoll Verbündeter im nachrichtendienstlichen Gewerbe. Das kontinentale Europa gehört ganz offiziell nicht zu dem elitären Zirkel der sogenannten »Five Eyes«. Die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Großbritannien betreiben unter diesem Namen das allumfassendste Überwachungs- und Kontrollsystem der Welt.

Der Brexit, der nicht zuletzt durch eine immer totalitärer und zentralistischer agierende EU und die Merkel’schen Grenzöffnungen ausgelöst wurde, wird der EU auch nachrichtendienstlich schweren Schaden zufügen. Wie geradezu amateurhaft die Europäer bei der Informationsweitergabe auf die USA angewiesen – oder besser gesagt, ihnen ausgeliefert – sind, belegen die  Autoren  detailliert und mit ausgewiesenen Quellen. Der vollständige Titel der Neuerscheinung lautet: Was Europa wissen darf: Die Geheimdienste der USA und die europäische Politik.

Aktuell setzen die US-amerikanischen Geheimdienste alles daran, beim 5G-Ausbau in Europa  dem chinesischen Konkurrenten Huawei zu schaden und gleichzeitig US-Anbietern wie Intel milliardenschwere Aufträge im sensiblen Datenbereich zu verschaffen. So soll auch der Zugriff auf diese Zukunftstechnologie durch US-Geheimdienste durchgesetzt werden.

Über Krieg und Frieden entscheiden Geheimdienstkampagnen

Edward Snowden beobachtete treffend: »Das größte Problem in der Welt der Geheimdienste ist die Vermischung von verdeckter Manipulation und Propaganda mit dem Sammeln von Informationen.« Die damit verbundenen Gefahren werden uns im immer kürzeren Abständen vor Augen geführt.

So stand die Welt im Sommer 2019 kurz vor einem großen Krieg. Ausgelöst wurde die Eskalation durch den Abschuss einer US-Drohne in der Straße von Hormuz. Die US-Regierung und große Teile der Mainstream-Medien machten den Iran dafür verantwortlich. Die Iraner dementierten die amerikanische Beschreibung des Zwischenfalls. Unabhängig davon, was tatsächlich geschehen ist, könnten die Amerikaner in einem solchen Fall den im NATO-Vertrag  (Artikel 5) vorgesehenen Bündnisfall ausrufen und so die Europäer und Deutschland zum Kriegseintritt gegen den Iran zwingen. Diese verheerenden Kettenreaktionen wären so einzig durch Geheimdienstinformation der USA in Gang gesetzt worden.

In dieser existenziellen Frage über Krieg und Frieden wird die verhängnisvolle Abhängigkeit Deutschlands gegenüber den US-Diensten deutlich. Da weder Deutschland noch die Wirtschaftsmacht EU über unabhängige Satelliten- und Geheimdienstinformationen aus der explosiven Region verfügen, sind sie gezwungen, die US-Sichtweise zu übernehmen.

Der Irakkrieg 2003 wurde ebenfalls mithilfe der US-Geheimdienstlüge über angebliche Massenvernichtungswaffen vorbereitet. Die gesamte Weltöffentlichkeit wurde dabei Ziel der Manipulation der Amerikaner. Erinnert sei an den unsäglichen Auftritt des damaligen Außenministers Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Kein westlicher Geheimdienst war damals willens oder in der Lage, die Behauptungen der Amerikaner zu widerlegen. Die Deutschen waren sogar bei dieser gezielten Desinformationskampagne der US-Dienste zwangsweise mitbeteiligt, da die Amerikaner einen irakischen Überläufer und BND-Informanten (Codename: Curveball) der Welt als Kronzeugen präsentierten. »Curveball« wurde alsbald als Lügner entlarvt, doch kein Staat verfügte über das Wissen oder die Macht, die Amerikaner rechtzeitig der Lüge zu überführen. Der Krieg und seine Folgen kosteten nach Schätzungen über eine Million Menschenleben und destabilisierten nachhaltig den gesamten Nahen Osten. Der Irak versank danach im Bürgerkrieg, Kriegshandlungen und Tausenden Terroranschlägen. Nach dieser Destabilisierung und dem ausbrechenden Chaos entstand auch die Terrormiliz Islamischer Staat.

