F. William Engdahl
Wie die EU in Washingtons Falle tappte
In der EU war vielerorts ein Seufzer der Erleichterung zu vernehmen, nachdem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker offenbar erfolgreiche Gespräche mit der US-Regierung zum Thema Zölle geführt hatte. Tatsächlich jedoch sieht es eher danach aus, als habe Washington die EU und insbesondere Deutschland geschickt ausmanövriert. Das europäische Staatenbündnis hat jetzt keine Möglichkeit mehr, bei der Entwicklung von Handel und Wirtschaft gemeinsame Sache mit China zu machen.
Die jüngsten Entwicklungen sprechen für einen Konsens innerhalb der EU: Man wendet sich ab vom gewaltigen Potenzial, das der von China angeführte eurasische Wirtschaftsraum bietet, und wendet sich stattdessen einem Bündnis mit den USA und dem China-Gegner Japan zu. Das könnte der EU-Wirtschaft zu einem späteren Termin ernsten Schaden zufügen und die globalen Machtgefüge zugunsten von Washington und Wall Street verschieben.
In den Wochen vor den jüngsten Gesprächen zwischen Washington und Brüssel hatte Peking sich bemüht, Fürsprecher zu finden, indem man unter anderem bei der Welthandelsorganisation WTO gegen die jüngsten Importzölle protestierte, welche die USA einseitig auf Waren aus der EU und China verhängt hatten. Vor dem EU-China-Gipfel am 16. Juli in Peking hatten chinesische Vertreter Gespräche mit diversen Amtskollegen aus der EU geführt. Angeblich waren sie zu beträchtlichen Zugeständnissen bereit, was die Öffnung des chinesischen Binnenmarktes anging, sofern die EU zusammen mit China eine geschlossene Front gegen die USA bilden würde.
Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete, China und Europa »sollten sich Hand in Hand gegen den Handelsprotektionismus stellen. China und die Länder Europas sind natürliche Partner. Sie alle glauben, dass die freie Marktwirtschaft ein mächtiger Antrieb des globalen Wirtschaftswachstums ist.« US-Präsident Trump hat in den vergangenen Wochen Aluminium- und Stahlprodukte aus der EU mit Zöllen belegt, gleichzeitig verhängte die US-Regierung heftige Zölle gegen China und drohte weitere Schritte an. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte China nur wenig Ansatzpunkte für eine umfassendere Vereinbarung mit Deutschland und der EU insgesamt. Als Washington China und die EU gleichzeitig ins Visier nahm, wuchs in Peking die Hoffnung auf eine enge Zusammenarbeit mit der EU im Kampf gegen die USA.
Chinas High-Tech-Branche ist das wahre Ziel
Ohne Ende twittert der US-Präsident darüber, wie groß doch das Handelsdefizit zwischen den USA und China sei. Er droht damit, weitere chinesische Importe im Wert von 200 Milliarden Dollar mit Zöllen zu belegen. Entwickelt wurde diese Strategie im Büro von Robert Lighthizer, dem Handelsbeauftragten der USA. Lighthizer ist ein erfahrener Unterhändler, der schon für die Regierung Reagan gearbeitet hat. Er nimmt besonders die zehn Branchen ins Visier, die China in den Mittelpunkt seiner 2015 veröffentlichten Strategie »Made in China 2025« gerückt hat. Bei diesem Handelskrieg geht es nämlich nicht um Handelsdollars, sondern darum, wer bei zentralen Technologien global die Hand am Steuer hat.
China ist verständlicherweise bestrebt, seine Technik auf den allerneuesten Stand zu bringen, um global konkurrenzfähig zu sein. Washington, angetrieben von führenden amerikanischen Technologiekonzernen, will das verhindern. Der Zollkrieg ist dabei nur eine List, die helfen soll, dieses Ziel zu erreichen.
Fadenscheinige Vorwürfe gegen Russland
Interessant ist in diesem Zusammenhang folgender Kontrast: Teile der amerikanischen Geheimdienstgemeinde haben fadenscheinige Äußerungen, Vorwürfe und Dokumente vorgelegt, die angeblich beweisen, dass sich Russland 2016 bei den Präsidentschaftswahlen zugunsten von Trump eingemischt hat. Zentrale Anklagepunkte, die dazu führten, dass die USA schwere finanzielle Sanktionen gegen Russland und russische Firmen verhängten, basierten auf einem vagen und fragwürdigen Dossier, für welches das FBI offenbar einen pensionierten Agenten des britischen Geheimdienstes MI6 bezahlt hat. Die Motive des Mannes sind alles andere als klar.
Eine ganz andere Auseinandersetzung als die zwischen US-Geheimdiensten und Trump ist dagegen der Kampf zwischen China und Trump. Bei Letzterem handelt es sich um eine Entscheidung, die geschlossen von amerikanischen Institutionen getroffen wurde, es geht nicht um Parteipolitik. Unabhängig davon, ob der Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump oder Donald Duck heißt: Die USA werden nicht zulassen, dass China in industrieller Hinsicht gleichzieht. »China 2025« benennt zehn Technologiebereiche, die Vorrang erhalten sollen: Künstliche Intelligenz und Quantenrechner; Werkzeugmaschinen und Robotik; Luft- und Raumfahrt; High-Tech- Schifffahrt; moderner Schienentransport; Fahrzeuge mit neuen Antriebsmethoden; Stromerzeugung; landwirtschaftliche Geräte; neue Verbundstoffe; Bio-Pharma und moderne medizinische Produkte.
