F. William Engdahl
Washingtons Mythen, Lügen und Ölkriege
Während Amerikas Autofahrer angesichts steigender Benzinpreise derzeit wenig zu lachen haben, liegen die Dinge ganz anders bei der Regierung Trump sowie den Verantwortlichen in der Öl- und Bankenbranche, die im Verborgenen schalten und walten. Sie dürften aktuell sehr zufrieden sein.
Die Entwicklungen im Iran, in Venezuela und nun auch in Libyen scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzuhängen, aber bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass es eine übergreifende Strategie gibt, die darauf abzielt, die globalen Ölströme zu stören und dadurch unmittelbar die Vormachtstellung der USA zu festigen. Hätte vor einem Jahrzehnt jemand die These aufgestellt, die USA könnten Saudi-Arabien oder Russland den Titel als weltgrößter Ölproduzent streitig machen, wäre er vermutlich verspottet worden. Heute dagegen ist dies ein klares außenpolitisches Ziel der Regierung Trump und der großen Wall-Street-Banken, welche die nationale Förderung von Schieferöl unterstützen. Die Strategie ist geopolitisch ausgerichtet und zielt letztlich darauf ab, Russland, den Iran und die unabhängigen erdölfördernden Kräfte zu schwächen.
Sehen wir uns einige Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit an, die sich dramatisch auf die globalen Ölpreise auswirkten, lässt sich ein eindeutiges Muster erkennen. Doch dieses Muster spricht nicht für die Kräfte des freien Marktes, sondern für geopolitisch motivierte Manipulationen, und zwar in erster Linie durch Washington. Iran, Venezuela, jetzt Libyen – es wird deutlich, dass Washington entschlossen ist, einen Ölpreis zu erzwingen, der so hoch ist, dass es sich wirtschaftlich wieder lohnt, in Amerikas Schieferölindustrie zu investieren.
Beim Iran geht es um Öl, nicht um Atomwaffen
Das Atomabkommen mit dem Iran hätte dazu geführt, dass die Wirtschaftssanktionen des Westens aufgehoben würden und der Weg frei wäre für ausländische Milliarden; Investitionen, die vor allem in die Öl- und Gasindustrie des Landes geflossen wären. Dass die Regierung Trump das Abkommen einseitig aufgekündigt hat, hängt ganz offensichtlich nicht mit Irans Atomplänen zusammen. Tatsächlich liefert der Ausstieg bloß einen durchsichtigen Vorwand, um die Erschließung iranischer Öl- und Gasvorkommen sowie den Export dieser Bodenschätze erneut mit Wirtschaftssanktionen zu belegen.
Im Mai verkündete die Regierung Trump trotz aller Proteste von EU, Russland und China, also der Mitunterzeichner der Vereinbarung, das Ende des Iran-Abkommens. Dass die Internationale Atomenergie-Organisation der Vereinten Nationen keine Verstöße des Irans gegen die Vereinbarung hatte feststellen können, ignorierte Washington dabei. Am 4. November treten nunmehr strenge neue Sanktionen in Kraft, die vor allem auf Irans Ölexporte abzielen. Abwenden kann sie Teheran nur durch eine Kapitulation vor Washingtons Forderungen. Sehr unwahrscheinlich. So fordern die USA, dass der Iran nicht länger schiitische Einheiten im Jemen und das Assad-Regime in Syrien unterstützt.
Seitdem das Atomabkommen abgeschlossen wurde, ist es dem staatlichen iranischen Ölunternehmen gelungen, die Exporte auf fast vier Millionen Barrel täglich hochzufahren, was fast dem Niveau von vor den Sanktionen entspricht. Mit Sekundärsanktionen droht Washington darüber hinaus allen Unternehmen aus der EU oder anderen Ländern, die dem Iran bei der Ölausfuhr helfen und in den USA aktiv sind. Eine hohe Hürde. Der französische Energieriese Total hat bereits angekündigt, sein Gemeinschaftsunternehmen im iranischen Energiesektor zu beenden.