Angesichts solcher historischer Verkettungen wird deutlich, dass der von der EU-Kommission erhobene globale Führungsanspruch – ohne eigene nachrichtendienstliche Kapazitäten – ein Hirngespinst bleibt und lediglich für Sonntagsreden taugt.

Die Doktrin »Amerika First« ist keineswegs ein Erfindung der Regierung Trump, sondern bestimmt das US-Handeln seit Jahrzehnten. Im westlichen Mainstream wird gern verschwiegen, dass der als Friedennobelpreisträger ausgezeichnete Barack Obama der US-Präsident mit den meisten Kriegstagen ist. Insgesamt führte Obama an 2663 Amtstagen Krieg, darunter in Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia, Jemen, Libyen und Syrien.

Deutschland ist abhängig von der NSA

Weiterhin an Fahrt nimmt das Buch bei der amerikanischen Wirtschaftsspionage auf, die keinesfalls auf die geopolitischen Rivalen China und Russland begrenzt ist, sondern mit der ganzen Wucht des US-Geheimdienstapparates auch die Wirtschaftsmacht EU und damit Deutschland trifft. Der Informationsfluss läuft in der westlichen Welt wie in einer Einbahnstraße: Die Amerikaner saugen alle Erkenntnisse auf, doch weitergegeben wird nur das, was US-Interessen nützt. Europäische Geheimdienste werden aufgrund der immensen Abhängigkeit zur Zusammenarbeit genötigt oder  wähnen sich in eitler Selbstüberschätzung gar als gleichgewichtiger Partner und leisten dann Vasallendienste wie der BND in der Abhörbasis Bad Aibling.

Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass die CIA im Rhein-Main-Gebiet und in Frankfurt zahlreiche Einrichtungen betreibt. Das dortige US-Generalkonsulat in der Gießener Straße gilt als das größte US-Konsulat weltweit. Darunter befindet sich ein Gebäude, das nur Geheimdienstmitarbeitern zugänglich ist.

132580_cover_was_europa_wissen_darfIm Zuge der NSA-Affäre, die im Buch detailreich rekonstruiert wird, wurde auch bekannt, dass US-Dienste in der Lage sind, Kameras und Mikrofone in Smart-TVs, wie beispielsweise das Samsung-Fernsehgerät F8000, fremdzusteuern und zur Überwachung einzusetzen. Die Wohnzimmer der Bürger reihen sich somit in Einrichtungen der UN, der EU und westlicher Botschaften ein, die allesamt im Zuge der NSA-Affäre als »verwanzt« geoutet wurden. Der Groll über den angeblich engen Verbündeten weicht beim Weiterlesen einer ohnmächtigen Wut, wenn die Autoren in Was Europa wissen darf die enge Zusammenarbeit von NSA und CIA mit den US-Techgiganten Google, Apple, Facebook und Microsoft detailliert beschreiben und belegen.

So verfügte die NSA unter anderem zu den von Microsoft betriebenen E-Mail-Diensten Hotmail, Live und Outlook über geheime Zugänge. Auch über die »Backdoors« bei anderen Unternehmen wie dem Telekommunikationsgiganten Verizon klären die Autoren auf.

Das Buch zeichnet sich durch akribische Recherchen aus, die durch zahlreiche Quellen- und Literaturangaben belegt sind. Es bleibt dabei stets sachlich und überlässt die Wertung der Fakten dem Leser. In Zeiten eines grassierenden Umerziehungsjournalismus ist diese grundsolide journalistische Arbeit eine Wohltat zum Lesen.

Bestellinformationen:

Jäger/Diersch/Liedtke: Was Europa wissen darf, 250 Seiten, 22,00 Euro – hier bestellen!

Montag, 06.07.2020