»Chinas Absicht hinter »Made in China 2025« ist es nicht, zu High-Tech-Volkswirtschaften wie Deutschland, USA, Südkorea und Japan aufzuschließen, sondern sie komplett zu verdrängen«, warnte die New Yorker Denkfabrik Council on Foreign Affairs unlängst. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sieht sich Washington einer beeindruckenden und ernsten Herausforderung im industrietechnologischen Bereich ausgesetzt. Deutschland und Japan stellten die Vormachtstellung der USA mit ihrem Aufstieg nicht wirklich in Gefahr, da sie durch die NATO und andere Verbindungen nicht aus ihrem Status als »Vasallenstaaten Washingtons« (so nannte sie Zbigniew Brzeziński) ausscheren konnten.
China hingegen sieht sich ganz klar nicht als Vasall Washingtons. Hinzu kommt, dass China zu weiten Teilen Eurasiens engere wirtschaftliche Bande knüpft, unter anderem zu Russland, zum Iran, zu den ASEAN-Staaten und möglicherweise auch zu Indien. Dadurch wird die Bedrohung, die von »China 2025« für die USA ausgeht, so existenziell, dass Washington und die Wall Street versuchen werden, sie frühestmöglich im Keim zu ersticken. Das Problem dabei: Das funktioniert so nicht. Die technische Modernisierung fällt in den Zuständigkeitsbereich jeder Nation selbst – und das gilt sogar für einen so großen Staat wie China.
USA und EU gegen »China 2025«
Die Angst, vom Aufstieg Chinas in den Schatten gestellt zu werden, haben Washington und seine wichtigsten strategischen Denkfabriken dazu genutzt, eine globale geschlossene Front gegen China aufzubauen. Bis zu einem bestimmten Punkt sind die USA damit auch erfolgreich. Washingtons Taktik sieht ganz offensichtlich so aus: Die engsten NATO-Verbündeten innerhalb der Europäischen Union werden mit Sanktionen und Drohungen dazu gebracht, die Reihen gegen China zu schließen. Das ist nichts als eine Abwandlung der klassischen »Zuckerbrot und Peitsche«-Methode.
Erst drohte der US-Präsident damit, Stahl- und Aluminium-Importe aus der EU mit Strafmaßnahmen zu belegen, dann deutete Washington an, als nächstes könne man Pkw aus Europa ins Visier nehmen, ein Schritt, der mitten aufs Herz der deutschen Wirtschaft abzielen würde. In Handelsfragen habe sich die Europäische Union zum Feind entwickelt, twitterte Trump – um nach den Gesprächen mit Juncker zu erklären, zwischen EU und USA herrsche Liebe. Ganz offensichtlich hat Washington erhalten, was es wollte: Die EU hat zugestimmt, bei den Handelskriegen Washingtons nicht gemeinsame Sache mit China zu machen, sondern sich an der Seite Washingtons gegen das asiatische Land zu stellen. Klassisches geopolitisches Spiel mit dem Gleichgewicht der Kräfte.
Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow hat diese Strategie in einem Interview in der TV-Sendung Fox Business bestätigt. Er erklärte: »Wir setzen uns mit der Europäischen Union zusammen, um einen Deal mit ihr zu machen, damit wir eine geschlossene Front gegen China bilden.« Kudlow fügte hinzu, dass sich durch die Fertigstellung des NAFTA-Abkommens die USA, Europa, Kanada, Mexiko und Japan zusammentun werden und China isoliert dastehe. Die Bundesregierung hat rasch reagiert. Am 1. August kündigte sie an, die Übernahme des deutschen Hightech-Unternehmens Leifeld Metal Spinning durch chinesische Investoren zu blockieren. Das deutsche Wirtschaftsministerium prüft zudem, ob Chinesen den Luftfahrtkonzern Cotesa übernehmen dürfen. Das ist für deutsche Verhältnisse ein erstaunlicher Wandel. Als der chinesische Kfz-Hersteller Geely mitteilte, man halte 9 Prozent der Daimler-Aktien, und das chinesische Unternehmen Midea den Roboter- und Anlagenbauer Kuka schluckte, wollte sich die Bundesregierung nicht einmischen.
Deutschland und Japan arbeiten enger zusammen
Die Europäische Union ist mit Japan eine umfassende Freihandelsvereinbarung eingegangen, die Deutschland und die gesamte EU zum Teil eines antichinesischen Bündnisses macht. Brüssel geht also nicht auf das Angebot Pekings ein, sich gemeinsam gegen die aggressive Zollpolitik der USA zur Wehr zu setzen, sondern arbeitet daran, japanische Verbündete gegen China zu finden. Kurz darauf verkündete Außenminister Heiko Maas, Berlin habe einen »strategischen Dialog« mit Japan eingeleitet, der darauf abziele, für eine nicht näher spezifizierte »neue internationale Ordnung« »ein enges Bündnis« zu schmieden.
Im Mai war Chinas Ministerpräsident Li Keqiang in Tokio vorstellig geworden und hatte Japan gedrängt, sich gemeinsam mit China gegen die Handelssanktionen der USA zur Wehr zu setzen und sich Chinas »One Belt, One Road«-Initiative anzuschließen. Japan reagierte kühl und entschieden, indem es eine Freihandelsvereinbarung mit der EU einging.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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