Am 2. Juli verdeutlichte ein ranghoher Vertreter des amerikanischen Außenministeriums, was die USA im Iran erreichen wollen: »Unser Ziel ist es, den Druck auf die iranische Regierung zu erhöhen, indem wir ihre durch Rohölverkäufe erzielten Einnahmen auf Null drücken. Wir arbeiten daran, die Störungen für den Weltmarkt möglichst gering zu halten, sind aber zuversichtlich, dass es ausreichend überschüssige globale Produktionskapazitäten gibt.«
Dasselbe Bild bei Venezuela
Die Regierung Trump nimmt also erneut auf dem Weltmarkt iranisches Öl ins Visier, auch wenn es noch einen Aufschub bis November gibt. Gleichzeitig versucht sie, die Ölförderung in Venezuela vollends zum Stillstand zu bringen. Das ist als Schritt im Rahmen des Finanzkriegs und politischen Kriegs zu sehen, den Washington gegen die Regierung Maduro führt.
Nach der Wiederwahl des sozialistischen Präsidenten verschärfte Washington seine Sanktionen dahingehend, dass dem staatlichen Ölunternehmen PDVSA und Venezuela insgesamt jeglicher Zugang zu US-Banken versperrt wurde. Die Refinanzierung neuer Schulden wurde dadurch unmöglich. Vor dem jüngsten Treffen der Opec-Minister erklärte Venezuelas Ölminister Manuel Quevedo: »Diese Sanktionen sind sehr streng, sie machen PDVSA praktisch handlungsunfähig … Das ist ein Angriff auf den Ölmarkt.« Wie die Internationale Energieagentur meldete, belief sich Venezuelas Ölproduktion im Juni auf 1,36 Millionen Barrel täglich. Vor fünf Jahren waren es noch 2,9 Millionen Barrel gewesen.
Mit gutem Timing beschlagnahmte der amerikanische Ölriese Conoco Phillips zeitgleich PDVSA Vermögen im Wert von etwa 636 Millionen Dollar. Hintergrund ist, dass 2007 die Projekte des amerikanischen Ölkonzerns in Venezuela verstaatlicht worden waren. Durch die Beschlagnahmung konnte PDVSA seinen Exportverpflichtungen nicht mehr nachkommen, in den Häfen des Landes kam es zu »Flaschenhälsen«, was Tanker anbelangt. Die China Development Bank hat angekündigt, der venezolanischen Ölindustrie fünf Milliarden Dollar zu leihen, und will auf diese Weise verhindern, dass China Ausfälle bei der Versorgung mit venezolanischem Öl erleiden muss. China zählt zu den größten Importeuren sowohl venezolanischen wie auch iranischen Öls. Das wissen sowohl das amerikanische Finanzministerium wie auch das US-Außenministerium.
Und jetzt auch Libyen
Dass sowohl der Iran als auch Venezuela weniger Öl fördern, hat den Ölpreis kurzfristig auf über 80 Dollar pro Barrel steigen lassen. Dennoch ist aus Sicht der amerikanischen Erdölbranche – und insbesondere der Schieferölindustrie – die Marktlage alles andere als stabil. Das verändert sich gerade, und der Grund dafür sind die jüngsten Entwicklungen in Libyen.
Als Washington das von Muammar al-Gaddafi regierte Libyen bombardierte, war das Land einer der wirtschaftlich höchstentwickelten Staaten in ganz Afrika. Seit den Angriffen jedoch ist das Land praktisch gespalten. Auf der einen Seite haben wir die von den Vereinten Nationen bestimmte und von Washington unterstützte Regierung in Tripolis, die den trügerischen Namen »Regierung der Nationalen Einheit« trägt. An ihrer Spitze steht Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch, der zugleich Präsident des Präsidentenrates ist. Sarradsch wird unterstützt von den Muslimbrüdern, einer geheimnisumwobenen Salafistenbewegung. Sie steckt auch hinter dem von Washington geförderten »Arabischen Frühling« und der ehemaligen Regierung Mohammed Mursis in Ägypten. Die Tripolis-Gruppe wird darüber hinaus von den USA, Großbritannien und Frankreich unterstützt.
Wichtigster Widersacher Sarradschs ist Feldmarschall Chalifa Haftar, der mithilfe der salafistenfeindlichen libyschen Nationalarmee eine Art Militärregime errichtet hat. Er arbeitet mit wichtigen Stammesführern im ölreichen Osten des Landes zusammen sowie mit dem gewählten Repräsentantenhaus. Haftar ist ein erbitterter Gegner der Muslimbrüder und bezeichnet sie als Terroristen. Als seine Truppen in wichtigen Sektionen des östlichen Libyens die Kontrolle übernahmen, darunter auch die Ölhäfen Tobruk und Suweitina, ging er damit auf direkten Konfrontationskurs zur von den USA unterstützten Regierung in Tripolis.
Haftar verkündete, dass künftig die in Bengasi sitzende National Oil Company die Ölhäfen im Osten des Landes steuern werde. Das Unternehmen hat Verbindungen zur Regierung Ost-Libyens, die von den Vereinten Nationen nicht anerkannt wird. Nach Haftars Ankündigung erklärte am 2. Juli das staatliche Ölunternehmen im Westen Libyens – mit dem Segen Washingtons –, durch den Wegfall der Häfen im Osten sei die Exportmenge um bis zu 850 000 Barrel pro Tag gesunken.
Von Haftars Truppen ist bekannt, dass sie sich sehr gut mit dem aktuellen ägyptischen Präsidenten as-Sisi verstehen, der ebenfalls ein Feind der Muslimbrüder ist. Zudem pflegt Haftar ein gutes Verhältnis zu Putins Russland. Wenn Haftars Truppen im ölreichen Osten daran gehindert werden, eine Ölindustrie aufzubauen, die parallel und unabhängig zum US-geförderten Tripolis- Regime existiert, steigert das die dramatischen Veränderungen, die der globale Ölmarkt durchläuft. Der Ölpreis dürfte auf deutlich über 80 Dollar pro Barrel klettern, ein Niveau, wie wir es zuletzt 2014 gesehen haben. Und bequemerweise wäre das ein Preisniveau, das der Schieferölförderung in den USA einen enormen Schub verleihen würde.
Eine neue geopolitische Ölstrategie?
Vor Jahresende werden die Vereinigten Staaten Russland als weltgrößten Ölproduzenten überholen, erklärte Scott Sheffield kürzlich während des jüngsten Opec-Treffens in einem Interview. Sheffield leitet das texanische Unternehmen Pioneer Resources, einen der größten Produzenten von amerikanischem Schieferöl. Innerhalb von drei bis vier Monaten werde der amerikanische Ausstoß bei über 11 Millionen Barrel pro Tag liegen und könne »sehr rasch« 13 Millionen Barrel erreichen, so Sheffield. In sieben oder acht Jahren rechnet er mit einem Niveau von 15 Millionen Barrel täglich, wobei die Förderung vor allen an Orten wie dem Permian-Becken in Texas stattfinden soll. Laut Sheffield liegt der günstigste Ölpreis für Schieferöl derzeit bei 60 bis 80 Dollar pro Barrel. Seine Zahlen hat er von der Energy Information Administration, einer zum US-Energieministerium gehörenden Behörde, die bislang nicht sonderlich zuverlässig war, wenn es um Prognosen für Schieferölreserven ging.
Kann es sein, dass die einflussreichen Energieunternehmen, die hinter Trumps Außenpolitik stehen, die Ölreserven von Iran, Venezuela und Libyen ins Visier nehmen, um sicherzustellen, dass das amerikanische Schieferöl in den kommenden Monaten den Weltmarkt überflutet und nicht nur das Öl aus diesen Ländern verdrängt, sondern immer stärker auch russisches Öl?
Der Iran wirft den USA vor, sie hätten sich aus dem Atomabkommen zurückgezogen, um den Ölpreis in die Höhe zu drücken.
Das längerfristige Problem bei Washingtons Strategie zur Dominanz auf dem Ölmarkt liegt in den Unsicherheiten begründet, welche die Versorgung mit Schieferöl umgeben. Technologischer Fortschritt hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Quellen effektiver arbeiten und die Produktion reibungsloser läuft, aber Schieferöl bringt einige schwerwiegende Probleme mit sich. Schieferölvorkommen laufen beispielsweise viel schneller leer als eine herkömmliche Ölquelle, ein Produktionsrückgang von 75 Prozent oder mehr nach dem ersten Jahr ist durchaus üblich. Um die Fördermenge halten zu können, müssen mehr und immer teurer werdende Quellen erschlossen werden. Eine weitere Einschränkung besteht in dem hohen Wasserverbrauch beim Fracking.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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